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Stadtleben

»Wo wart ihr in den letzten 15 Jahren?«

Reaktionen auf das Interview mit dem Roten Salon

  »Wo wart ihr in den letzten 15 Jahren?« | Reaktionen auf das Interview mit dem Roten Salon

In der Januar-Ausgabe veröffentlichte der kreuzer im Rahmen seiner Titelgeschichte zu linken Subkulturen auch ein Interview mit dem Roten Salon unter dem Titel »Gegen wen lehnt man sich eigentlich noch auf?«. Die Aussagen der beiden Interviewten führten zu viel Widerspruch. Wir veröffentlichen hier die Reaktionen verschiedener Initiativen und Personen aus Connewitz.

Thierbacher Straße 6:

Wir, als organisiertes Wohnprojekt in Connewitz, dessen Bewohner:innen teils weit darüber hinaus politisch aktiv sind, möchten gerne zum Interview des Roten Salon Stellung nehmen.

Dabei ist es nicht von Relevanz, wer oder was der Rote Salon ist, sondern welche Aussagen durch das Interview quasi salonfähig gemacht werden. Dem möchten wir in vielem deutlich widersprechen. Seit Jahren sind wir als Wohnprojekt im Stadtteil und darüber hinaus vernetzt und verleihen unserem Unmut Ausdruck.Unmut über die Verdrängung im Stadtteil, über horrend steigende Mieten und über die eigene von Entmietung bedrohte Situation. Dies geschieht nicht durch Gewalt, sondern durch Öffentlichkeit, Solidarität und vor allem Bündnisse, welche in Connewitz bestehen und wichtige Stadtteilpolitik machen. Laut Interview »passiert das nicht«. Nazis prägten in den 90ern vielleicht das Straßenbild in Leipzig – jetzt sitzen sie in den Parlamenten, was nicht weniger schlimm ist. Dass also Widerstand gegen Rechts, Entmietung, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit usw. aus einer linken Perspektive notwendig ist, steht außer Frage. Dass es dafür in Connewitz, Leipzig und weit darüber hinaus Protest, Widerstand und Bündnissen bedarf, ebenso. In Angesicht dessen scheint es nahezu arrogant oder ignorant, davon zu sprechen, dass es bspw. Jugendzentren nicht mehr so dringend brauche, weil sie ein Ort für Selbstgenügsame seien. Es ist wichtiger denn je, auch in Leipzig, Zentren für Jugendliche zu haben, welche linke Politik vermitteln, sicherere Räume bieten, Bildungsmöglichkeiten offerieren, Plenumsorte stellen und Mobilisierung (auch ins Umland) ermöglichen – um der rechten Normalität in diesem Land etwas entgegenzusetzen. Die aktuellen Zustände in Sachsen (und davon ist Leipzig nicht ausgeschlossen) illustrieren dies sehr deutlich: tägliche Demonstrationen von Corona-Leugnern, welche mit Nazis Hand in Hand gehen, ein Ministerpräsident, der sich in Ruhe die Pushbacks an der polnisch-belarussischen Grenze anschaut, ein queeres Bildungsprojekt, das eingestampft wird, eine Wohnungspolitik, explizit in Leipzig, die selbstbestimmtem Wohnen diametral entgegensteht, und nicht zu vergessen: die massiven Repressionen, welchen Antifaschist:innen ausgesetzt sind. Dem nichts entgegenzusetzen als Selbstgenügsamkeit, Geschichtsschwelgerei und die Unsichtbarmachung von (wohnungspolitischen) Kämpfen in Connewitz, ist traurig und auf eine Art auch unnötig. Denn ja, als betroffene Mieter:innen kritisieren wir Investor:innen, aber auch die Stadt Leipzig und werden dabei auch mal persönlich! Ein großer Dank geht raus an die Vernetzung Süd und alle weiteren (wohnungspolitischen) Initiativen, die sich angesprochen fühlen!

 

Wohnungspolitische Stadtteilinitiative »Vernetzung Süd«

Mit seinem Rundumschlag gegen linke Politik und Initiativen in Leipzig delegitimiert der »Rote Salon« auch unsere Arbeit als Stadtteilvernetzung. Wir fragen uns: Aus Unkenntnis oder motiviert? In jedem Fall wollen wir das Behauptete nicht unwidersprochen lassen.

