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Kultur

»Ich muss immer etwas tun, weinen bringt jetzt nichts«

Autorin Svetlana Lavochkina über den Krieg in ihrer Heimat und ihren neuen Roman

  »Ich muss immer etwas tun, weinen bringt jetzt nichts« | Autorin Svetlana Lavochkina über den Krieg in ihrer Heimat und ihren neuen Roman

Die Autorin und Übersetzerin ukrainischer und russischer Lyrik Svetlana Lavochkina ist in Saporischschja, in der östlichen Ukraine, geboren und aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Leipzig, wo sie als Lehrerin arbeitet. Lavochkina schreibt auf Englisch. Ihre Novelle »Dam Duchess« wurde 2013 mit dem Pariser Literaturpreis ausgezeichnet. Jetzt ist das Buch mit dem Titel »Die rote Herzogin« in der Übersetzung von Diana Feuerbach auch auf Deutsch erschienen (Voland&Quist, 2022).

Wir treffen uns am Rande einer Kundgebung vor der Nikolaikirche, Svetlana Lavochkina hat gerade eine Rede gehalten, was sie eigentlich überhaupt nicht mag, aber in diesem Fall hat sie zugestimmt. Während auf dem Platz Antikriegslieder gesungen werden, ziehen wir uns ein Stück zurück.

kreuzer: Frau Lavochkina, wie geht es Ihnen?

Svetlana Lavochkina: Gerade eben habe ich von meiner ehemaligen Klassenkameradin die Nachricht bekommen, dass Horliwka befreit wurde, die Stadt, in der ich studiert habe und wo man erwachsenes Bewusstsein geboren wurde. Die Stadt war seit 2014 besetzt. Das ist kaum zu glauben, ich hoffe, dass die Stadt durchhalten wird.

kreuzer: Wie haben Sie die vergangenen Tage verbracht?

 Die Nachricht vom Kriegsausbruch hat uns im Urlaub erwischt. Wir haben schon geahnt, dass etwas passieren wird, aber das Ausmaß haben wir uns nicht vorstellen können. Wir dachten, es gehe eher um Abschreckung. Es hat sich doch anders erwiesen. Es ist unfassbar, aber man gewöhnt sich schnell daran, wir sind zum Überleben bestimmt und wir orientieren uns schnell. Es bringt nichts, wenn wir da verloren stehen und weinen. Ich bin immer für praktische Lösungen: Was kann ich jetzt tun? Wenn ich die Opfer jetzt beweine, verzögert es nur meine Handlungsmöglichkeiten.

kreuzer: Sie sind jetzt vermutlich Tag und Nacht mit Freunden, Bekannten, Verwandten in der Ukraine im Kontakt...

 Ja, ich arbeite ja hier an der Waldorfschule, wo Handys verboten sind, aber ich habe jetzt mein Handy auf den Tisch gelegt und gehe auch ran, wenn etwas Wichtiges ist, wenn ich etwas erledigen kann.

kreuzer: Haben Sie auch Kontakt zu Menschen in Russland, haben Sie einen Einblick, wie dort die Stimmung ist?

Meine Tante wohnt in Moskau, ihre ganze Familie war immer sehr beeindruckt von Putin. Wir sind ja Juden und sie fanden toll, dass er nicht offen antisemitisch war und haben alles andere verblendet. Aber es gibt dort auch viele mutige Menschen. Und auch viele Intellektuelle oder Popstars wie Alla Pugatschowa haben sich geäußert, was mich gefreut hat. Die Russen beginnen in vielen Großstädten zu protestieren und gerade das könnte funktionieren. Das Putin-Regime können nur die Russen stürzen. Und das sollte von den Leuten ausgehen, die Putin nahe stehen. Das sind so die Szenarien, von denen wir träumen.

kreuzer: Was aber auch aufgrund der medialen Lage und der dortigen Propaganda sehr schwer ist ...

Das ist sehr schwer. Ich habe mir einige Male politische Sendungen im russischen Fernsehen angeschaut und was sie dort machen, ist eine sehr gute Propaganda, die wissen sehr gut, was sie tun. Es ist eine verkehrte Welt, die keinen Bezug hat zur Realität, aber die Menschen denken, dass es so ist. Ich kenne auch Umfragen aus erster Hand, da werden Menschen zu ihrer Position zum Krieg befragt. Vielen ist es egal, manche sagen, ich bin dagegen oder Krieg an sich ist schlecht und es wird auch uns schlecht gehen, aber sehr viele sagen auch, ich mag zwar keinen Krieg, aber wir müssen doch unsere Russen dort retten, die werden dort massakriert. Und es gibt auch die Extremen, die den Krieg es befürworten. Aber immer mehr Menschen ändern jetzt ihre Meinung. Ich kenne auch Menschen hier, die immer Putin-Versteher waren und die haben uns nach dem Ausbruch des Krieges unter Tränen angerufen und sich entschuldigt und ihre Hilfe angeboten.

kreuzer: Sie haben schon eingangs betont, dass Sie ein Mensch sind, der immer etwas tun musst. Kürzlich sprachen Sie im DLF darüber, dass das Wort für Autorinnen eine starke Waffe sein kann. Wie meinten Sie das?

