Millionen gegen die Ödnis: Der Bund pumpt Gelder in die deutschen Innenstädte. Leipzig darf daran teilnehmen. Das Prozedere irritiert und es stellt sich die Frage: Wer ist die Stadt?
»Ich bin zuversichtlich: Es wird weiter lebendige Innenstädte geben. Die Menschen werden zurückkehren, weil sie die Begegnung brauchen und Plätze und Gelegenheiten dafür nicht missen wollen«, so äußerte sich Städtetagspräsident und Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung im Mai 2020 nach dem ersten Lockdown gegenüber dem Tagesspiegel. Und: »Aber ich bin überzeugt, wir müssen wieder mehr Wohnen und Arbeiten in der Innenstadt ermöglichen, so wie wir das zum Beispiel in Leipzig noch haben. Der Einzelhandel muss wieder individueller werden und spezieller. Aber das ist ein längerer Prozess.«
Hektik statt Reflexion
Der Städterat bat beim Bundesinnenministerium um Hilfe. Berlin reagierte prompt und legte das Programm »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« bis 2025 auf. 250 Millionen Euro stellt es für Ideen zu »lebenswerten Innenstädten« zur Verfügung. Im vergangenen Juli erfolgte der Aufruf zur Teilnahme am Programm, an dem sich Städte und Gemeinden mit innovativen Konzepten und Handlungsstrategien bewerben konnten. Leipzig reichte Mitte September eine Ideenskizze ein und konnte überzeugen. In der Sitzung am 9. Februar beschloss der Stadtrat, mit einem Antrag die Fördersumme von rund 4,8 Millionen Euro einzuwerben.
Die Aufforderung zur Teilnahme bekam die Stadt zwei Tage vor Weihnachten. Deadline für den vollständigen Antrag einschließlich Absegnung durch den Stadtrat ist Ende Februar.
Selbst wer nur aus der Ferne Entscheidungs- und Verwaltungsvorgänge in der Stadtgesellschaft beobachtet, weiß um die großen Zeitfenster. Allerdings dürften die Zahlen für Emsigkeit gesorgt haben: 6,7 Millionen gibt der Bund bis 2025, 1,9 Millionen muss Leipzig beisteuern. Seitens des Bundes herrscht ganz offensichtlich das System: Hektik statt Reflexion. Anscheinend geht es darum, so schnell wie möglich blühende Innenstadtbilder gegen den Corona-Blues zu generieren. Was das mit der Stadt und der Stadtgesellschaft an sich zu tun hat, die einen erheblichen Anteil an »lebenswerten Innenstädten« ausmachen, wäre eine Frage. Aktuell liegt laut Rathaus in der Innenstadt die Leerstandsquote von Handelsflächen bei elf Prozent. Aber Flächen für Handel allein machen ja nach Jung nicht die »gute Stube« – das Stadtzentrum einer historisch gewachsenen Stadt – aus.
Anfang Februar lud die Stadt zum Pressegespräch. In dem erklärten Burkhard Jung und Clemens Schülke, Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung und kommissarischer Leiter des Wirtschaftsdezernates, die Pläne der Stadt für die Zukunft. 22 Projekte dachte sich die Stadtverwaltung in der kurzen Zeit bis jetzt aus. Genauso klingen auch einige von ihnen und wirken hastig in die Tastatur getippt. Es handelt sich dabei eher um Skizzen, Ideen á la »Wollte ich schon immer realisieren, seit ich Oberbürgermeister bin« bis zu Kunsthandwerk aus den Partnerstädten.
Vom Beratungsbus über Lernhalle zu Ateliers in Mockau
Ein Projekt sieht die mobile Seniorenberatung an einem Bus auf den Wochenmärkten vor. Weitere Euros sollen die Belebung der Georg-Schumann-Straße voranbringen, ebenso den Leerstand in Mockau minimieren. Hier fallen dann wieder die üblichen Schlagwörter wie »Ansiedlung von Ateliers«, um das Image aufzuhübschen. Ein Warenhaus mit dem Arbeitstitel »Zweite Liebe« bringt Material von den Wertstoffhöfen unter die Menschen. Neu neben den üblichen Schaufensterausstellungen für die Kultur- und Kreativitätswirtschaft sind die »Study Hall & Pop Up Ruhezonen«. Hierbei sollen leere Räumlichkeiten zur Betreuung von Schülerinnen und Schülern von der fünften bis zur zwölften Klasse gewährleistet werden.
Konkrete Eingriffe in die Innenstadtgestaltung sind auch vorgesehen. Beispielsweise soll das Salzgäßchen umgestaltet werden. Spielmöglichkeiten für Kinder und Sitzmöbel dienen der deutlichen Verbesserung der Aufenthaltsqualität, so der Plan.
Auch die bereits seit Jahren diskutierten Veränderungen rings um das Museum der bildenden Künste und dem Stadtgeschichtlichen Museum dürfen durch das Bundesprogramm Hoffnung schöpfen. Die Institutionen wollen sich nach außen öffnen. Platz für kulturelle Angebote und Sitzmöglichkeiten wäre dort auf jeden Fall realisierbar. Hoffentlich gestalten dies dann Fachkräfte, denn Clemens Schülke schlug vor, im Außenraum des Bildermuseums »große Gemälde aufzuhängen«. Dass bildende Kunst mehr darstellt als großformatige Bilder und andere Kunstformen existieren, die sich für den öffentlichen Raum eignen, wird an der Stelle dann hoffentlich in Bälde zu sehen und/oder zu hören sein.
Was sich Burkhard Jung schon immer wünschte, soll dann auch bald in Erfüllung gehen: Touristen trinken am Schwanenteich ihr Käffchen und schauen den Enten zu. Dafür muss sich im Opernhaus noch einiges verändern, um das Operncafé auf der heute von der Betriebskantine genutzte Terrasse für die Außenwelt zu öffnen. Weitere Projekte wie das Vorhaben des Kulturdezernats, den UNESCO Welttag für kulturelle Vielfalt für Dialog und Entwicklung jährlich am 21. Mai in der Innenstadt zu feiern, wirken ebenso wie die im Programm aufgelisteten Internationalen Tage der Städtepartnerschaften mit »Speisen, Getränke, Kunstgewerbe, Flaggenpräsentation« etwas hilflos.
Allerdings gibt es auch noch einen City-Fonds zur Förderung von Innenstadt-Projekten im Programmkatalog. Hiermit soll die Zwischennutzung von »Gewerbeflächen mit individuellen Ladenkonzepten, Veranstaltungen mit Magnetwirkungen, die den Handel in den Zentren stärken« finanziert werden.
»Um die Leipziger Innenstadt mache ich mir keine Sorgen«, resümierte Burkhard Jung am Ende der Pressekonferenz. Das Bundesinnenministerium möchte bereit 2022 erste Ergebnisse sehen. Ab Mitte des Jahres rechnet die Stadtspitze mit den Studierräumen in leerstehenden Ladengeschäften. Dazu macht sich auch der neu eingesetzte Citymanager nach Jung »bezahlt«, der die Immobilieneigentümer für Zwischennutzungen an einen Tisch bekommen soll. Die Stadt ist sich auf jeden Fall sicher, dass temporäre Pop-Ups keine Nachteile für Eigentümer darstellen.
BRITT SCHLEHAHN