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Politik

Denn er weiß nicht, was er tut

Kommentar: Polizeipräsident René Demmler verdrängt Racial Profiling bei der Polizei Leipzig

  Denn er weiß nicht, was er tut | Kommentar: Polizeipräsident René Demmler verdrängt Racial Profiling bei der Polizei Leipzig

Die Polizei Leipzig will mehr Präsenz auf der Eisenbahnstraße zeigen. Obwohl Befragte in einer Studie angegeben haben, dass sie Diskriminierung durch die Polizei vor Ort bezeugen können, will René Demmler nichts dagegen unternehmen.

Leipzigs Polizeipräsident René Demmler sieht offenbar keine Notwendigkeit dafür, seine Beamten in Sachen Rassismus und Antidiskriminierung zu schulen. Als der kreuzer am Dienstag auf einer Pressekonferenz danach fragte, lautete seine Begründung: »Niemand wird wegen seiner Rasse kontrolliert«. Mal abgesehen davon, dass man das Wort »Rasse« nicht verwenden sollte, weil es auf angeblich biologische Unterschiede zwischen weißen und Schwarzen Menschen verweist, ist das ja erstmal schön zu hören. So steht es immerhin im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Mit dem Satz entwertet er aber nicht nur die Erfahrungen von Betroffenen, sondern zeigt auch, dass er nicht verstanden hat, worum es überhaupt geht.

Eine Studie der Universität Leipzig und der sächsischen Polizeihochschule hat die Wirksamkeit der Waffenverbotszone rund um die Eisenbahnstraße untersucht. Die Ergebnisse wurden bereits vor einem Jahr vorgestellt: Es gab seit der Einführung der Zone zwar weniger bewaffnete Angriffe, sie hatte aber keinen Einfluss auf die allgemeine Kriminalität. Deswegen soll sie abgeschafft werden. Als Alternative dazu will die Stadt zusammen mit der Polizei neue Maßnahmen ergreifen, die etwa die Zahl der Rauschgiftdelikte senken soll. Das soll unter anderem durch mehr Polizeipräsenz gelingen: Ein eigener Polizeistandort und mehr Fußstreifen und Bürgerpolizisten sind die konkreten Pläne.

So weit, so gut: Die Studie hat tatsächlich ergeben, dass viele Anwohnerinnen sich eine bürgernahe Polizei wünschen. Viele Befragte haben aber auch angegeben, dass sie vor Ort Racial Profiling erlebt oder mitbekommen haben. Der Begriff bezeichnet polizeiliche Maßnahmen, etwa eine Personenkontrolle oder Ermittlungen, die nicht auf einem konkreten Tatverdacht beruhen, sondern wegen »äußerer«, also rassifizierter Merkmale wie der Hautfarbe eines Menschen, erfolgen. Weil die Eisenbahnstraße laut dem sächsischen Polizeigesetz als sogenannter gefährlicher Ort gilt, darf die Polizei anlassunabhängige Personenkontrollen durchführen – also wegen der bloßen Anwesenheit einer Person an einem bestimmten Ort, unabhängig von deren Verhalten. In der Studie heißt es: »Durch die Einführung der WVZ befürchtet ein Teil der ExpertInnen, dass die Polizei einen „Freibrief“ hinsichtlich ihrer Handlungsmacht erhalten hat.«

Dass Expertinnen zu dieser Einschätzung kommen und diese sogar von den Befragten unterstützt wird, ist fatal. Als die Ergebnisse vorgestellt wurden, hieß es von Demmler, es fänden keine Kontrollen wegen der Herkunft einer Person statt. Man sollte meinen, dass ein Jahr genug Zeit ist, um sich den Vorwürfen anzunehmen und über eine Lösung nachzudenken. Fehlanzeige: Auf die Frage des kreuzer auf der Pressekonferenz, ob es Pläne gebe, die Beamten in Sachen Racial Profiling zu sensibilisieren und weiterzubilden, gibt er schwammig zu, dass das ein wichtiges Thema sei, mit dem man sich auseinandersetzen müsse. Aber: »Niemand wird wegen seiner Rasse kontrolliert.«

Es gebe eine bestimmte Tätergruppe, fügt Demmler hinzu, bei der man eher Kontrollen durchführe als bei Personen, die diesem Profil nicht entsprechen. »Ich sehe noch keine Möglichkeit, anders damit umzugehen«, räumt er ein. Rosenthal ergänzt noch, dass Anzeigen zu Racial Profiling nachgegangen wird und Fehlverhalten Konsequenzen hat – thanks for doing the bare minimum, I guess.