Zunächst zum abgesagten Stadtteilgespräch: Es gab im Herbst 2020 gute politische Gründe, weshalb wir und andere die Einladung des OBM Jung zum Stadtteilgespräch ausschlugen. Nachlesbar ist das in den zwei Offenen Briefen (28.9. & 2.11.20), die dazu veröffentlicht wurden – u.a. gab es Argumente gegen die Einladungspolitik seitens der Stadt, als auch eine Kritik am intransparenten Zustandekommen und exklusiven Format dieses schnell einberufenen »Stadtteilgesprächs«. Wir wollten in erster Linie mitbestimmen, unter welchen Konditionen dieses Gespräch stattfindet, eine Absage per se war es niemals gewesen – wie auch die folgenden Entwicklungen (u. a. Zusammenarbeit mit dem Stadtbezirksbeirat Süd in der Sache) zeigen. Der »Rote Salon« verdreht die Tatsachen, ja er verbreitet Unwahrheiten.

Schlimmer wird es, wenn die Sprecher behaupten, dass es in Connewitz oder in der Südvorstadt keine politische Bündnis- und Netzwerkarbeit in Sachen Wohnungspolitik gäbe. Da fragen wir: Wo wart Ihr in den letzten 15 Jahren? Habt Ihr nicht die Gründung des Netzwerk Leipzig – Stadt für alle mitbekommen, oder direkt um die Ecke die Aktivitäten der Vernetzung Süd? Wir sind seit vier Jahren am Start, organisieren Mieter:innen und Protest gegen Entmietungen und Mieterhöhungen, wir dokumentieren die teuren Neubauten als auch die Verdrängungen im Stadtteil und stellen konkrete politische Forderungen, an die Stadt und z. B. die LWB als kommunales Wohnungsunternehmen. Dabei treten und traten wir auch immer wieder in Kontakt mit der Verwaltung.

Wenn der Rote Salon in dem Interview außerdem von der »Gentrifizierung« als einem »Lauf der Dinge« spricht, ist das nicht nur kontraproduktiv für eine politische Arbeit, die darauf baut, dass Menschen besser verstehen sollen, dass die immer wieder ähnlich ablaufenden Verwertungsprozesse in den Städten tatsächlich veränderbar sind! Es ist darüber hinaus auch falsch, denn kapitalistisch motivierte Aufwertung und Verdrängung von Menschen sind nicht naturgegeben. Aber dass Kapitalismuskritik zu linker Politik gehört, das hat der Rote Salon scheinbar sowieso nicht (mehr?) auf dem Schirm.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die, die vor der Mietaufwärtsspirale und dem Ausverkauf der Stadt schon vor 15 Jahren gewarnt haben, zunächst belächelt wurden, ihre Auffassung und ihre Kämpfe aber sukzessive zu einer Veränderung der Stadtpolitik führten. Das heißt nicht, dass alles gut ist. Im Gegenteil: Es braucht den Druck der Betroffenen und der Netzwerke für ein Wohnen als Gemeingut sowie für eine Stadt als Raum ihrer Bewohner:innen – und nicht von Investor:innen!
 

Anne & Henne, Black Label:

»Wir waren selber mal jung« wäre eine ehrlichere Überschrift für das Interview mit dem Roten Salon gewesen, das der kreuzer in seiner Januarausgabe veröffentlich hat; sie hätte dann nämlich auch noch den Vorteil gehabt, dass die wesentlichen inhaltlichen Aspekte kurz und präzise vorweggenommen worden wären und dass die eigene wohlige Filterblase (oder Echokammer?) unversehrt geblieben wäre. Aber sei es drum.

Was sich auf den ersten Blick als wehmütig-melancholischer Abgesang auf die eigene, rebellische Adoleszenz präsentiert, offenbart beim genaueren Hinschauen eklatante Wahrnehmungsdefizite im Umgang mit linker Subkultur und Politik – und den institutionellen Antworten darauf. Der Rest ist der Dialektik des T. Gottschalk entliehen: »Ich wäre auch einer von den Guten gewesen.« Also Hurra! Rollt Eure Antifafahne ein, stellt Eure aktivistische Arbeit ein – der Rote Salon hat verkündet: rechte Ideologien in Connewitz und Leipzig sind besiegt!

Vor den Toren der Stadt, ja, da sieht es noch anders aus, aber keine Angst. Die Innenministerin und damit die Bundesregierung in Gänze hat das Problem erkannt. Wer Symbolpolitik sucht, dem reichen Lippenbekenntnisse offensichtlich aus, um sich entspannt zurückzulehnen. Mit Voranschreiten des Alters und einem Ankommen im gutbürgerlichen Leben kann sich das rechte Auge schonmal trüben. Mit klaren Blick auf die Verhältnisse im Land, Stadt und eigenem Viertel ergibt sich  jedoch ein Bild, das diese Vorstellungsblase platzen lässt.

