In Leipzig stehen für ein Jahr drei Poesieautomaten. Statt Kondome oder Kaugummis gibt es hier Gedichte auf Knopfdruck, 50 Cent das Stück.
»Poesie ist lebensnotwendig«, schreibt Elke Erb, und weiter: »Sie leistet gesellschaftliche Arbeit, und sie kann sie auf keine andere Weise tun als poetisch.« Wer gesellschaftliche Arbeit leistet, soll auch von der Gesellschaft gesehen werden. Und das ist nicht selbstverständlich, zumal wir es hier mit Gedichten zu tun haben. Auch sie brauchen eine Lobby und mehr Sichtbarkeit. Und wenn wir schon nicht zum Gedicht kommen, dann muss eben das Gedicht zu uns kommen. Die Idee der künstlerischen Intervention in den öffentlichen Raum ist nichts Neues. Auch in der Lyrik und auch in Leipzig nicht. So gab es zum Beispiel das Augenpost-Projekt der Lyrikerin, damals noch Studentin, Ulrike Almut Sandig, die 2003 mit zwei Mitstreiterinnen die Leipziger Innenstadt mit Gedichten plakatierte.
Ein Jahr lang sollen Poesie-Automaten den Leipzigerinnen Lyrik nahebringen. Auf Knopfdruck spucken sie für je 50 Cent Gedichte aus. Je ein Exemplar steht im Literaturhaus Leipzig, in der Stadtbibliothek und in der Schaubühne Lindenfels.
Die Poesieautomaten seien eine lyrische Raumintervention, sagt Matthias Göritz, Lyriker und Übersetzer, von dem Idee und Konzeption stammen. Göritz zitiert die vielzitierte Nobelpreisrede des Lyrikers Joseph Brodsky, in der er verlangt, dass Gedichte als der gedankliche Treibstoff für den Tag an jeder Tankstelle erhältlich sein sollen. Göritz übersetzt sie in den urbanen Raum. 2021 hat er die drei Automaten für ein halbes Jahr in Graz aufgestellt. Nun brachte er sie nach Leipzig, und aus den Grazer wurden nun Leipziger Poesieautomaten. Design und Konzept blieben, und auch Inhalte haben sich nur etwas geändert. Jeder Automat birgt in seinem Inneren 14 verschiedene Gedichte, und zwar aus Leipzig, Österreich und Slowenien. Letztere beinhaltet der Apparat mit der Aufschrift »Mein Nachbar auf der Wolke« in zweisprachiger Fassung. Hier hinkt die Nachbarschaft im Titel etwas, das hätte man beim Umzug nach Leipzig durchaus berücksichtigen können. Denn die Automaten sollen als Appetizer auf die Gastlandauftritte beider Länder bei den Buchmessen 2023 dienen.
Am 1. Juni wurden die drei Poesieautomanen mit viel Pomp im Garten des Literaturhauses eingeweiht. Der slowenische Botschafter Franc But spendierte Wein und sprach von verbindender Kraft der Poesie im Raum des Sozialen und Intimen, und Bürgermeister Burkhard Jung ließ den Deutschlehrer in sich zu Wort kommen und trug ein frisch gezogenes Gedicht vor. Das intensive Nachdenken über einen Text oder gar eine Zeile vermisse er in seinem jetzigen Job. Also mehr Poesie ins Rathaus! Wenn lyrische Intervention, dann aber richtig. Die vorgesehene Platzierung der Automaten im Haus des Buches, in der Stadtbibliothek und in der Schaubühne Lindenfels wirkt, vielleicht mit Ausnahme des letzten Ortes, etwas zu zögerlich. Warum nicht direkt auf dem Markplatz, neben dem S-Bahn-Eingang, vor das Jobcenter? Ein ähnliches Projekt in Prag von 2015, wo damals der erste »Poesiomat der Welt«, aus dem man sich Gedichte anhören konnte, wurde auf einem viel frequentierten Platz aufgestellt. Zugegeben: in etwas stabilerer Ausführung. Wenn die Gedichte nun doch nicht ganz zu uns kommen, müssen wir eben einen Schritt auf sie zugehen. Für die Texte lohnt es sich allemal.