Demmlers Einschätzung zu dem Thema zeigt, dass er nicht verstanden hat, worum es in der Debatte eigentlich geht. In einer Gesellschaft, die People of Color marginalisiert und diskriminiert, haben auch Polizisten rassistische Vorurteile, die sie nicht automatisch ausschalten können, wenn sie im Dienst sind – das kann niemand. Hier haben wir es aber mit einer institutionalisierten Form von Rassismus zu tun, die negative Konsequenzen für die Betroffenen haben kann. Indem Demmler sagt, dass Racial Profiling nicht stattfinde, spricht er den Betroffenen ihre Erfahrungen ab.

Es gibt mittlerweile so viele Aktivistinnen, Expertinnen und zivilgesellschaftliche Initiativen in Deutschland, die unermüdlich Antidiskriminierungs- und Aufklärungsarbeit leisten. Bereits 2013 veröffentlichte das Deutsche Institut für Menschenrechte eine Studie zu Racial Profiling. Auch die Soziologin Vanessa Eileen Thompson hat zum Thema Racial Profiling einen Bericht veröffentlicht, in dem sie Interventionsmöglichkeiten nennt. So könnte man zeitgleich mit dem neuen Polizeistandort auch eine unabhängige Beschwerdestelle einrichten. Oder, wie in England, Polizeikontrollen sowie die ethnische Herkunft der Kontrollierten dokumentieren. Es ist doch zumindest nicht zu viel verlangt, dass Beamte regelmäßig Workshops zu Rassismus und Diskriminierung besuchen. Dafür muss sich der Polizeipräsident dieser Stadt aber erstmal drei Tatsachen eingestehen: Das Happyland, in dem er sich und seine Beamten sieht, gibt es nicht. Auch Polizisten diskriminieren und sind rassistisch. Und er hat die Aufgabe, das zu ändern.

 

Titelbild: Polizei Sachsen / Philipp Thomas


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2 Kommentar(e)

Miniscus 26.06.2022 | um 05:35 Uhr

Aus der zitieren Studie: "ExpertInneninterviews wurden durchgeführt, um die Einschätzung der drei Evaluationskomponenten mittels Prozessdatenanalyse und postalischer Befragung zu ergänzen und in der Interpretation der Ergebnisse zu unterstützen. Dabei wurden Personen befragt, welche im Bereich der WVZ tätig sind und aus unterschiedlichen Gründen im Kontakt mit möglichst vielen EinwohnerInnen stehen, um über diese ExpertInnen die Einstellungen und Meinungen der Wohnbevölkerung zu erheben. .. Im Zusammenhang mit dem Einsatz von ExpertInneninterviews ist zu beachten, dass die ExpertInnen in ihren Aussagen ebenfalls normativ beeinflusst sein können und die Meinungen ihrer Kontaktgruppen nicht zwangsläufig objektiv wiedergeben. .. Aus den insgesamt 19 ExperInnenbefragungen ist ein umfangreiches Material hervorgegangen, das im Rahmen des Projekts zunächst explorativ erschlossen worden ist," Das die "ExpertInnen" gleichzeitig die "Betroffenen" sind haben Sie in Ihrem Artikel irgendwie vergessen zu erwähnen. Liest sich so als wären die noch weitergehend qualifiziert. Auch zur statistischen Relevanz der Befragung hätte die Leserin vielleicht gerne mehr erfahren: " .. Somit ergibt sich eine Stichprobengröße ohne stichprobenneutrale Ausfälle von 662 Fällen .." " .. aus den ca. 30.000 AnwohnerInnen der beiden Ortsteile zufällig, gleichgewichtet und anonymisiert 3.000 Personen .." die angeschrieben wurden. Das ändert natürlich nichts an Ihrer Aussage.

Felix 26.06.2022 | um 17:50 Uhr

Wenn eine Personengruppe öfter an bestimmten Straßenecken steht, wird sie eben öfter kontrolliert, als die andere Personengruppe die das seltener tut.