Am 27. Januar wird den Opfern des Holocaust gedacht. An diesem Tag im Jahr 1945 befreite die Sowjetarmee die Inhaftierten im KZ Auschwitz-Birkenau. Zu der Zeit befand sich in Leipzig, in der heutigen Kamenzer Straße 10 und 12, das KZ-Außenlager HASAG Leipzig. Von Juni 1944 bis zur Befreiung Leipzigs im April 1945 befand sich hier das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald. Zudem wurde im Herbst 1944 ein Lager für 700 männliche KZ-Häftlinge eingerichtet. Ihre Arbeitsstätte – die Hugo Schneider AG, kurz HASAG – lag 20 Fußminuten entfernt an der Permoser Straße. Auf dem Gelände begann vor 20 Jahren die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig mit ihrer Arbeit. Sie gehörte zu den ersten ihrer Art in Deutschland.
Für eine Verbesserung der Situation
Aus Anlass des Gedenktages übergibt der Trägerverein der Gedenkstätte Oberbürgermeister Burkhard Jung eine Erklärung, um erneut auf die wichtige Rolle einer neuen Erinnerungspolitik im Hinblick auf die Kamenzer Straße hinzuweisen. Bereits im Mai 2020 beschloss der Stadtrat, dass der Ort im Osten der Stadt eine besondere Rolle einnimmt und verurteilte die Nutzung durch Neonazis. »Wir fordern mit der Erklärung die Stadt Leipzig auf, sich endlich aktiv für eine Verbesserung der Situation in der Kamenzer Straße 12 einzusetzen und das Gebäude in das Eigentum der öffentlichen Hand zu überführen«, sagt der Vorsitzende des Trägervereins der Gedenkstätte Jonas Kühne. Die die seit Jahren bestehende Situation, die sich seit dem Beschluss auch nicht veränderte, beschreibt er so: »Die heutige Nutzung des Gebäudes stell ein Bedrohungsszenario dar, das ein ein Aufsuchen des Ortes im Rahmen von Gedenkveranstaltungen oder Bildungsarbeit nahezu unmöglich macht.«
Der kreuzer berichtete bereits hier und hier über die bisher nicht vorhandene städtische Erinnerungskultur vor Ort. Mitte Dezember 2021 antwortete das dafür zuständige Kulturamt dem kreuzer: »Die Anbringung einer Gedenktafel zur Erinnerung an das Außenlager des KZ Buchenwald in der Kamenzer Straße ist im aktuellen Gedenktafelprogramm, welches bis zum Jahr 2025 reicht, enthalten. Das Kulturamt beabsichtigt die Umsetzung im Jahr 2022, ein genaues Einweihungsdatum steht noch nicht fest.«
Josephine Ulbricht, Mitarbeiterin der Gedenkstätte, erklärt dazu: »Erfreulicherweise führen wir inzwischen Gespräche mit dem Kulturamt der Stadt Leipzig über die Errichtung einer städtischen Informationstafel vor Ort.« Doch sie gibt auch zu bedenken, dass durch den aktuellen Eigentümer allein der Besuch in der Kamenzer Straße alles andere als normal bezeichnet werden kann. Sie fürchtet daher, »dass sich Menschen aufgrund der Eigentümerverhältnisse mitunter nicht an den Ort trauen, um sich zu informieren und zu gedenken.«
Dobermann und rechter Szenecode
Was das konkret heißt, konnte der kreuzer vor einem Jahr beobachten: Videokamera, scharfer Dobermann am Tor, ein matt lackierter Porsche Cayenne mit Leipziger Autokennzeichen und der Zahlenfolge 2004, Szenecode für Hitlers Geburtstag. Wer möchte an so einem Ort verweilen und der Opfer des Holocaust gedenken? In Privatbesitz seit 2007, geriet das Gelände vor allem durch rechtsextremistische Aktivitäten – wie Konzerte und Kampfsportveranstaltungen – in die Schlagzeilen. Die Gedenkstätte erklärt dazu: »Die Nutzung eines früheren KZ-Geländes durch Neonazis ist ein Skandal und bagatellisiert das Leid der dort früher inhaftierten Gefangenen. Dieser Zustand ist unwürdig und nicht hinnehmbar.«
In der Erklärung weist die Gedenkstätte daher erneut auf die außerordentliche Wichtigkeit des Ortes, denn das »heute noch vorhandene Fabrikgebäude der ehemaligen HASAG in der Kamenzer Straße 12 bildete das zentrale Gebäude des Frauenaußenlagers. Es wurde 1940 für das sogenannte Nordwerk der HASAG errichtet und diente alsbald der Unterbringung von polnischen zivilen Zwangsarbeiterinnen. Im Juni 1944 wurde dieses Gebäude mit den daneben befindlichen Baracken zum KZ-Außenlager umfunktioniert, In den hohen Hallen des Fabrikgebäudes wurden Schlafsäle eingerichtet, während sich im Erdgeschoss die Krankenstation, die Schreibstube sowie die Kantine des Lagers befanden. Im Keller lagen der Waschbereich und Kammern, die als Zellen für Inhaftierungen benutzt wurden. Dieser Ort in der Kamenzer Straße steht für Ausbeutung, Gewalt und Tod während der NS-Zeit.« Es handelt sich hierbei um »das einzige heute noch erhaltene bauliche Relikt eines KZ-Außenlagers im Stadtraum Leipzig und damit ein Ort von herausragender historische Bedeutung.«
Bezogen auf den Stadtratsbeschluss vom 28. Mai 2020, der besagt, dass die Stadt die besondere historische Bedeutung anerkennt und die aktuelle Nutzung durch Neonazis verurteilt, fordert die Gedenkstätte, dass das Gelände in den öffentlichen Besitz übergehen muss. Die Erklärung unterzeichneten bisher unter anderem die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Andrea Genest, die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Thomas Lutz, Gedenkstättenreferent Stiftung Topografie des Terrors, Jens Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, das Internationale Komitee Buchenwald-Dora, die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig, die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, Romano Sumnal, Verband der Roma und Sinti in Sachsen, die Sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem NS.
Der volle Wortlaut der Erklärung sowie die Möglichkeit ihrer Unterzeichnung finden sich hier.
BRITT SCHLEHAHN