 »Gegen wen lehnt man(n) sich eigentlich noch auf?«, fragt der Rote Salon – wir wollen Ideen liefern. Regierungsvertreter, die mit rechter Rhetorik Wählerstimmen für sich gewinnen wollen, eine rechte Partei, die es in den Bundestag geschafft hat, Richter, die aufgrund ihrer rechten Gesinnung faire Prozesse ad absurdum führen, Polizisten, die in Chaträumen gern von rechten Umstürzen träumen; rechte Sehnsucht nach Autorität durchzieht die Säulen der Demokratie.

Und damit kommen wir unausweichlich zu Connewitz. Das Narrativ vom Wohlwollen der Stadt ist dabei mehr als fragwürdig. Das Besetzen der ersten Häuser und der damit einhergehende Aufbau einer linken Szene in Connewitz fällt in eine Zeit des Umbruchs und der Überforderung, begründet durch die Kraftanstrengung, die ehemalige DDR in das Gesellschaftssystem der BRD einzugliedern. Unter anderem sahen sich Städte wie Leipzig mit einer desolaten Wohnungssituation konfrontiert. Für eine grundlegende Sanierung fehlten die finanziellen Mittel. Nicht ganz uneigennützig war dementsprechend die Einbeziehung der Bewohner:innen der Stadt, um das Problem in den Griff zu bekommen. Anfang 1990 wurden die ersten Häuser in Connewitz besetzt. Der Verein »Connewitzer  Alternative«, der Besetzer:innen- und Hausbewohner:innenrat übernahmen hierbei die Verhandlungen mit der Stadt.

Mit Fortschreiten der Festigung neuer Strukturen in Verwaltung und Politik schwand das angebliche Wohlwollen der Stadt, die die linke Hausbesetzerszene zunehmend als Problem wahrnahm. Versuche, einen Keil zwischen die Connewitzer Parteien zu treiben, waren das Ergebnis. In der Szene wuchs die Befürchtung eines Räumungseinsatzes. Die Auseinandersetzungen kulminierten schließlich im November 1992 mit der sogenannten »Krawallnacht« zwischen Hausbesetzer:innen und Polizei. Was folgte, waren im Zuge der »Leipziger Linie« unter anderem Knebelmietverträge und das Zumauern der Eingänge noch leerstehender Häuser. Die »Connewitzer Alternative« löste sich auf. Erst 1995 sollte es mit Gründung der »AWC« zu neuen Verhandlungen mit der Stadt kommen.

Und knapp 30 Jahre später?

Es sei an den Überfall von 2016 durch rechte Gruppen erinnert, an die zahlreichen Aufrufe aus der rechten Szene, diesen zu wiederholen. Es sei an die Gängelung durch CDU-Landesregierung und Polizeibehörden erinnert – das Aufstellen von Überwachungskameras, das Errichten einer Viertel-eigenen Polizeidienststelle, Gründung der Soko Linx, allwöchentliche Spazierfahrten zahlreicher Sixpacks durch Connewitz’ Straßen, alljährliche Hausdurchsuchungen (Bsp.: der Fall Henry A.), mehrere 129-Verfahren und die damit einhergehenden Abhöraktionen zahlreicher Connewitzer:innen und deren Familien und Freunden sowie Observationen (eigene Erfahrung).
Am Umgang mit Connewitz und dessen Bewohner:innen hat sich nichts geändert. Das Viertel dient der Stadt lediglich als Mittel zum Zweck. Da bedient mensch sich am Ruf von Connewitz als links-alternatives Gebiet und dessen Kulturangebot, um das Bild von Leipzig als bunte, weltoffene, tolerante Stadt zu postulieren, um gleichzeitig die dort genutzten Kulturfreiräume gewinnbringend an Investoren zu verkaufen, die sich wiederum nutznießerisch die gewachsenen und von den Bewohner:innen etablierten Strukturen des Viertels zu eigen machen, um ihrerseits hauptsächlich hochpreisige Eigentumswohnungen im »bunten, alternativen Stadtteil« gewinnbringend zu verkaufen.

