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Stadtleben

»Zwingendes Gedenken«

Über die Geschichte des Südfriedhofs

  »Zwingendes Gedenken« | Über die Geschichte des Südfriedhofs

Ein neuer Stadtratsbeschluss soll das ehemalige Sozialistische Ehrenhain auf dem Südfriedhof unter Denkmalschutz stellen

»Den gefallenen Kämpfern aus den Kapptagen. Das dankbare Proletariat« so lautete die Widmung für die Gedenkanlage der Opfer des Kapp-Putsches auf dem Südfriedhof. Hier wurden unmittelbar nach den Auseinandersetzungen Mitte März 1920 die ersten Toten beigesetzt. Zur Eröffnung der Gedenkanlage am 19. März 1922 zogen 80.000 Menschen vom Augustusplatz zum Südfriedhof. Bis 1933 fanden regelmäßig Gedenkveranstaltungen statt. Im Laufe der Zeit verfiel die Anlage.

Vor zwei Jahren beschloss die Ratsversammlung, dass der Gedenkort nahe am Osttor an der Prager Straße wieder in einen würdigen Zustand zu bringen sei. Am 19. März diesen Jahres wurden dann die restaurierten Steine mit den Namen der Opfer eingeweiht. Eine Tafel von der Stadt und der Paul-Benndorf-Gesellschaft zu Leipzig, ein Verein zur Förderung und Pflege von Kulturorten im Bereich des Friedhofs und Denkmalwesens, erklärt die Geschichte der Gedenkanlage.

In den Reden zur Eröffnung kam immer wieder das Wort »Umdenken« vor und das nicht ohne Grund. Ein Zeichen dafür ist die Steinplatte, die sich nun an der rechten Seite des Grabfeldes befindet. Sie ist Teil eines ehemaligen Denkmals. Davon zeugt die heute zu sehende, fragmentierte Gestaltung. Sterne und die Inschrift »Leipzig März 1920« schmücken die Oberseite. Auf den Seiten sind zwei Köpfe und Fäuste von Kämpfenden dargestellt und das Textfragment: »Bei der Abwehr des Kapp-Putsches fielen im Kampf gegen Imperalismus«. Besonders auffällig an dem Stein ist der Riss, der durch die Mitte der Platte geht. Er erzählt eine ganz eigene Geschichte.

Von 1986 bis 2000 befand sich die Platte als ein Teil des Märzgefallenendenkmals im sogenannten Sozialistischen Ehrenhain an der Allee zwischen Nordtor und Kapellenanlage. Die offizielle Bezeichnung dieser Gedenkanlage lautet Ehrenhain des antifaschistischen Widerstandskampfes und der Kämpfer für Frieden und Sozialismus. Seine Errichtung erfolgte 1977 durch die SED-Bezirksleitung. Der Hain diente als Versammlungsplatz für die Kranzniederlegungen am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Er schloss sich an die Erinnerungsorte nahe der Kapellenanlage für die Opfer des Nationalsozialismus an sowie für die Toten, die von 1951 bis Herbst 1989 auf Beschluss des Bezirks- und des Stadtrats hier ihre letzte Ruhestätte fanden.

Von 1982 bis 1986 entstand der Hain nach den Plänen des Wissenschaftlich-Technischen Zentrums für Sportbau Leipzig gemeinsam mit dem Berliner Bildhauer Karl-Heinz Schamal und Studierenden der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Dem neuen Erinnerungsort fielen die Grabanlagen der Opfer des Massakers von Abtnaundorf am 18. April 1945 ebenso zum Opfer wie historische Familiengräber – unter anderem das des Verlegers des C. F. Peters Musikverlages Max Abraham.

Auf dem Boden wurden Natursteinplatten verlegt. Links und rechts von der historischen Lindenallee entstanden Monumente. Vom Nordtor kommend auf der linken Seite ist heute eine grüne Fläche zwischen den Bodenplatten zu sehen. Dort befand sich ursprünglich das Denkmal für die Märzgefallenen. Daneben steht heute noch die Stele der Opfer des Widerstandes zwischen 1933 und 1945. Auf der gegenüberliegenden Seite erheben sich einige Treppenstufen. Auf dem Absatz ist eine Fläche mit Bodenlegern zu sehen. Darauf stand ursprünglich ein Monument mit ausgewählten Ereignissen aus der Geschichte der Arbeiterbewegung bis zur Gründung der SED. Dahinter befand sich eine »Namenswand mit bedeutenden Kämpfern für den Sieg des Sozialismus«, etwa Rosa Luxemburg, Walter Ulbricht und Gerda Taro. Ein heute zu sehender Sockel aus Steinplatten diente als Kranzablagefläche. Die feierliche Eröffnung des Ehrenhains erfolgte am 6. Oktober 1986.

Sechs Jahre später, am 21. Oktober 1992, beschloss die Stadtverordnetenversammlung unter Wahrung der Totenruhe die Umgestaltung des Ortes. Die Kosten für die komplette Umgestaltung sollte 2,3 Millionen Mark betragen. Als nach sieben Jahren immer noch alles so stand wie zur Eröffnung gab es einen Sturm der Entrüstung. Zu den Protestierenden gehörten Erich Loest und die Vereinigung der Stalinismusopfer. 1999/2000 wurde die Namenswand abgetragen. Einzelne Platten befinden sich heute im Zeitgeschichtlichen Forum. Das Hauptmonument und das Märzgefallenen-Denkmal verschwanden. Eine Tafel erinnert zudem an die ursprüngliche Gestalt der Allee und des Ehrenhains.

Mittlerweile setzt allerdings ein Umdenken ein. Der vor dreißig Jahren beschlossene Sturm auf die Denkmäler aus DDR-Zeiten hat sich gelegt. Das Landesamt für Denkmalschutz möchte die gesamte Anlage vom Nordtor zur Kapellenanlage unter Schutz stellen. Das bedeutet, wie Volker Mewes, Abteilungsleiter Friedhöfe, gegenüber dem kreuzer erklärte, dass das ehemalige Ehrenhain in seinem jetzigen Bestand erhalten bleibt. Zusätzlich sollen die 84 Opfer von Abtnaundorf namentlich genannt werden. Dazu muss allerdings der 1992er Stadtratsbeschluss mit dem kompletten Rückbau des ehemaligen Ehrenhains abgeändert werden.

Auch Heiko Rosenthal, der dafür verantwortliche Bürgermeister Umwelt, Klima, Ordnung und Sport, betont den gegenüber dem kreuzer: »Der Ehrenhain ist Teil des Denkmalensembles. Es ist unsere Aufgabe, das zwingende Gedenken und die historischen Blickwinkel an diesem Ort abzubilden.«

Jetzt muss die Stadtverordnetenversammlung den Beschluss von vor 30 Jahren revidieren und für eine entsprechende Erinnerungstafel zur Entstehung und Entwicklung der Allee in den vergangenen Jahrzehnten sorgen.


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