Die Linksjugend Leipzig hat sich in zwei Basisgruppen aufgeteilt. Der ursprünglichen Gruppe, jetzt Linksjugend Leipzig Süd, werden Sexismus, Rassismus und Transfeindlichkeit vorgeworfen. Kreuzer-Autorin Theresa Zängler berichtet von ihren eigenen Erfahrungen.
Die Annahme, dass innerhalb der linken Szene zumindest ein Minimum an politischem Konsens, Selbstreflektion und gelebten feministisch-solidarischen Umgang herrscht, wurde mir schon lange geraubt. Wie stark sich die Szene auch in Leipzig auseinanderdividiert, kann man momentan hautnah am Beispiel der Linksjugend erleben: Bis vor kurzem gab es in Leipzig genau eine Basisgruppe der Linksjugend. Seit Mai 2022 gibt es zwei Ortsgruppen: eine neue Basisgruppe im Osten und die seit einiger Zeit bestehende Basisgruppe im Süden. Grund dafür seien unlösbare Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedern, die mit drastischen Vorwürfen gegenüber der alten Basisgruppe (jetzt Linksjugend Leipzig Süd) einhergehen: Sexismus, Rassismus, Transfeindlichkeit.
Am Mittwoch veröffentlichte die neue Gruppe Linksjugend Leipzig Ost nun einen Erfahrungsbericht auf ihrer Website. In diesem erzählen drei Mitglieder davon, dass innerhalb der Linksjugend Süd nicht nur Sexismus Alltag sei, sondern auch Queerness als »postmoderne Ideologie« verstanden werde, und Rassismus gegen Musliminnen, insbesondere gegen Palästinenserinnen, an der Tagesordnung stünde.
Das sind schwere Anschuldigungen. Für mich kommen diese allerdings wenig überraschend. Ich war selbst zweimal beim Plenum der Linksjugend (Süd) zu Besuch und habe ähnliches erlebt. Angetrieben von meinem links-politischen Selbstverständnis war ich interessiert an der Arbeit des Jugendverbandes und wollte mich aktiver politisch engagieren. Scheinbar naiv erwartete ich einen solidarischen Umgang, ein feministisches Grundverständnis und eine gewisse Sensibilisierung auf verschiedene Diskriminierungskategorien. Die Atmosphäre, die ich in den Plena aber erlebte, zeugte von etwas gänzlich anderem: Was mir zuerst auffiel, war die ausbleibende Niedrigschwelligkeit. Ich lernte schnell, dass ich erst alle Werke von Hegel und Marx gelesen und verstanden haben muss, um mitdiskutieren und Teil von pseudo-philosophischen Debatten sein zu können. Was mit dem ständigen Rückbezug auf Marx oder Hegel eigentlich gemeint war, wurde in den Ausführungen natürlich nicht erklärt. Nachgefragt habe ich ehrlicherweise nicht – ich war komplett eingeschüchtert und hatte nicht das Gefühl, dass es Raum für Fragen gab. Niemand sonst hatte Fragen, aber alle hatten Meinungen.
Als es dann um einen geplanten Social-Media-Beitrag der Linksjugend zu einer stattgefundenen Vergewaltigung in Leipzig ging, artete die Diskussion aus: Ein Instagram-Posting als Ausgangspunkt, transfeindliche Aussagen als Endpunkt. Mir wurde schnell klar: Ich sitze hier in einer Runde mit terfs (Trans-ausschließende Radikalfeministinnen). Terfs gehen von einem exklusiv binären Geschlechterverhältnis aus (Mann und Frau) und biologisieren Geschlecht. Das heißt, Geschlecht wird nicht als soziales Konstrukt verstanden, sondern – so wurde mir in der Runde äußerst deutlich zu verstehen gegeben – Geschlecht lasse sich am X- und Y-Chromosom eindeutig feststellen. Dieses Verständnis ist transfeindlich. Nach dieser Logik sind Transmänner eigentlich Frauen und Transfrauen eigentlich Männer. Ich erinnere mich noch an meine Bauchschmerzen, als ich mir damals mansplainen lassen musste, dass der Queerfeminismus für die Ausradierung des weiblichen Geschlechts sorge und dass lediglich biologische Frauen vergewaltigt werden könnten. Auf meinen Hinweis, dass ich anderer Meinung sei – auch mit kleinem Wink zur katholischen Kirche – wurde gelacht, geschmunzelt, ich wurde belächelt. Und das durchweg auch von allen anwesenden Frauen. Diese hatten sich kurz vorher noch beschwert, die Männer in der Runde würden zu viel Redezeit einnehmen. Wenn nun aber eine Frau, in diesem Falle ich, Redezeit einnimmt, aber etwas sagt, was ihnen nicht gefällt, wird dies mit Auslachen und Nachäffen bestraft. Wo war hier nochmal der geschützte Raum für verschiedene Meinungen und respektvollem Austausch?
Was mir darüber hinaus noch schwerwiegend in Erinnerung geblieben ist: Lediglich eine junge Frau ist auf mich zugegangen, um mich bei meinem potenziellen Einstieg in die Arbeit der Linksjugend zu unterstützen. Als dann aber von ihr sehr flapsig der Satz fiel »In der Linksjugend bildest du dir keine Meinung – dir wird eine Meinung gebildet«, läuteten meine bereits klingelnden Alarmglocken auf 120 Dezibel. Ich entschied mich dazu, dort erstmal nicht mehr hinzugehen. Mehrfach habe ich über die Situationen nachgedacht und gegrübelt. Mein Fazit war jedes Mal: Das sind pseudo-Safespaces unter einem feministischen Deckmantel, der alles andere als inklusiv, niedrigschwellig und offen ist. Diese Erfahrungen haben letztlich dazu geführt, dass mein aktives politisches Engagement nach zwei Besuchen bei der Linksjugend (Süd) endete. Ich war extrem verunsichert und fand in meiner eigenen »Bubble« kein solidarisches Miteinander.
Meine Besuche bei der Linksjugend Leipzig (Süd) sind circa ein Jahr her. Mehrere Monate nach meinem Fernbleiben wendete sich ein weibliches Mitglied der Linksjugend an mich und fragte, warum ich nicht mehr am Plenum teilnehmen würde und ob ich mich unwohl gefühlt habe. Zumindest eine Teil-Aufarbeitung scheint stattzufinden. Das diese aber wohl weniger erfolgreich läuft, lässt sich wiederum an der Teilung der Basisgruppe ablesen.
Nun freue ich mich über die neue Basisgruppe Linksjugend Leipzig Ost. Diese versteht sich – zumindest laut Website – als intersektional-feministisches, antirassistisches, queer-freundliches Bündnis. Vielleicht finde ich dort doch noch einen Ort für mein politisches Engagement, ohne befürchten zu müssen, ausgelacht zu werden.
Titelfoto: Gregor Wünsch, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons