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Politik

Praktischer Feminismus an der griechischen Grenze

Ein ehrenamtlicher Verein schafft sichere Orte für Frauen auf der Flucht

  Praktischer Feminismus an der griechischen Grenze | Ein ehrenamtlicher Verein schafft sichere Orte für Frauen auf der Flucht

An einem windigen Aprilnachmittag trifft der kreuzer Sophie Müller-Bahlke, Vorstandsmitglied bei ROSA e.V., in einem Café in Halle. ROSA steht für »Rolling Safespace«, also einem sicheren Ort auf Rädern. Die Idee dahinter ist, Frauen im Fluchtkontext einen Ort für medizinische Hilfe, Gesprächsrunden oder Sportangebote zu stellen. All das findet in einem ausgebauten LKW statt, der verschiedene Geflüchtetencamps anfährt und somit flexibel ist, auch wenn Camps verlegt werden oder Sicherheitsbehörden einen Standort unzugänglich machen.

Das Projekt aus Halle und Berlin wird seit März zum ersten Mal in die Praxis umgesetzt: Ein ausgeliehener LKW inklusive Crew ist aktuell an der griechischen Grenze im Einsatz, um flüchtenden Frauen dort einen sichereren Ort zu bieten. FLINTA* (Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans*, agender Personen) sind auch bei der Flucht von geschlechtsspezifischen Belastungen, wie sexualisierter Gewalt, betroffen. Ein wichtiges Element ist auch eine Kinderbetreuung beim LKW, da diese Verantwortung sonst ein Hindernis darstellen kann, Unterstützungsangebote wahrzunehmen.

Sophie ist zum Zeitpunkt des Interviews selbst noch nicht lange aus Griechenland zurück und bemerkt beim Erzählen, dass sie die Eindrücke noch verarbeitet, sodass nur ab und zu ein Schluck Hafermilch-Latte ihre Schilderungen über die bisherigen Erfolge, Kämpfe und Lernschritte unterbricht.

kreuzer: Wie sah Ihr Alltag in Griechenland aus?

Sophie Müller-Bahlke: Jeder Tag ist anders, alle sind noch am Ausprobieren. Aber die Frauen vor Ort haben das immer am schnellsten verstanden, sich hingesetzt, Tee getrunken und oft waren auch Massen von Kindern da. Es war eine große Herausforderung, zu gucken, dass es nicht zu einem Kids-Space wird, weil Spielzeug da ist und auch manchmal Männer ihre Kinder abgegeben haben, was absolut nicht die Idee war. Aber dann gab es schnell auch Gesprächsrunden zu den Themen Menstruation, Schwangerschaft und Brustkrebsvorsorge mit den Medizinerinnen und unserer Übersetzerin, die selbst eine Fluchtgeschichte hat.

Einen Tag nachdem die Crew angekommen war, war Schneesturm und das war das einzige, womit wir nicht gerechnet haben. Wir haben uns dann aber im Schneegestöber hingestellt und Visitenkarten verteilt, denn es war eine große Sorge, dass die Leute gar nicht verstehen, was wir machen.

Dann waren am Ende des Tages schon mehrere Frauen im LKW, haben gesungen und getanzt und der Ärztin ein paar Fragen gestellt. Damit, dass das schon am ersten Tag genau so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben, hat niemand gerechnet. Das war sehr schön, aber im Nachhinein finde ich es auch ganz schön erschreckend, denn das zeigt ja auch, wie groß dieser Bedarf ist.
 

Auf der Website unter Ihren Begriffen steht bei Frauen »cis Frauen und trans Frauen«. Ist der Rest von FLINTA* damit auch angesprochen?