Der Lauf der Zeit? Nein! Hier wird in neoliberaler Manier den Regeln des Marktes gefolgt, ungeachtet der negativen Folgen, z. B. Erhöhung der Mietpreise in ganz Connewitz. Die Produkte ehrenamtlicher, gemeinschaftlicher Arbeit werden zu Gunsten Weniger privatisiert. Dass damit Wut und Frustration wachsen, die in Gewalt umschlagen, ist nicht verwunderlich. Mensch begegnet struktureller und offener Gewalt mit selbiger. Eine andere Reaktion ist Resignation und die damit einhergehende Abwanderung in andere Stadtteile, weil dort Mieten noch erschwinglicher und die verbliebenen Möglichkeiten, Freiräume zu schaffen, größer sind. Nicht Interesse, sondern der Zugriff des Kapitals, bedingen die Verlagerung subkultureller Aktivitäten in andere Stadtteile Leipzigs. Die Freude über die Vielzahl »linke(r) Kneipen, Clubs, Projekte, Galerien und was weiß ich« vermag über diese Entwicklung kurz hinwegzutrösten, verfliegt aber ziemlich schnell, wenn mensch verstanden hat, dass die Personen, die diese betreiben, in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Sie gehören zu den ersten, die die Mieten in den Vierteln, die sie mit ihrer Arbeit lebenswerter machen, nicht mehr zahlen können. Aber augenscheinlich muss mensch nur wollen, denn »wer so etwas auf die Beine stellen will, kann das realisieren« – zwei Jahre Pandemie haben im Zeitraffer gezeigt, wie gut Umverteilung in Deutschland funktioniert.

Diesem Zugriff des Kapitals unterliegt mensch allerdings nicht allein, auch die Stadt Leipzig muss sich dieser Verwertungslogik fügen, auch kommunale Vorkaufsrechte erfordern entsprechende finanzielle Mittel. Wer in Anbetracht dieser Verhältnisse auf Wohlwollen, Gesprächsangebote oder gar darauf hofft, »die Stadt in die Pflicht zu nehmen« verkennt die Machtverteilung in diesem Diskurs. Und freut sich über Leuchtturmprojekte.

Linke Subkultur ist ohne Frage auf persönlicher Ebene zuallererst ein Angebot zur Identitätsbildung – mensch ist subkulturell und definiert sich selbst als dieser Kultur zugehörig. Aber daran darf und wird sich der politische Anspruch nicht erschöpfen. Es war auch vor 20 Jahren schon mehr Input vorhanden als »sich einen Freiraum erobern (und) nicht gegängelt zu werden«

Eine Subkultur, die Menschen lediglich dazu ermuntert, dass die »eigenen Interessen« artikuliert werden, findet sich sicherlich auch in deutschen Vorstandsetagen; links ist sie dann aber sicher nicht. Gleichwohl wird auch in Connewitz vielerorts Subkultur und linker Lifestyle zum Konsum dargeboten, sei es beim Konzert im AJZ oder bei Alkohol in der linken »Szenekneipe« – wer linke Gegenkultur aber nur als Ware begreifen möchte, der denkt zu kurz und ist umso enttäuschter, »weil das Conne Island selber praktisch keine Politik mehr gemacht hat«. Linke Subkultur heißt dann eben auch do it yourself.

Und sie bleibt heute so bitter nötig, wie sie es in der Vergangenheit war. Selbst wenn Faschisten nicht jedes Wochenende »unsere« Häuser bedrohen (5 Jahre 11.01.), so bleibt der Zugriff von Staat und Kapital unvermindert bedrohlich. Linke Zentren und linke Subkultur eröffnen im doppelten Sinne wichtige Freiräume, physisch als auch ideell darf mensch dem gesellschaftlichen Normalzustand hier wenigstens zeitlich begrenzt entfliehen. Andererseits ermöglichen sie auf individueller Ebene Wachstum, Bildung und Vernetzung für diejenigen, die die deutsche Mehrheitsgesellschaft mit direkter und struktureller Gewalt bedenkt. Die Auseinandersetzungen, auch innerhalb der linken Szene, sind längst nicht auserzählt. Zum Beispiel hat es Jahrzehnte gedauert, bis Sexismus als strukturelles Problem linker Kreise begriffen wurde und bekämpft wird (siehe »Punk too«). Des Weiteren sind linke Zentren gemeinschaftliche Institutionen der politischen Auseinandersetzung, die die uns häufig vorenthaltenen Ressourcen solidarisch bereitstellen, oder bereitstellen helfen.

Wer in Anbetracht der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre wirklich die Frage stellt, wozu man(n) das überhaupt noch braucht, oder gegen wen man(n) sich eigentlich noch auflehnen soll, der hat im politischen Diskurs eine sehr komfortable Position eingenommen – bzw. übernommen. Sein und Bewusstsein eben.

