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Stadtleben

»Offenere Augen im Club«

Journalistin Lea Schröder über sexualisierte Gewalt durch Leipziger DJS

  »Offenere Augen im Club« | Journalistin Lea Schröder über sexualisierte Gewalt durch Leipziger DJS

Die Leipziger Journalistin Lea Schröder veröffentlichte vor etwas mehr als einem Jahr das Feature »Täter an den Decks-Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt durch Leipziger DJs«. Im kreuzer-Interview hat sie über ihre Erfahrungen bei der Recherche und die Reaktionen dazu gesprochen.

kreuzer: Ein Jahr ist die Veröffentlichung des Features »Täter an den Decks – Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt durch Leipziger DJs« her. Eine große Welle wurde losgetreten. Was haben Sie beobachtet, was hat sich verändert? 

Lea Schröder: Was ich mitbekommen habe ist, dass ein paar Clubs und Kollektive offenbar versucht haben, ihre internen Missstände aufzuarbeiten. Zumindest haben sie sich öffentlich dazu geäußert und es wurden personelle Konsequenzen gezogen. Ob dies gemacht wurde, weil der Druck von außen kam, oder ob der innere Wille da war, etwas zu ändern und Tätern keine Plattform zu bieten, kann ich nicht beurteilen. Unabhängig von der Recherche habe ich den Eindruck, dass sich immer mehr Frauen, nicht-binäre und queere Menschen zusammenschließen und vernetzen.

Sie sprechen auch über die Sicherheit, die Täter teilweise in unserer Szene verspüren. Denken Sie, die wurde ihnen genommen?

Ja und Nein. Es gab Fälle, in denen bekannt wurde, dass Täter sanktioniert wurden. Das kann das Sicherheitsgefühl der Täter einschränken. Auf der anderen Seite hat sich das Patriarchat nicht in Luft aufgelöst. Dementsprechend sind sich die meisten sicher bewusst, dass sie weiterhin eine Machtposition haben und Gewaltausübende auch weiterhin geschützt werden, vor allem in ihren Crews und Freund:innenkreisen.

Unter dem Punkt, was Clubs und Kollektive tun können, nennen Sie in ihrem Feature die Gründung von AGs, die sich mit bestimmten Konzepten auseinandersetzen wie transformativer Gerechtigkeit. Was ist das?

Eine »Interne Awareness AG« könnte sich auf die Unterstützung von Betroffenen vorbereiten, und auch auf den Umgang mit Tätern innerhalb des Kollektivs. Zum Beispiel mit einem Notfallplan, wenn sich eine betroffene Person ans Kollektiv wendet, weil sie Gewalt durch ein Crewmitglied erlebt hat. 

Transformative Gerechtigkeit ist eine Idee und Bewegung, die vor allem von Schwarzen Frauen, queeren und trans Personen in den USA entwickelt wurde. Deren Auffassung nach gebe es keinen Verlass auf staatliche Institutionen. Es gibt zahlreiche Berichte von Frauen und weiblich gelesenen Menschen, die nach einem sexuellen Übergriff Anzeige erstatteten und von den Polizist:innen nicht ernstgenommen oder retraumatisiert wurden. Das Konzept der »Kollektiven Verantwortungsübernahme« soll Alternativen zu staatlichen Institutionen schaffen, um mit Gewalt in den eigenen Communitys umgehen zu können. Das kann auch auf den Clubkontext übertragen werden. Aber ob das immer so funktioniert, ist natürlich fraglich. Es ist auch nicht ungefährlich, wenn Lai:innen mit traumatisierten Menschen arbeiten. Auch für die Arbeit mit Tätern bedarf es ausgebildeter Menschen und braucht es mehr externe Stellen. Davon gibt es nach meinem Wissen nur eine Stelle in Leipzig, die Beratungsstelle zur Täterorientierten Anti-Gewaltarbeit.

Wie war das Feedback, was Sie erhalten haben für das Feature?

Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen von Frauen und queeren Menschen, aber auch von cis Männern erhalten. Mir haben viele geschrieben, dass sie diese Erfahrungsberichte an eigene Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in der Clubkultur erinnerten. Eine weitere Person hat sich gemeldet mit der Nachricht: »Warum bringt ihr das jetzt gerade raus, wo es der Szene so schlecht geht?« Als wäre die Pandemie eine Ausrede, denn Diskurs darüber aufzuschieben. Hassnachrichten habe ich aber nicht bekommen.

Via Instagram hat mir eine Person von einem Gespräch mit einem Freund, der auch DJ ist, berichtet. Die zwei haben beide das Feature angehört. Als sie über die Erfahrungsberichte und Handlungsmöglichkeiten innerhalb der Szene gesprochen haben, habe dieser DJ-Freund gesagt: »Die sollen sich nicht so beschweren.« Damit hat er sich auf die Forderung bezogen, dass DJs, die sexualisierte Gewalt ausüben, mit Boykott und Hausverboten sanktioniert werden sollten. Er hat die Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt völlig ausgeblendet und das als Anlass genutzt, die vermeintliche Übervorteilung und überproportionale Förderung von weiblich gelesenen DJs anzubringen. Und er hat sich darüber aufgeregt, dass er als cis-männlicher Newcomer viel weniger Chancen hätte, als seine Kolleginnen.  

Wie sind Sie mit den persönlichen Erfahrungen, welche Sie von Personen nach der Veröffentlichung bekommen haben, umgegangen?

Es war schwer, meine Rolle zu finden und darauf zu reagieren. Ich möchte die Personen natürlich auch supporten, aber ich wurde total überflutet von Nachrichten, was mich ganz schön gestresst hat. Was die Erfahrungen der betroffenen Personen aus dem Feature angeht, kam ich selber nicht gut damit klar. Ich war nicht die Person, die mit traumatisierten Menschen ein angemessenes Interview führen konnte, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt. Es hat gedauert, bis ich eine professionelle Distanz erreichen konnte.

Inwiefern hat sich was verändert, jetzt wo die Clubs wieder offen haben?

Es wird sich zeigen, ob die ganzen Solidaritätsbekundungen nur Lippenbekenntnisse waren. Ich kann mir vorstellen, dass durch die Recherche einige Leute sensibilisiert wurden und mit offeneren Augen im Club unterwegs sind. Ich kann mir auch vorstellen, dass einige Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, sich trauen, Gewaltausübende zu benennen und Konsequenzen zu fordern. Aber gerade wenn es um Fälle sexualisierter Gewalt in Freund:innenkreisen geht, gehe ich davon aus, dass Täterschutzmechanismen auch weiter angewendet werden.

Mein Gefühl ist, dass viele die Zusammenhänge von Gewalt und Unterdrückung im patriarchalen System nicht erkennen oder erkennen wollen. Das ist aber essenziell, um gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen. Um sexualisierte Gewalt zu bekämpfen, muss jede Form von Sexismus, Diskriminierung und Gewalt überwunden werden. Dabei stehen wir leider noch ziemlich am Anfang. Es reicht auch nicht, wenn sich nur Clubs und Kollektive damit auseinandersetzten, weil wir alle Teil des patriarchalen Systems sind.

Einen ausführlichen Bericht über das Feature von Lea Schröder und was für Konsequenzen Leipziger Clubs seitdem gezogen haben, können Sie in der April-Ausgabe oder hier lesen.

Titelfoto: Anna Luisa Richter


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