Menschen fliehen ja auch aufgrund ihrer geschlechtlichen Verordnung. Das heißt, nach außen zu tragen, dass Queers willkommen sind, muss sehr sensibel passieren. Du kannst das nicht einfach an die Tür schreiben, weil Leute sich in Gefahr bringen, wenn sie sich outen. Seit Anfang des Projekts tun wir uns mit der Zielgruppe Frauen schwer, weil das aus unserem politischen Hintergrund einfach nicht mehr geht – da ist klar, es ist für FLINTA*. Wir haben viele Debatten geführt, auch mit FLINTA*, die einen Fluchthintergrund haben und Menschen, die FLINTA* nach der Flucht psychologisch begleitet haben, die alle gesagt haben, dass das in diesem Fluchtkontext einfach Etwas anderes ist. Man muss super vorsichtig damit umgehen, weshalb wir jetzt erstmal gewährleisten können, dass es ein Saferspace für Frauen ist. Wie ein Saferspace für queere oder explizit trans Menschen aussieht, das können wir als vorerst cis Orga-Gruppe auch nicht so gut gewährleisten. Wir sind da aber dran und mit queeren Saferspaces in Athen in Kontakt.

Wir fragen uns auch, wo ein Subkulturimperialismus anfängt. Es sollte nicht unsere Aufgabe sein, unsere Feminismus-Debatte da zu verbreiten, sondern sie praktisch zu leben. Und das heißt vielleicht auch, die eigene Komfortzone, was die politischen Ansichten angeht, ein bisschen zu verlassen.
 

Wie sieht Ihre Arbeit hier in Deutschland aus?

Sie ist online – unser Jitsi-Raum ist ein Wohnzimmer geworden. Wir haben das Glück, dass wir alle sehr unterschiedliche Hintergründe haben – Medizinstudium, Jurastudium. Wir sind schon größtenteils weiß und Akademikerinnen, haben aber zumindest fachlich unterschiedliche Hintergründe, sodass auf jeden Fall alle etwas einfließen lassen können. Gleichzeitig haben wir von vornherein den Anspruch, dass wir uns weiterbilden und uns nicht in unserer eigenen Bubble verkriechen, wo es am gemütlichsten ist.

Und wir treffen uns zwei Mal im Jahr für ein Wochenende offline. Jetzt wird das anders, weil es jetzt die praktische Arbeit gibt und sich Prozesse auch verschieben, wenn das Team wächst.
 

Was waren Ihre größten Lernschritte vom Anfang bis jetzt?

Alle kochen nur mit Wasser. Das war ein richtig großer Lernschritt. Und es ist auf jeden Fall auch ein Credo, denn uns begegnet natürlich viel Gegenwind. Und dann immer wieder zu merken: Andere kriegen es auch hin.

Wir haben uns alle richtig viel weiterentwickelt. Und jetzt kommen die nächsten Schritte, die auch wieder kräftezehrend sind. Ich glaube, wir müssen noch lernen, öfter innezuhalten und anzunehmen, dass man auch mal stolz auf sich und das Geschaffte sein kann. Und sich das gegenseitig sagt und Anerkennung gibt.
 

Wie haben Männer auf Sie reagiert?

Unterschiedlich. Ich fand es erstaunlich, dass echt viele das respektiert und verstanden haben und uns auch aktiv ihre Frauen geschickt haben. Natürlich gibt es dann auch diese Typen, die dann davorstehen und blöde Sprüche machen, gerade der Crew gegenüber, die auch optisch mehr auffällt. Aber es gab auch Typen, die davor stehengeblieben sind und dann jemanden von der Crew angesprochen haben, dass sie ihre Frauen wieder abholen wollen und ob man die mal rufen kann, das war echt süß. Also echt die ganze Bandbreite. Dass zum Beispiel kleine Jungs bei der Kinderbetreuung, auch schon, wenn sie zehn, elf Jahre alt sind, so einen sicheren Raum kaputtmachen können, war auch ein Lerneffekt. Weil sie dann schon mehr gehandhabt werden wie junge Männer, können sie eigentlich sehr früh nicht mehr da sein.
 

Haben Sie denn Männer in der Crew gehabt?