 

Initiative »Rassismus tötet!«:

Mit Verwunderung haben wir das Interview im kreuzer mit Vertretern des Roten Salon (bisher sind nur Männer in Erscheinung getreten) über ihren »Great Connewitz Swindle« gelesen. Erstaunlich erscheint es uns, weil der kreuzer auf Grund der eigenen Geschichte genug Menschen kennen müsste, die ausreichend Gegenargumente auf die Broschüre und die Aussagen des Salons anführen könnten, wie es bei der Veranstaltung im Conne Island bereits »erfolglos« versucht wurde. »Erfolglos«, weil die Gegenreden eben nicht dazu führten, dass die Vertreter des Roten Salon zumindest keinen unkritischen Raum im kreuzer erhalten haben, im Gegenteil. Statt auf Gegenargumente, aufgezeigte Fehlstellen, falsche Behauptungen und mangelnde Kenntnisse einzugehen, wechselten sie vielmehr das Thema oder wiederholten die immer gleichen Aussagen, wie auch zuletzt im kreuzer. Wenig verwunderlich distanzierten sich die beiden Vertreter deutlich von ihrer politischen Vergangenheit und einer linken Szene im Allgemeinen.

Dazu passt, dass der Rote Salon und seine Vertreter seit Jahren überhaupt nichts mehr mit einer linken Szene zu tun haben (wollen). Vielmehr handelt es sich um eine persönliche Abrechnung mit der eigenen politischen Vergangenheit und der Linken. Mit einer sachlichen Diskussion auf Grundlage von Fakten haben die meisten Aussagen daher wenig zu tun. Dies wird neben der Veranstaltung im Conne Island auch im kreuzer-Interview an der oft verwendeten Formulierung »ich glaube« mehr als deutlich. Wieso gerade jene Vertreter, die sich explizit von der Linken distanziert haben, ihre Notwendigkeit in Frage stellen und bei jeder gegebenen Gelegenheit gegen diese schießen, unter dem Titel »Leipzig unten links« im Kreuzer soviel Raum erhalten haben, bleibt fraglich. Um es mit den Worten der Freund:innen der Polemik zu formulieren: Vom Niveau des Roten Salon her ist es so als würde der kreuzer heute ein Interview mit Jürgen Elsässer über seine Zeit im Kommunistischen Bund führen.
Da andere Initiativen sicherlich auf die falschen Aussagen zum Thema Stadtpolitik und Gentrifizierung eingehen werden, wollen wir uns zum Thema rechte Gewalt und antifaschistische Praxis in Leipzig äußern. Vorweg jedoch, wir nehmen es der kreuzer-Redaktion schon etwas übel, dass sie mit dem Interview so viele Initiativen zu einer Reaktion auf den Roten Salon zwingen. Der unabgesprochene Konsens, auf die Polemiken und Publikationen des Roten Salon nicht mehr zu reagieren, sind durch den Raum im kreuzer leider nicht mehr möglich. Entgegen der Behauptungen des Roten Salon gibt es sehr wohl einen Austausch und eine Diskussion in Leipzig. Wieso dies ausgerechnet mit ihnen nicht mehr zielführend ist, wurde in der Veranstaltung im Conne Island noch einmal offenbart.

Klaus R., Bernd G., Horst K., Achmed B., Nuno L., Thomas K., Karl-Heinz T., Kamal K. sowie vermutlich mindestens zwei weitere Menschen sind in Leipzig seit 1990 durch rechte Täter ermordet worden. Sie wurden aus rassistischen, homosexuellenfeindlichen oder sozialdarwinistischen Motiven getötet. Nirgendwo in Sachsen gibt es mehr Todesopfer rechter Gewalt als in Leipzig. Die Opferberatung RAA zählte im Zeitraum von 2007 bis 2020 757 rechte Angriffe allein in der Stadt Leipzig. Das reale Ausmaß rechter Gewalt und rechten Terrors spiegelt sich in diesen Zahlen dennoch nicht wider. Im Jahr 2008 nahm beispielsweise die Dokumentationsplattform chronikle.org ihre Arbeit auf und dokumentiert seitdem zum Teil Ereignisse, die weder bei der Opferberatung, der Polizei noch in den Medien Erwähnung finden.

