Was ist denn eigentlich »Off-Literatur«? Den Begriff hat sich Nadja Grasselli, die Organisatorin der Reihe, bei der sich Leipzigs Initiativen, kleine unabhängige Verlage und deren Autorinnen treffen, aus dem Theaterkontext geliehen. Und ob er wirklich zutrifft, wird auf der Bühne auch immer wieder eifrig diskutiert.
Schon das zweite Jahr in Folge treffen sich Leipziger Akteurinnen der, wie man sagen könnte, unabhängigen Literaturszene. Einmal monatlich lädt Nadja Grasselli – Dramaturgin, Regisseurin, Autorin – in den Garten des Budde-Hauses ein, damit sich die Szene besser kennenlernt, ins Gespräch kommt oder vielleicht sogar neue Projekte gemeinsam entwickelt – und natürlich um ihre Arbeit dem Publikum zu präsentieren. Umrahmt von Bäumen sitzen immer drei Lesende auf der Bühne, Autorinnen und Vertreterinnen Leipziger Verlage und Initiativen. Grasselli hofft, mit dieser zweiten Ausgabe die bestehenden Verbindungen zu verfestigen und etwas Dauerhaftes auf die Beine zu stellen. Denn, das betont sie gleich zu Anfang, die Szene sei ziemlich lebendig und es gründeten sich immer wieder neue Initiativen, die es zu entdecken gilt.
Bei der Eröffnungsveranstaltung im Juni kamen Sibylla Vričić Hausmann von der Initiative otherwritersneedtoconcentrate, Christian-Daniel Strauch für die Edition Hamouda und Ulrike Feibig für den Verlag hochroth Leipzig zusammen. Die erste, von Radio blau live übertragene Stunde gehörte den Lesungen, danach wurde diskutiert. »Falls Sie also Fragen haben, versuchen Sie, sie zurückzuhalten, wir werden dann später miteinander ins Gespräch kommen«, hieß immer wieder in Richtung des Publikums.
Die Leipziger Dichterin Sibylla Vričić Hausmann las neben eigenen Gedichten auch Texte aus dem Blog der Initiative, die sich seit ihrer Gründung 2020 um mehr Sichtbarkeit für Schreibende mit Kindern einsetzt, sie vernetzt, über familienfreundliche Stipendien informiert und natürlich Texte der Autorinnen veröffentlicht. Das Thema Gewalt zog sich, ohne dass die drei Vortragenden sich abgesprochen hätten, als eine eindringliche rote Linie durch den Abend. Christian-Daniel Strauch, vom Institut für Slavistik der Universität Leipzig, stellte einen Text aus der Anthologie »Zwischen Apokalypse und Ausbruch« vor, mit Texten, die den Donbass-Krieg reflektieren. Den letztes Jahr erschienenen Band hat er zusammen mit seiner Lwiwer Kollegin Oksana Molderf herausgebracht, um ein Thema sichtbar zu machen, von dem hier damals kaum jemand etwas wissen wollte. Es herrschte fast absolute Stille, als die Texte vorgetragen wurden, nur ab und an ratterte eine S-Bahn vorbei. Nach kurzem Durchatmen stellte die Dichterin und Performance-Künstlerin Ulrike Feibig vom hochroth Verlag Leipzig Lyrik aus der Slowakei, Chile und Mexiko vor. Die letzten Minuten gehörten der mexikanischen Autorin Sara Uribe, deren dramatisch-lyrischer Text »Antígona Gonzáles« über das Verschwinden und Töten von Menschen in Mexiko, vor einigen Tagen auf Deutsch erschienen ist. Es passiert also viel abseits der großen ausgetretenen Wege. Aber wie eigentlich? Und ist man wirklich unabhängig? Welche Motivationen stecken hinter dem Engagement, wovon lebt man dann eigentlich und wie ist überhaupt zu schaffen? Diese und viele anderen Fragen können bei der nächsten Ausgabe weiter diskutiert werden.
Am 7.7. geht es im Budde-Haus weiter – dieses Mal mit der Initiative PMS: Postmigrantische Störung, dem Verlag Trottoir Noir und deren Autorin Linn Penelope Micklitz, unserer pausierenden Literaturredakteurin sowie der Edition überland, wieder um 19.00 Uhr im Kunstgarten. Alle Infos dazu finden Sie hier.
Titelfoto: Martina Lisa.