Zwei neue Ausstellungen auf der Spinnerei zeigen sehr viel Leipziger Kunst der unterschiedlichen Generationen.
Dem Leben vor Corona immer näher kommen, will auch das Kunstfeld. Als am vergangenen Donnerstag die Leipziger Jahresausstellung eröffnete, war das Gedränge in der Werkschauhalle auf Vorpandemie-Niveau. Die 28. Ausgabe stand unter dem Titel »Lux«, was Licht auf Latein bedeutet. Mit fast 40 eingeladenen künstlerischen Positionen zeigt die Schau viele Positionen der unterschiedlichen Generationen von Kunst aus der Stadt, die so in einer Institution nicht gemeinsam zu sehen sind. Die Schau verbindet so Bewährtes neben Neuem in unterschiedlicher Qualität.
Der Maler Günter Thiele, geboren 1930, der vor allem für seine detaillierten Leipziger Stadtansichten seit den siebziger Jahren bekannt ist, zeigt hier neben einer Straßenszene aus Paris von 2021 auch düstere Straßenkampfszenen. Stefan Guggisberg präsentiert großformatige Schwarz-Weiß-Bilder, die sich als iPad-Zeichnungen entpuppen. Matthias Hoch wiederum nahm mit zehn Sekunden Belichtungszeit auf einer analogen Plattenkamera Details aus der Philharmonie de Paris auf und zeigt drei Fotografien der Serie, die allesamt Hochs langjährige Arbeit am Detail offenbaren. Während Nadine Maria Rüfenacht bisher vor allem durch ihre inszenierten Fotografien auffiel, zeigt sie hier Aufnahmen, die mit einer Wildkamera entstanden.
Der besondere Reiz der Ausstellung liegt in der Vergabe des Preises der Leipziger Jahresausstellung am Eröffnungsabend. 2022 ist der Preis der ersten europäischen, professionellen Fotografin Bertha Wehnert-Beckmann (1815-1901) gewidmet, die in Leipzig lebte und arbeitete. Er ging an Kerstin Flake, die von 1997-2003 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Fotografie bei Joachim Brohm studierte. In ihren Arbeiten entwickeln Dinge des Alltags stets ein Eigenleben. Gleich zu Beginn des Ausstellungsparcours sind ihre Arbeiten aus der 2018-2021 entstandenen Serie »Shaking Surfaces« sowie das Video »Drag n Drop« zu sehen. Den inszenierten Zufall, den die Bilder einfangen, begleitet immer auch Humor.
Neben Malerei und Fotografien sind in der Werkschauhalle auch Skulpturen zu sehen – etwa von Lea Petermann die großformatige Installation »Breathing net« (2021), die mit Elementen aus Silikon, Gips und Tüll zwischen Stärke und Fragilität spielt wie auch in ihrer Arbeit »Flying Stone Memory« aus acht von der Decke hängenden Betonguss-Objekten aus dem Jahr 2017. Sie sind wenige Meter von der Werkschauhalle entfernt in der am Freitag in der Halle 14 eröffneten Ausstellung »Win/ Win« zu sehen. Hier zeigt die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen die diesjährigen Ankäufe von Kunstwerken des Freistaates. 2022 wurden 30 Arbeiten im Wert von 153.070 Euro angekauft. Das soll zum einen den Kunstschaffenden dienen. Andererseits fasste es Kulturministerin Barbara Klepsch mit dem Satz zusammen: »Den Reichtum von Sachsen mehren«. Denn die Werke gelangen nach dem Ankauf in die Sammlung des Kunstfonds bei den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Seit 2005 organisiert die Kulturstiftung den Ankauf für den Freistaat und hat im Laufe der Jahre 667 Kunstwerke mit einem Ankaufswert von drei Millionen Euro zusammengebracht wie der Stiftungsdirektor Manuel Frey stolz zum Pressegespräch am Freitag erklärte.
Der Jahrgang 2022 beinhaltet einige künstlerische Positionen, die aufmerksamen Kunstseiten-kreuzer-Leserinnen bekannt sein dürften. Juliane Jaschnow, Deborah Jeromin, Elli Kuruş oder Ritchie Riediger wurden schon in der Serie »Talenteshow« vorgestellt. In der Ausstellung kann so noch einmal ein Blick auf die Installation mit Film aus der Werkserie »Rekapitulieren« von Jaschnow geworfen werden, die sich mit dem deutsch-russischen Verhältnis auseinandersetzt und heute aktueller denn je wirkt. Wer bisher noch keine Gelegenheit fand, um den Film »Verwundene Fäden« aus dem Jahr 2020 von Deborah Jeromin zu sehen, kann sich hier über den Zusammenhang von Seidenraupenzucht und nationalsozialistischer Angriffskrieg informieren.
Darüber hinaus sind noch viele neue Positionen zu finden – etwa die Zeichnungen aus der Serie »Straßenbahnfahrt« von Sebastian Jung.
28. Leipziger Jahresausstellung, Werkschauhalle, bis 16.7.
Win/Win – Die Kunstankäufe der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen 2022, Halle 14, bis 28.8.
Titelfoto: Shaking Surfaces (Kerstin Flake). Rekapitulieren (Juliane Jaschnow).