So hat es demzufolge den letzten bewaffneten Übergriff auf junge Antifaschistinnen in Connewitz am 8. November 2021 gegeben (https://www.chronikle.org/ereignis/angriffe-leipziger-s%C3%Bcden-b%C3%Bcrgerbewegung-leipzig-demo). Die Gefahr, dass weitere Menschen von Rechten ermordet werden, bleibt auch in Sachsen aktuell hoch. Am 30. August 2020 wären in Dresden beinahe zwei Menschen durch einen jungen Rechten getötet worden. Im Mai 2020 starb ein junger Rechter in Wurzen bei einer gesuchten Auseinandersetzung. Die Aussagen im Conne Island von den Vertretern des Roten Salon zum Neonazi-Angriff in Connewitz am 11. Januar 2016 oder zum rechten Terror in Halle und Hanau waren in vielen Punkten falsch. Auch was die »Analysefähigkeit« von Antifaschist:innen betrifft, scheinen die Vertreter des Roten Salon viele Publikationen überhaupt nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen.

So verwundert es auch nicht, dass einer der größten organisierten Neonazi-Angriffe im Stadtteil in der Broschüre nur in der Fußnote erwähnt wird; verschwiegen wird zudem, was dieses Ereignis für Folgen für die Bewohner:innen und Antifaschist:innen hatte, welche möglichen Konsequenzen daraus gezogen wurden. Ähnlich wie Justiz und Polizei verschweigt auch der Rote Salon die Menschen, die am Abend angegriffen wurden, in den Lokalen auf der Wolfgang-Heinze-Str., in ihren Wohnungen von Pyrotechnik getroffene Menschen oder jene, die den Neonazis auf deren Strecke begegneten.
Wir können aus unserer jahrelangen politischen Arbeit in Leipzig und Sachsen entgegen dem Roten Salon nicht davon berichten, dass wir unzählige ausgestreckte Hände von der Politik oder gar einer Stadtverwaltung ausgeschlagen hätten, weil es diese kaum bis gar nicht gab. Wir können eher vom Gegenteil berichten, auch von Repression gegen Betroffene rechter Gewalt oder bei unseren Veranstaltungen. Wir erinnern uns an Veranstaltungen, bei denen Betroffene über ihre Erfahrungen mit Rassismus in der Stadt Leipzig berichteten und die Rektorin der Universität Leipzig sich brüskiert fühlte, weil Ereignisse an der Uni geschildert wurden. Wir haben mit Betroffenen rechter Gewalt für Aufklärung gekämpft, nicht nur in Sachsen, für ein aktives Gedenken und für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Ursachen dieser Taten.
Wir sehen nicht, wo Leipzig eine »liberale bunte Stadt« sein soll, wo Neonazis seit 2007 im ehemaligen KZ-Außenlager von Buchenwald in der Kamenzer Str. einen Stützpunkt haben – um nur ein Beispiel zu nennen. Wir haben den Betroffenen rechter Gewalt zugehört, wir standen am Grab von Kamal K. und erinnern jährlich an die Betroffenen des rechten Terrors in diesem Land und in dieser Stadt. Wir waren in den vergangenen Jahren gegen den rechten Mob auf der Straße, in Schneeberg, Bautzen, Freital, Heidenau, Dresden, Wurzen, Zwickau, Leipzig … Wir waren und sind selbst oft genug von rechter Gewalt und staatlicher Repression betroffen.

Menschen aus unserer Gruppe sind teilweise in Sachsen aufgewachsen, in der Provinz sowie in Leipzig. Nie kämen wir auf die Idee, uns von unserer vergangenen politischen Arbeit zu distanzieren oder diese als »Quatsch« zu bezeichnen. Ganz im Gegenteil, gerade weil wir seit vielen Jahren politisch aktiv sind, bleiben wir auch weiterhin solidarisch mit all jenen Antifaschist*innen, die Neonazis und Rassist:innen »aufs Maul hauen« und mit Linken, die von Repression und Polizeigewalt betroffen sind. Freiheit und Glück für Lina sowie allen weiteren Antifaschist:innen!


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2 Kommentar(e)

Dr. rer. nat. Birgit Fischer 28.01.2022 | um 10:44 Uhr

Das Geschwurbel dieser vermeintlich linken Aktivisten aus Conne-Witz nervt jeden vernünftigen Leser. Der wohnungsmarkt wird das Problem lösen. Die Schwurbler brauchen Feindbilder wie die Luft zum Atmen. Jeder Nichtunterstützer wird deshalb zum Nazis erklärt.

Ahm 30.01.2022 | um 18:05 Uhr

Danke aus Connewitz für alle hier veröffentlichten Statements