Nein. Wir haben gesagt: auf jeden Fall eine FLINTA*-Crew. Im Orga-Team haben wir auch einen cis Mann und säkulär auch einige cis Männer, weil es meiner Meinung nach auch ein Thema ist, was kein reines FLINTA*-Thema sein muss. Eigentlich fände ich es auch wichtig, dass cis Typen einsehen, dass das Thema alle angeht.

Das Feedback war auch, dass es für viele Frauen angenehm und oft die einzige Möglichkeit ist, sich öffnen zu können, wenn nur Frauen oder weiblich gelesene Menschen da sind. Das wird auch so bleiben – wenn genug FLINTA* LKW-Führerschein machen. Das ist gar nicht so einfach.
 

Wie sehen Anti-Rassismus-Arbeit und Reflexionsprozesse innerhalb Ihrer weißen Crew aus?

Ich glaube, es ist größtenteils ein Bewusstsein dafür da, nicht alles richtig zu machen und eine Offenheit, Sachen zu lernen. Natürlich haben wir uns auch bemüht, BIPoC mit in die Crew und ins Orga-Team zu nehmen. Die ersten drei Monate war die Crew relativ divers, wir hatten Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte und eine Altersspanne von 22 bis über 50.

Zum anderen haben wir für die Crews immer Vor- und Nachbereitung. Da werden diese Themen angesprochen und ein Raum geschaffen, zu fragen, wer hier eigentlich gerade redet und wer nicht. Und wir wollen diesen Kulturimperialismus vermeiden. Wir stellen uns da nicht als weiße Frauen hin und erzählen, was eine Menstruationstasse ist, sondern wir wollen erstmal einen Raum eröffnen. Wenn etwas nicht gefragt ist, ist das auch okay.

Außerdem lehnen wir Anfragen ab, für zwei Wochen Teil der Crew zu sein. Ich frage mich: für wen willst du denn gerade mitkommen? Machst du das für dich, als Abenteuerurlaub? Das ist Arbeit, die nur respektvoll funktionieren kann, wenn man vier, fünf Wochen da ist, auch, wenn das mit Lohnarbeitsverhältnissen häufig nicht geht.

Ich glaube, man kann solche Strukturen nicht komplett vernichten, aber man kann möglichst gute Mechanismen aufbauen, um sie zumindest sichtbar zu machen.
 

Sie meinten gerade schon, dass es oft schwierig ist, länger nicht der Lohnarbeit nachzugehen. Finanzieren Sie sich komplett über Spenden?

Ja, genau. Alle heißen Freiwilligenarbeit ideologisch und politisch nicht gut, weil es eigentlich nicht die Aufgabe von Ehrenamtlichen ist, Arbeit zu machen, die so offensichtlich gebraucht wird. In einem kapitalistischen System wäre es wichtig, dass diese Arbeit bezahlt wird. Jetzt gerade geht alles, was wir zusammenkratzen können, in den LKW und die Spritpreise. Und in die Miete für die Unterkunft vor Ort, weil die Leute schon zu uns kommen und kostenlos für uns arbeiten. Es ist unser politischer Anspruch, zumindest das Haus zu stellen, auch, wenn dafür relativ viel Geld draufgeht.

Das ist auch ein Prozess, immer wieder abzuwägen, was wollen wir bezahlen, was müssen wir bezahlen, wann wird es unfair, weil wir bestimmte Arbeit monetär wertschätzen und bestimmte nicht?
 

Ein Schlusswort? Etwas, was Ihnen besonders wichtig ist?

Immer schön solidarisch bleiben! Und, dass wir immer noch am Anfang sind und offen für neue Leute, die Bock haben, mitzumachen. Sowohl in Griechenland als auch hier, wo wir uns über Veranstaltungshinweise freuen und über mediale Aufmerksamkeit. Weil wir uns wirklich jedes Mal freuen, wenn eine Mail reinkommt von neuen Leuten, die gerne mitmachen möchten.

 

Weitere Eindrücke vom Einsatz an der griechischen Grenze finden Sie in der Bildergalerie.

Titelbild, Bildergalerie: Copyright Rosa e.V.


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