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Kultur

Vom Rande her betrachtet

Roman Sikora liest aus »Frühstück mit Leviathan«

  Vom Rande her betrachtet | Roman Sikora liest aus »Frühstück mit Leviathan«

Der tschechische Dramatiker Roman Sikora stellte in einer kleinen szenischen Lesung am Mittwoch »Frühstück mit Leviathan« vor, eine Anthologie seiner Stücke über die neoliberale tschechische Gesellschaft.

Am Mittwochabend, während in der Nikolaikirche der Buchpreis zur Europäischen Verständigung an den österreichischen Schriftsteller Karl-Markus Gauß verliehen wurde – einen unermüdlichen und feinfühligen Beobachter Europas und dessen Ränder –, fand am Rande der doch irgendwie Messe eine kleine szenische Lesung statt. Der tschechische Dramatiker Roman Sikora servierte zusammen mit der Übersetzerin und Herausgeberin Barbora Schnelle das »Frühstück mit Leviathan« – eine Anthologie seiner unlängst ins Deutsche übertragenen Stücke.

Nun liegt Tschechien, das sich selbst gern in der Mitte Europas weiß, nicht wirklich an dessen Rande, doch führt uns der im besten Sinne unbequeme Autor Roman Sikora mit seinen politischen Stücken ins Randständige. Schon durch den linken Blick, den kritischen Geist, mit dem er in seinen Theaterstücken – die von Publikum gefeiert, von der Kritik zerrissen und nach Sikoras Worten kaum aufgeführt werden, was zugegeben eine maßlose Untertreibung eines undergroundigen Autors ist – die neoliberale tschechische Gesellschaft ziseliert. Und es ist eben das Randständige, das unseren Blick schärft, das, was abseits der klar konturierten Farben und der allgemeinen Erzählung passiert. In Zeiten wie diesen, aus denen die Schattierung schnell verschwindet und die Welt immer mehr in schwarz-weiß gezeichnet wird, umso mehr.

CoverWer sich in Tschechien heute links verortet, wird nach wie vor argwöhnisch beäugt, als träge man die blutrote Fahne in der Hand. Gerade jetzt, in Zeiten, in denen die sonst latent ausländerfeindliche, ewig gespaltene tschechische Gesellschaft, die sich vor kurzem rigoros weigerte, Flüchtlinge ins Land zu lassen, mit einer geeinigten solidarischen Geste ihre Arme für Ukrainerinnen öffnet. Ukrainerinnen, von denen viele seit Jahren in Tschechien leben und bis vor einigen Wochen meist als randständige billige Arbeitskräfte betrachtet wurden, werden nun zu Heldinnen Europas erklärt. Mit allem Respekt für die enorme Hilfsbereitschaft und Engagement vieler – vor allem NGOs und gemeinnütziger Vereine, die kürzlich noch von der Politik als Nutznießer diffamiert wurden und denen nun von derselben Seite applaudiert wird. Da lohnt es, einen Blick unter die Oberfläche zu werfen, und auch den leisen Tönen eines Roman Sikora zuzuhören. Denn vom Rande her – vielleicht eben durch die übersetzten dramatischen Texte eines kritischen Autors – bekommt man Einblicke in ein Land, seine Kultur und Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen und  Facetten, weit weg von bierseligen Klischees und anderen Verallgemeinerungen. Sikoras Mittel ist bittere Satire, die Entmenschlichung der Gesellschaft durch die Auswüchse des wütenden Neoliberalismus übersetzt er in eine reduzierte, stotternde und ja, kaputte Sprache, voller Redundanzen und syntaktischen Entgleisungen.

Dass die zeitgenössische Dramatik ein wichtiger Beitrag zu kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Diskursen bedeutet, muss nicht betont werden. Durch den Blick über die Grenzen hinweg ermöglicht die Theaterübersetzung Zugang zu Auseinandersetzungen oder kritischen Themen in anderen Gesellschaften. Dafür setzt sich der Verein Drama Panorama ein, das sich auch Forum für Übersetzung und Theater nennt. In einer Reihe bringt er zusammen mit dem Neofelis Verlag neue internationale Theatertexte heraus – nicht nur aus Tschechien, sondern zum Beispiel auch spanischsprachige Texte aus Argentinien, Chile, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Spanien und Uruguay (»Mauern fliegen in die Luft«), internationale queere Dramatik (»Surf durch undefiniertes Gelände«), Texte aus Frankreich und Belgien (»Afropäerinnen«) oder die des israelischen Dramatikers Hanoch Levin (»Die im Dunkeln gehen«). Durch diese kleine, manchmal vielleicht eher unscheinbare Tür, die sich hier öffnet, lohnt es sich einzutreten und zu schauen, was es sich abseits des Haupteingangs alles beobachten lässt.


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