»Viele Denkmäler sind nicht so im Fokus, weil sie sich eher an den Rändern der Stadt befinden, eben dort, wo auch Zwangsarbeit meistens stattgefunden hat«, erzählt Anne Friebel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte für Zwangsarbeit. Das ehemalige KZ-Außenlager HASAG Leipzig, heute Kamenzer Straße 10 und 12, stand in den vergangenen Jahren oft in der Öffentlichkeit, weil es aktuell Treffpunkt von Neonazis ist (kreuzer berichtete). Der Standort ist aber nur einer von dutzenden, die an die NS-Geschichte der Stadt erinnern.
Ostfriedhof
Im Leipziger Osten befindet sich der zweitgrößte Friedhof der Stadt. Der Ostfriedhof wurde 1879 eröffnet und dient seit dem Kriegsende gleichzeitig als Gedenkfriedhof – so bezeichneten die DDR-Parteifunktionäre den Friedhof. Das ist kein Zufall. Von 1945 bis 1962 fanden dort Arbeiten für Exhumierung und Untersuchung der unordentlich begrabenen Skelette statt. Das Ergebnis davon ist unter anderem die 1956 veröffentlichte Materialsammlung über Morde an politischen Häftlingen in Lindenthal und in der ehemaligen 11er Kaserne im April 1945 sowie aufgefundene Massengräber, die aktuell in dem Leipziger Archiv zu finden ist.
Insgesamt gibt es sechs Denkmäler auf dem Friedhofsgelände: für Widerstandskämpfer des Zweiten Weltkriegs, für gefallene polnische, sowjetische und italienische Soldatinnen, für Zwangsarbeiterinnen verschiedener Nationen und Sondergräber für Deserteure der Wehrmacht.
Doch nicht alle Denkmäler und Gräber sind richtig gekennzeichnet. In der Sowjetunion wurden die Informationen auf den Kriegsdenkmälern entsprechend der Parteilinie verallgemeinert: Zum Beispiel auf einem Grabstein, der ausschließlich auf die Holocaustopfer hinweisen soll, wurde »Sowjetische Opfer des Faschismus« geschrieben. Das hat die Arbeit der modernen Historikerinnen erschwert. Laut der Gedenkstätte für Zwangsarbeit ist auch der Leipziger Ostfriedhof davon betroffen: Wo Zwangsarbeiterinnen begraben seien, stehe nur »sowjetische Bürgerinnen« oder ähnliche Bezeichnungen.
Grabstätten der Zwangsarbeiterinnen und anderen Ermordeten durch die Nazi-Diktatur befinden sich auf den meisten Leipziger Friedhöfen. Sie bleiben aber außerhalb der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit. »Diese Gräber sind auch Denkmäler, aber sie sind in der öffentlichen Wahrnehmung kaum bekannt, zumal dort auch die Hintergrundinformationen fehlen«, kommentiert Anne Friebel.
Gedenkstätte Straße der 53
Warum wurde eine Straße außerhalb der Wohnorte so unüblich genannt? Nur eine Woche bevor US-Truppen in die Stadt kamen, am 12. April 1945, wurden an diesem Ort 53 Häftlinge des Polizeigefängnisses von der SS erschossen. Das war nicht weit weg von den Kasernen in Lindenthal, wo ebenfalls viele Menschen im April ermordet wurden. Warum genau diese 53 Menschen hingerichtet wurden, weiß man heute nicht. Laut der Stiftung Sächsische Gedenkstätten sind sie »von der Gestapo willkürlich zur Erschießung ausgewählt worden«. 24 von ihnen stammten aus der Sowjetunion. Alle Ermordeten wurden später in Anwesenheit von über 1.000 Menschen auf dem Friedhof der Kirchgemeinde Lindenthal beigesetzt.
Fünfzehn Jahre nach dem Kriegsende wurden die Getöteten erneut bestattet und am Ort ihrer Ermordung wurde ein Denkmal mit den Namen aller 53 Opfer errichtet. Kurz vor der Restaurierung im Jahr 2019 schrieben Nutzer in den Google-Rezensionen, dass das Denkmal völlig in Vergessenheit geraten und nicht im besten Pflegezustand war.
Grohmann & Frosch
Dieser Name ist noch immer auf dem großen Backsteingebäude am Karl-Heine-Kanal noch zu sehen. Hier befand sich ein Werksstandort der Verzinkerei. Das »Stelzenhaus« diente während des Krieges als Unterkunft: Da verbrachten auch italienische Militärinternierte ihre kurzen Ruhestunden, die als Zwangsarbeiter für die Firma dienten.