Wir wissen ja, wie man Worte wirkungsvoll gestalten kann, wir wissen, wie man den Satz formuliert, dass er sticht. Die Kultur ist ein Medium, das weder logisch noch zu greifen ist, aber welches uns als Menschheit geschaffen hat. Wir sind nicht viel besser als Tiere, aber in unserer menschlichen Welt funktionieren die Geschichten, wir leben von den Geschichten, die haben uns geschaffen. Und an diese Geschichten glauben viele, und deswegen können wir uns versammeln und tun. Wir sind im Dienste der Geschichten und die tragen wir weiter. Besonders die Dichter, deren Worte ja sehr konzentriert sind, wie Schnaps, 40 Prozent, die Romanautoren sind eher Wein, aber die Dichter sind wie Schnaps, das betört und schafft Verständnis. Und die Kunst lebt auch unter der jungen Generation, wenn ich auf meine Schüler zum Beispiel denke.

kreuzer: Apropos Geschichten. In den letzten Tagen ist Ihr neuer Roman »Die rote Herzogin« auf Deutsch erschienen, in dem es um die Ukraine während des Roten Terrors geht. Im Vorwort, das sich wie eine Triggerwarnung liest, sagen Sie zusammengefasst auch, dass Sie mit Ihren Geschichten die westlichen Leserinnen aufrütteln wollen.

Ich habe offenbar schon damals etwas gespürt. Ursprünglich sollte es Teil von »Puschkins Erben« werden, dann hab ich mich dagegen entschieden. »Puschkins Erben« spielt in der Breschnew-Ära, es ist alles traurig, sarkastisch, aber immerhin friedlich und human, man konnte da leben und auch etwas schaffen. In der Zeit des stalinistischen Terrors, in der »Die rote Herzogin« angesiedelt ist, musste man nur überleben und dafür tat man alles. Meine Übersetzerin hat zu mir gesagt, schau, es gibt hier keine einzige positive Figur in dem Text. Aber so war das, und es war auch wirklich schwierig, sympathisch zu sein in dieser Zeit und ich bin sehr froh, dass ich da nicht leben musste. Natürlich gab es auch mutige Menschen, aber die haben meist nicht überlebt, wurden erschossen oder in den Gulag geschickt.

kreuzer: Ihr Roman ist eine Art morbide Groteske, die auch die damalige Propaganda, die hohlen Sprüche entlarvt. Sehen Sie da vielleicht eine Fortführung, eine Parallele zu heute?

Seit einigen Jahren ja. Die Russen haben Putin über so eine lange Zeit geduldet, dass er jede Menschlichkeit verloren hat. Er hat sich als Diktator entpuppt, und sie haben es zugelassen. Es sind immer einige Mutige auf die Straße gegangen, haben protestiert, aber der Machtapparat ist sehr stark, sie wurden schnell verhaftet oder beseitigt. Und nach 2014, als die Krim besetzt wurde, als Donbass besetzt wurde, da wurde sehr wenig Widerstand geleistet, hat kaum jemand protestiert. Und deswegen denke ich auch, dass Putin das, was jetzt passiert ist, sehr lange vorbereitet hat. Aber sein Plan mit einem Blitzkrieg ist trotzdem nicht ganz aufgegangen. Die russischen Soldaten wissen oft gar nicht, wo sie hingeschickt wurden. Ich habe schon einzelne Nachrichten bekommen von solchen, die umgedreht sind. Aber es passieren genug schlimme Dinge.

Ich bange um viele, aber ich kann nicht still sitzen und trauern. Ich kann nichts dafür, dass sie in den Kellern sitzen müssen, aber ich kann organisieren, koordinieren, helfen. Und wenn viele Leute das tun werden, dann wird auch Russland ein anderes Land; und wir hoffen alle, dass sich Russland wandelt.

kreuzer: Sie leben seit langer Zeit in Deutschland, sind in der Ukraine mit Russisch aufgewachsen und schreiben auf Englisch, das sie als junges Mädchen gelernt haben. Diese Mehrsprachigkeit taucht als in Ihrem Roman auf. Welche Rolle spielt sie für Ihr Schreiben?

Eine große! Aber es hat lange gedauert, bis ich die erste Geschichte geschrieben habe, da war ich schon Anfang dreißig. Auf Russisch wollte ich nie schreiben, hatte auch das Gefühl, auf Russisch nichts sagen zu können. Die Sprache ist für mich so etwas wie ein Kurier in die anglofone Welt. Deutsch ist wiederum meine Alltagssprache. Ich kann auch etwas auf Deutsch schreiben, aber die meiste und umfangreichste Lektüre habe ich auf Englisch gelesen, daher schreibe ich auch auf Englisch. Auf Ukrainisch habe ich auch nie geschrieben, dafür aber zeitgenössische ukrainische Literatur ins Englische übersetzt. In der Coronazeit habe ich zum ersten Mal Gedichte ins Ukrainische übersetzt, und jetzt auch meinen aktuellen Roman »Carbon«, einen Versroman über die Ostukraine, den es bis jetzt nur auf Englisch gibt. Der ukrainische Text steht sogar auf der Longlist eines wichtigen Preises. Aber jetzt ist Krieg, jetzt interessiert mich das nicht.

Svetlana Lavochkina liest aus: »Die Rote Herzogin« am 19.3. um 19 Uhr in der Moritzbastei


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