anzeige
anzeige

Fast wie immer, nur ganz anders

Literaturredakteurin berichtet von der Popupmesse

  Fast wie immer, nur ganz anders | Literaturredakteurin berichtet von der Popupmesse

Die Leipziger Buchmesse wurde zwar abgesagt, dennoch finden etliche, geradezu unzählige Veranstaltungen in Leipzig statt und die Popupmesse im Werk II wird zu einem rauschig-heimeligen Bücherfest.

Ja, es ist weniger trubelig, nicht ganz so international wie sonst, es gibt keine Schlangen vor Taxen, keine überfüllten Straßen- und S-Bahnen. Dennoch zeigt sich das alte Problem wieder: Es passiert so viel gleichzeitig, dass man gefühlt gar nichts so richtig schafft. Es stellt sich also doch ein wenig ein, das fast vergessene Messegefühl. Auch trotz des Krieges. Der hängt wie eine schwere Wolke an dem sonst strahlenden Himmel. Wenn wir unsere Köpfe kurz von den Büchertischen hochheben, erblicken wir den Schatten, der uns  für einen Moment innehalten lässt. Natürlich sind wir betroffen – noch nie war ein Krieg so nah wie jetzt, so direkt spürbar, Freundinnen und Kolleginnen sind plötzlich mitten drin. Wir sind machtlos, bekunden unsere Solidarität ... und klatschen. Wenn Tanja Maljartschuk zum Beispiel während der langen Nacht österreichischer Literatur (»Wildes Österreich«, Schaubühne Lindenfels, 17.3.) beim Lesen in Tränen ausbricht und sich dafür entschuldigt, mit ihren schweren Themen den schönen Abend zu stören. Aber vielleicht brauchen wir solche Abende umso mehr, sagt sie dann, damit uns bewusst wird, was wir zu verlieren haben. Wird es uns bewusst, während wir uns an der Bar ein neues Glas Wein holen?

Zum Beispiel bei »Metamorphosen« (Haus des Buches, 18.3.), dem Themenschwerpunkt, der politische, kulturelle und soziale Bewegungen von Frauen in den Fokus stellt. Hier konnte man den Stimmen vieler verschiedener Autorinnen lauschen, die der Frage nachgingen, wie traumatische Ereignisse der Vergangenheit, die an den Bruchstellen der Geschichte liegen, erinnert und erzählt werden. Von nachmittags bis tief in die Nacht lasen und diskutierten hier Nino Haratischwili, Katerina Poladjan und Lea Ypi, Andrea Tompa, Alida Bremer, Lana Bastašić  und Valzhyna Mort und Terezia Mora – mit wunderbarer musikalischer Begleitung von Mirna Bogdanović, Trägerin des Deutschen Jazzpreises, und ihrer Band. Dabei ging es unter anderem über Leben in Diktaturen und die Folgen davon, über das Schweigen und die Angst, die nach und nach den Rückgrat einer ganzen Gesellschaft bricht. Ich hätte ewig zuhören können, konnte nur nicht ewig bleiben, aber die Sätze aus den gehörten Texten und Gesprächen trage ich immer noch mit. Und obwohl die Texte nicht von heute handeln, sind ihre Aktualität und Parallelität geradezu erschreckend. Wenn Andrea Tompa über die Sprache für weibliche Sexualität spricht, oder über das große Schweigen in ihrem Roman »Omertá«, in dem unentwegt gesprochen wird: Es ist die Angst, die sich in den Seelen der Menschen einnistet und sie zwar reden, aber trotzdem zum Wesentlichen schweigen lässt. Ihr Roman spielt in der früher zu Ungarn gehörenden rumänischen Provinz in den 1940er Jahren. Tompa ist Theaterkritikerin und ausgesprochene Kennerin der russischen Theaterszene und zeigte sich im Gespräch wenig überrascht, dass in Russland keine Millionen auf die Straße gehen. Angst und Schweigen. Bis das Rückgrat bricht.

Alida Bremers Roman »Träume und Kulissen« versetzt uns wiederum ins Split des Jahres 1936. Ein entscheidendes Jahr, in dem sich deutlich zeigt, wohin sich die Situation entwickelte, die Zeichen waren da, man konnte sie klar sehen und benennen, sagt Bremer im Gespräch und nennt es die große Zeit des Wegschauens und Sich-Nicht-Zugestehen-Wollens. Es ist diese besondere Beklemmung der sich nahenden Katastrophe, gesetzt in mediterrane Kulissen: herrliches Wetter, wunderbares Essen, der Blick aufs Meer. Und doch riecht da die Luft schon deutlich nach Blei und Blut. Aber die ganze Welt schaut weg und wartet auf das große Desaster, stellt Alida Bremer lakonisch fest.

Die Popupmesse ist ein rauschendes Bücherfest – klein, heimelig und beglückend. Endlich trifft man sich wieder, sieht Freunde, Kolleginnen, Bekannte und es wird in der Tat wieder fast überall gelesen. Die meisten Autorinnen zeigen sich recht angetan von der Atmosphäre auf der Messe – alles wunderbar organisiert, getaktet, die Lesungen finden in abtrennten Räumen statt, weg vom Messerummel. Die Wege sind kurz. Das internationale Flair ist diesmal kaum da, aber die Freude ist überall zu spüren. Dass es endlich wieder geht. In der Halle findet sich eine feine Auswahl an Büchern, meist von Independent-Verlagen. Welche Bilanz diese am Sonntagabend ziehen, bleibt abzuwarten. Aber die ausgebuchten, vollen Veranstaltungen in der Stadt zeugen von großem Interesse des (wohl meist) hiesigen Publikums. Klar, die Kapazitäten sind durch die Hygienevorschriften sehr begrenzt. Und so ist es in diesem Jahr auch ein Fest des unabhängigen Buchs – und das zurecht.

Wenn wir danach alle todmüde ins Bett fallen, wissen wir umso mehr, was alles auf dem Spiel steht, was alles verloren gehen kann – und in der Ukraine eben gerade nicht nur verloren geht, sondern vernichtet wird.


Kommentieren


0 Kommentar(e)