Am Donnerstag wurde der diesjährige Preis der Leipziger Buchmesse vergeben. In allen drei Kategorien spielte das Übersetzen eine zentrale Rolle.
»Lange blieb das Unheil aus. Lange Zeit. / Lange gab es keinen Krieg. Lange Zeit.« Laut und lange hallten die Worte der Luhansker Dichterin Jelena Zaslavskaja in der Glashalle nach, mit denen der Messechef Oliver Zille die Preisverleihung eröffnete. Seit drei Wochen ist alles anders, seitdem wiegt jedes Wort schwer und in den Messenhallen, die zu anderen Zeiten voller Bücher wären, werden derzeit Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht. »Jetzt sind wir wie das Schwarzbrot im Krieg, / Früher aber waren wir wie das goldene Korn«, heißt es in dem 2015 verfassten Gedicht, das Alexander Filyuta und Matthias Kniep ins Deutsche übertragen haben.
Angesichts des mörderischen Krieges ist es nicht einfach, eine feierliche Rede zu halten und in ebensolche Stimmung zu kommen. Vor diesem Hintergrund bekommt die Übersetzung eine beinahe symbolische Bedeutung. Übersetzung als eine Möglichkeit des Sich-Verstehens, des Dialogs. Als eine Brücke – die wohl häufigste aller Metaphern. Als Hoffnung vielleicht, dass sich weiterhin Brücken bauen und aufrecht erhalten lassen. Und mit den Worten der Dostojewski-Übersetzerin Swetlana Geier: Übersetzen als Sehnsucht nach etwas, was sich immer wieder entzieht. Es ist ein Zufall, ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren und doch ein symbolisch aufgeladener Umstand, dass bei dem diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse das Übersetzen in allen drei Kategorien eine zentrale Rolle spielte, in allen drei Kategorien wird auch das Übersetzen als solche gewürdigt. Und dass in diesem Jahr alle ausgezeichneten Bücher aus kleinen der großen Verlage stammen, kann auch als ein deutliches Zeichen der Jury gelesen werden.
Anne Weber erhielt den Preis für ihre Übersetzung des Romans »Nevermore« von Cécile Wajsbrot. In diesem übersetzt eine französische Autorin, die auch Übersetzerin ist, »To the Lighthouse« von Virgina Woolf – und diesen Text hat dann wiederum Anne Weber, eine deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin, ins Deutsche übersetzt. Wunderbarer geht es kaum. Einen »Roman Noir« der Übersetzungskunst bezeichnete die Jury das Buch.
Uljana Wolf wurde für ihr Sachbuch über das Übersetzen von Lyrik »Etymologischer Gossip. Essays und Reden« ausgezeichnet. Ein, wie es in der Begründung heißt, höchst komplex geschriebenes Buch und das von einer Poetin, die auch als Übersetzerin renommiert ist. Eine Einladung, fröhlicher Sprachwissenschaft zu lauschen und ein Musterbeispiel für Essayistik, schwärmte die Jury.
Und nicht zuletzt rundet der Preis in der Kategorie Belletristik die ganze Sache ab: Für seinen Roman »Eine runde Sache« wurde der in Galiläa geborene und in Berlin lebende Tomer Gardi geehrt – der seinen Roman zur Hälfte auf Deutsch und zur Hälfte auf Hebräisch verfasst hat, die dann wiederum Anne Birkenhauer ins Deutsche übertrug. Der Roman sei ein Schelmenstück, in dem Wirklichkeit und Fiktion aufeinanderprallen, ein großzügiger Roman von hoher sprachlicher Präzision, in dem unser Bedürfnis nach Korrektheit und Geradlinigkeit ebenso wie ästhetische Normen hinterfragt werden, schwärmt die Jury.
Tomer Gardi: Eine runde Sache. Zur Hälfte aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Graz: Droschl 2021, 256 S., 23€
Cécile Wajsbrot: Nevermore. Aus dem Französischen von Anne Weber. Göttingen: Wallstein 2021, 229 S., 22€
Uljana Wolf: Etymologischer Gossip. Essays und Reden. Berlin: kookbooks 2021. 232 S., 22€
Titelbild: Leipziger Messe / Tom Schulze