anzeige
anzeige
Stadtleben

Kollektives Glück

  Kollektives Glück |

Die Halle 14 lädt am Freitag und Samstag online zu einem Symposium und Workshops zur Zukunft der Stadt ein. Unter anderem werden Margit Czenki und Christoph Schäfer am Samstag über Park Fiction in Hamburg sprechen, der ein Modell für Planung öffentlicher Räume darstellt, die vor allem in Zeiten von Gentrifizierung und Pandemie sehr gefährdet sind.

Was zeichnet die Stadt heute und zukünftig aus? Wer gestaltet wie eine Stadt? Wie wird Stadt in der Pandemie genutzt? Fragen, die sich die am Wochenende zu Ende gehende Ausstellung »The Future of Cities. Nor for Granted« in der Halle 14 stellt. Vorgestellt werden beispielsweise die Nutzung des Jahrtausendfeldes im Lockdown auf Fotografien von Falk Haberkorn oder Park Fiction in Hamburg. Was charakterisiert den einen Hektar großen Park zwischen Reeperbahn und Fischmarkt? Ein »radikal beteiligungsorientiertes Planungsverfahren« für einen Ort der Vielen, den »besorgte« Bürgerinnen seit Herbst einer zunehmenden Kontrolle und Krimininalisierung aussetzen.

 

»... die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straßen gehen....«

Alexander Mitscherlich beschrieb in seinem Pamphlet »Die Unwirtlichkeit unserer Städte« 1969 die Entwicklung der westlichen Nachkriegsstädte. Für ihn bilden Städte »Prägestöcke«, die die Menschen beeinflussen und sowohl das Wesen als auch das Verhalten verändern. Im Hinblick auf die westliche Entwicklung des urbanen Raumes in den 1960er-Jahren befürchtete er Menschen, die sich in ihren Wohnungen vor dem Fernsehgerät einrichten und der städtischen Gemeinschaft und den öffentlichen Räumen keinerlei Interessen entgegenbringen. Allerdings bilden Städte seiner Meinung nach den Geburtsort von Gemeinschaft und dessen, »was wir bürgerliche Freiheit nennen, dieses Lebensgefühl, das sich dumpfen Herrschaftsgewalten widersetzt.« Einen Ausweg sah er »in der Neuordnung der Besitzverhältnisse an Grund und Boden« (kreuzer 1/ 2022).

Auf den französischen Soziologen Henri Lefèbvre und dessen Buch »Die Revolution der Städte« (1972) bezog sich Mitte der 1990er-Jahre eine Initiative von Anwohnerinnen, die sich gegen die Bebauung des Elbhanges in St. Pauli im Hafenrandverein engagierte. Aktueller denn je liest sich ihr Text »Aufruhr auf Ebene p« samt Aufforderung, »... die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straßen gehen....«. Damit wurde das Projekt Park Fiction als sozialer, politischer und künstlerischer Prozess eingeleitet, der sich aus dem Wissen der Vielen für eine Fläche von einem Hektar speist. 1995 klang das so: »Parks versprechen ein glückliches Leben befreit von der Arbeit, abseits des Alltag. Ein solches Versprechen aufgreifen, heißt auf St. Pauli, dem Stadtteil mit der ärmsten Wohnbevölkerung der westlichen BRD, eine subversive Forderung erheben. Schließlich versucht die herrschende Klasse genau diesen Menschen beizubringen, sich mit einem Leben im Elend abzufinden, ihre Ansprüche runterzuschrauben und den Gürtel enger zu schnallen, um mit dieser arm-aber-ehrlich-Propaganda die gigantischen Umverteilungsprozesse ideologisch zu überwölben. Die Forderung nach dem Park ist ein richtiger Schritt um dieser Politik entgegenzutreten.«

 

kollektive Wunschproduktion

Zuerst stand die kollektive Wunschproduktion an, finanziert aus Mitteln des Kunst im öffentlichen Raum-Programms der Hamburger Kulturbehörde. Es folgte die demokratische Planung des Parks von 1997/98 und der Bau bis 2005. Noch vor der Fertigstellung war das Projekt auf der Documenta 2022 in Kassel vertreten. Mitinitiator Christoph Schäfer – von ihm erschien 2010 im Leipziger Verlag Spector Books das Buch »Die Stadt ist unsere Fabrik« mit Zeichnungen zu Stadtplanung – betont im Gespräch mit dem kreuzer den klaren Vorteil bei der Planung mittels Wunschproduktion anstelle von hierarchischen Planungsverfahren. Dabei geht es um Fragen an alle für einen gemeinsamen Ort wie »Was möchtest Du?« oder »An welchem Ort warst du glücklich?«, »Was charakterisierte ihn?«. Aus den Antworten zeichnet sich ab, was benötigt wird für das »kollektive Glück« an solchen Orten. Gleichzeitig bilden die Wünsche auch ab, was eine Stadt können muss, um lebenswert für alle zu sein und nicht nur einer bestimmten Schicht das Wort zu sprechen.

Wie so ein Ort aussehen kann, ist seit über 15 Jahren mit Park Fiction zu beobachten. Gleichzeitig wirkt die zunehmende Gentrifizierung auch auf den Ort ein. Mit der Pandemie verschärfte sich wie in allen Städten die Situation. Mit der Schließung von Kultur- und Sportorten zeigte sich, welche Räume jenseits dessen überhaupt noch in den Städten existieren und mit welchen Aufenthaltsqualitäten. Hier wie überall gab es Alkoholverbot und fanden vermehrte Kontrollen statt. Eine Anwohnerinneninitiative organisierte sich gegen Lärm im Park. Die Bezirksversammlung Altona beriet im Herbst zum »Brennpunkt Park Fiction – Sozial- und Ordnungspolitische Maßnahmen gegen Partylärm und offene Drogenszene«. Vor zwei Wochen erschien zudem in einer Hamburger Tageszeitung ein Artikel, der die Besucherinnen des Parks kriminalisiert und nach der starken Hand der Politik rief.

Das Park Fiction Komitee veröffentlichte dazu einen langen Situationsbericht, der das Leben im Park unaufgeregt beschreibt und darauf verweist, dass es nicht um den konkreten Ort geht, sondern der Ruf nach Kontrolle etabliert »rechte Narrative, die als Deutungsmuster für Park Fiction fatal sind, und auch für andere Konflikte im Stadtteil (Cornern, Subkulturen, Clubs) jederzeit wieder mobilisiert werden können – ein Angriff auf vieles, was St. Pauli aus- und tolerant macht.« Allerdings mahnt Schäfer auch, dass gesellschaftliche Fragen nicht über einen Park geklärt werden können.

Das Symposium versucht Antworten auf die urbane Situationen zu finden oder zumindest Neues anzudenken. Am Freitag geht es um die Herausforderungen des Städtischen unter anderem mit dem Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm und der Wiener Stadtforscherin Elke Krasny. Zu Leitbilder der Zukunft von Stadt sowie zu Prozessen, methodischen Aspekten und Instrumenten lädt die Tagung am Samstag ein. Tickets für die Online-Veranstaltung sind über die Homepage der Halle 14 erhältlich.

 

www.halle14.org/veranstaltungen

https://park-fiction.net

 

BRITT SCHLEHAHN 

Foto: Park Fiction/Margit Czenki


Kommentieren


1 Kommentar(e)

montag 28.01.2022 | um 09:46 Uhr

kleiner korrekturhinweis: das projekt war 2002 auf der documenta vertreten, nicht 2022.