Die Verzinkerei stellte wie viele andere deutsche Unternehmen in den 30ern den Betrieb um: Während der NS-Zeit fertigte die Firma Teile für U-Boote und Flugzeuge, Munitionskisten und Benzintanks an. Für das Unternehmen waren Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangene tätig. »Im März 1945 waren neben 255 deutschen Arbeitern 334 ausländische zivile Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus Frankreich, Italien, der Sowjetunion und der Slowakei in den Werken beschäftigt«, teilt die Gedenkstätte für Zwangsarbeit mit. Heutzutage befindet sich dort ein Park mit Spielplätzen. Zahlreiche Zugschienen verlaufen immer noch durch das Gelände, aber die Parkbesucherinnen kennen kaum die Geschichte des Ortes. In dem Park gibt es keine Informations- oder Gedenktafel.
Außer dem Standort am Karl-Heine-Kanal hatte die Firma auch eigene Betriebs- und Gemeinschaftslager in der Spinnereistraße und Lagerplatz auf dem Pötzschker Weg – alles im heutigen Industriegebiet.
Frauen-KZ-Außenlager in der Parkallee
Wo derzeit Bäume wachsen, standen früher die Baracken. Die Geschichte dieses Ortes begann am 22. August 1944, als 500 ungarische Jüdinnen aus dem KZ Stutthof für die Arbeit bei ATG Maschinenbau Leipzig eingeliefert wurden. Die Frauen wurden gezwungen, zehn Stunden pro Tag Waffen zu produzieren. Wer den Druck nicht mehr ertragen konnte, wurde zurück in den KZ Stutthof oder Bergen-Belsen deportiert und ermordet. Auch kranke und schwangere Frauen galten als nicht arbeitsfähig und wurden zurück deportiert.
Als das Kriegende nahte, versuchten die Nazis alle Spuren des KZ-Systems zu vernichten. So kamen 800 Frauen aus dem aufgelösten KZ-Außenlager Hessisch-Lichtenau in das Schönauer Lager. Bald wurden 315 Häftlinge zum Todesmarsch über Wurzen, Oschatz, Strehla in Richtung Elbe gezwungen. Wenn eine Frau nicht mehr laufen konnte oder versuchte zu fliehen, tötete die SS sie. Am 25. April 1945 wurden die Überlebenden von den US-Soldaten befreit.
Im Jahr 2014 initiierte die Freie Schule und der Bund der Antifaschisten Leipzig die Installierung einer Gedenktafel. 2017 beschädigten Unbekannte die Tafel mit einem Graffito. Anne Friebel macht sich Sorgen, dass nicht alle die Bedeutung von diesem Denkmal verstehen: »Den unmittelbaren Anwohnerinnen fällt diese Tafel natürlich auf, aber darüber hinaus ist sie weniger bekannt. Auch das Wissen, was an diesen Orten geschah, ist nicht so verbreitet.«
Rumjanzew-Denkmal
Ein unauffälliger Stein mit nur drei Namen steht seit 1960 in Leipzig-Grünau. Ein Name ist auf dem Straßenschild zu sehen: Nikolai Rumjanzew. Hinter diesem kleinen Denkmal versteckt sich die Geschichte einer Widerstandsgruppe. »Das ist eigentlich eine total spannende Geschichte, über die es auch schon Forschungsarbeiten gibt, die aber in der öffentlichen Wahrnehmung wenig Platz hat«, erklärt Anne Friebel aus der Gedenkstätte für Zwangsarbeit.
Die Widerstandsgruppe »Internationales Antifaschistisches Komitee« bestand aus sowjetischen Zwangsarbeiterinnen, Kriegsgefangenen und deutschen Kommunistinnen. Sie fing ihre Arbeit 1942 unter der Leitung des sowjetischen Zwangsarbeiters Nikolai Rumjanzew und des deutschen Kommunisten Maximilian Hauke an. »Im Raum Leipzig fand der Widerstand zu einem nicht unerheblichen Teil in Verbindung mit Zwangsarbeit statt«, schreibt der Historiker Marco Brödel 2013. Die Widerstandskämpferinnen verbreiteten Flugblätter, um einen Aufstand zu provozieren. Doch die meisten Antifaschisten wurden 1944 durch die Gestapo verhaftet: Zwangsarbeiterinnen wurden nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet, die deutschen Mitglieder wurden Ende 1944 vor dem Volksgerichtshof angeklagt. Vier davon bekamen Todesurteile, aber die Bombardierung Dresdens verhinderte die Vollstreckung und sie konnten flüchten.