Die Verkehrswende in Leipzig lässt auf sich warten. kreuzer-Redakteurin Nele Rebmann fragt: Wie wäre es mit ein wenig französischer Inspiration?
Zu vergleichen ist menschlich. »Vergleiche helfen uns, mit Herausforderungen umzugehen und unsere eigene Leistung zu verbessern. […] Indem wir uns mit Menschen vergleichen, die in einer bestimmten Sache besser sind, können wir von ihnen lernen«, heißt es auf der Wissenschaftsplattform Quarks. Miteinander verglichen werden können jedoch nicht nur einzelne Menschen, sondern auch unterschiedliche politische Maßnahmen, Konzepte und Städte. So plädiert Johannes Ringel, Professor für Stadtentwicklung an der Universität Leipzig, für konstruktives Vergleichen von gelungenen und mangelhaften Maßnahmen beim Thema Verkehrswandel. Leuchtende Beispiele in Deutschland gibt es jedoch nicht, sagt Ringel. »Für ein richtig gutes Vorbild muss man schon nach Paris fahren«, erklärt er im Interview mit der LVZ.
Ein weitgehend autofreies Stadtzentrum samt Tempolimit 30, ein ausgefeiltes Metro-Netz, Dutzende Kilometer neuer Fahrradwege, Elektrobusse und begrünte Straßen – seitdem die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo in Paris der städtischen Infrastruktur eine 180-Grad-Wende verpasste, ist Paris Verkehrsvorbild. Oberbürgermeister Burkhard Jung wurde im »Leipziger Gespräch« Mitte Januar vor die Frage gestellt: Warum läuft es in Paris besser?
Die Entwicklung der Pariser Verkehrspolitik ist rasant. Denn während die französische Hauptstadt noch vor ein paar Jahren am Individualverkehr erstickte, mausert sie sich seit Kurzem zum Fahrrad-Mekka. So war beispielsweise die Rue de Rivoli, eine der wichtigsten Hauptstraßen im Stadtzentrum, 2019 noch eine Gefahr für Leib und Leben – mit Autos auf zwei Spuren, einer weiteren Spur für Busse, Taxis und Notfallfahrzeuge und nur einem schmalen Streifen für Fahrradfahrerinnen. Nur ein Jahr später hatte sich die Situation komplett verändert: Private Autos dürfen mittlerweile nicht mehr auf die Rue de Rivoli, der Streifen für Krankenwagen & Co. ist geblieben, doch die anderen Spuren gehören heute den Radfahrenden, Menschen auf E-Scootern und ihren Genossinnen. Die Pandemie wurde genutzt: 52 Kilometer wegen Corona eingerichtete Pop-up-Radwege werden nun in dauerhafte Radspuren umgewandelt. Laut der Stadt Paris hat sich die Radnutzung seit Januar 2021 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Anne Hidalgos Plan? Hundert Prozent Fahrradstadt bis 2024. Dafür nimmt sie auch Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe in Kauf.
Schnelle Entscheidungen? Eine (fast) autofreie Innenstadt? Ein Einzelticket für 1,90 Euro? Von manchen Dingen, die in Paris möglich sind oder gemacht werden, können Menschen in Leipzig nur träumen. Stattdessen hier an der Tagesordnung: ewige Debatten über mehr Platz für Fahrradfahrerinnen auf dem Ring, teure Fahrkarten und ein in der Anzahl der Fahrgäste stagnierender ÖPNV – allgemein scheinbar schleppende Prozesse. Da schneidet Paris im Vergleich der letzten Jahre unweigerlich besser ab.
Doch der Vergleich Leipzig versus Paris hat auch seine Mängel, wie OBM Burkhard Jung im Gespräch Anfang des Jahres zu betonen wusste. Denn die Vorher-Situation in der französischen Hauptstadt, also die Zeit, bevor Hidalgo das Zepter in die Hand nahm, war dramatischer, als wir sie uns für Leipzig überhaupt vorstellen können. Zwar bestreitet auch in Leipzig das Auto den größten Anteil am Verkehrsaufkommen (36,5 Prozent; Stand 2018), doch Paris war wirklich eine klassische Autostadt. Und die Hauptstadt hat andere politische Möglichkeiten – in Leipzig hängen Entscheidungen viel mit dem Bundesland Sachsen zusammen.
Also – ja, es läuft aktuell besser in Paris. Das hat jedoch seine Gründe. Eine Eins-zu-eins-Kopie der Mobilitätsmaßnahmen der französischen Metropole zu vollziehen, bringt es für Leipzig wahrscheinlich nicht. Doch ein bisschen Inspiration kann der Stadt definitiv guttun.