Lovescamming heißt die Betrugsmasche, bei der den Opfern über das Internet die große Liebe vorgespielt wird. Das LKA Sachsen verzeichnete im Jahr 2021 eine Schadenssumme von insgesamt 4,2 Millionen Euro, die so erbeutet wurden. Und das bei gut 400 angezeigten Fällen. Oft jedoch trauen sich die Opfer nicht, den Betrug anzuzeigen. Zu groß ist die Scham, auf die Masche reingefallen zu sein. Anders bei der Leipzigerin Sarah. Sie verlor mehrere tausend Euro und hat dem kreuzer ihre Geschichte erzählt.
Jetzt hat sie einen Neuen: William wohnt in London, und es sieht so aus, als würde es sich entwickeln, erzählt Sarah mit einem Grinsen im Gesicht. Mit ihren beiden Windhunden lebt sie in Leipzig, aber die Distanz nach London ist kein Problem. Auch Williams Alter passt, er ist Banker und bald im Ruhestand. Sarah ist über achtzig, ihr Freundeskreis ist durchweg jünger. In ihrem Alter habe sie gar keine Freunde und Freundinnen, erzählt sie dem kreuzer. Inzwischen ist sie nicht mehr auf Onlinedating-Plattformen unterwegs, kommt aber ab und zu über Facebook noch in Kontakt mit neuen Menschen – wie jetzt eben mit dem Londoner Banker William. Sarah ist neugierig und kommuniziert gerne, sieht das Ganze als Zeitvertreib: »Für mich ging’s bei dem Ganzen eigentlich nicht ums Liebesleben, das hat sich fast zwangsläufig manchmal ergeben. Es ging darum, Kontakte zu haben, zu kommunizieren.«
»Aber auf so eine schöne und angenehme Weise. So liebenswert, da kannst du dich fast nicht wehren.«
Die Kommunikation von William scheint in eine bestimmte Richtung zu laufen: Und zwar in eine Richtung, mit der Sarah in den letzten Jahren bereits Erfahrungen gemacht hat. Einmal hat sie dabei viel Geld verloren, bis heute ist sie nicht sicher, was an der ganzen Geschichte wahr ist. Von da an konnte sie aber die Facebook-Nachrichten jener meist gut aussehenden Männer zwischen 50 und 60 besser einordnen. Gezielt nimmt sie deren Anfragen weiterhin an, um sie auszutesten: »Das fand ich faszinierend: Wie kommen die überhaupt auf die Idee, mich anzuschreiben?« Die Männer beginnen zu chatten, sind interessiert an Sarahs Leben, erkundigen sich nach ihren Hunden und erzählen von ihrem Schicksal. Recht schnell werden sie in den Gesprächen persönlich: »Aber auf so eine schöne und angenehme Weise. So liebenswert, da kannst du dich fast nicht wehren.« Die meisten sind amerikanische Soldaten, die in Kriegsgebieten wie Syrien oder Afghanistan stationiert sind, andere sind Ingenieure auf einer Bohrinsel. In ihren Lebensgeschichten erkennt Sarah eindeutige Parallelen: »Mindestens neunzig Prozent haben mir erzählt, dass sie die Eltern früh verloren haben, im Waisenhaus aufgewachsen sind, dass der Major sie adoptiert hat. Fast jede Ehefrau ist an Krebs gestorben, ihre Kinder sind in den USA auf dem Internat.« Insbesondere wenn die Männer fragen, ob Sarah alleine lebt, wird sie kritisch: »Ich hab ganz bewusst das Gespräch immer so gehalten, dass sie in Bezugnahme auf meine Nachricht antworten mussten, nichts Standardisiertes schreiben konnten. So einfach hab ich’s denen nicht gemacht! Das habe ich ganz bewusst so gesteuert, weil ich das lustig fand.« Irgendwann kommt in den Chats eine Wendung, und die Gespräche erschöpfen sich: Die Männer wollen nach Deutschland reisen oder der Sohn ist im Krankenhaus – und brauchen dafür Geld. Sarah schickt ihnen kein Geld, die Internet-Bekanntschaften verlaufen im Sand.
Mit Paul ist es anders
Eine der ersten dieser Bekanntschaften über Facebook, auch mit dem Schicksal eines amerikanischen Soldaten, sei aber anders gewesen: Fast vier Jahre lang stand Sarah mit Paul in Kontakt, gesehen haben sie sich nie. »Wenn sich so eine Beziehung über Jahre hinzieht, das ist fast wie eine Freundschaft, auch wenn du dich nie gesehen hast. Wir hatten täglich zwei-, dreimal Kontakt.« Seine Freundschaftsanfrage hatte sie damals nur angenommen, weil in Pauls Profil der Wohnort Aleppo stand: »Da habe ich gedacht, wie kommt der nach Aleppo? Das ist aber seltsam.« Daraufhin chatten die beiden, manchmal wird auch telefoniert. Durch den regelmäßigen Kontakt baut sich eine vertraute Bindung auf. Nach ein paar Monaten kündigt Paul an, ein paar Monate Urlaub nehmen und Sarah in Deutschland besuchen zu wollen. Sarah ist sich zwar nicht sicher, ob aus den beiden etwas werden könnte, ist aber gespannt, Paul nun einmal in echt kennenzulernen: »Warum sollste da nein sagen, wenn es eh schon so interessant war?« Er bittet sie, an seinen Vorgesetzten ein Schreiben zu schicken, in dem sie um Urlaub für Paul bittet. Über Mail hat Sarah Kontakt mit General Adams, seine E-Mailadresse hat sie noch heute. Sarah erzählt, wie angenehm er sich mit ihr unterhalten habe. Der General gestattet Pauls Urlaub – erklärt Sarah aber, dass leider nur Flüge in die USA von der Army bezahlt würden. Und weil Paul in Aleppo nicht auf sein amerikanisches Konto zugreifen könne, bittet er Sarah darum, die Flugkosten vorerst zu übernehmen. Also schickt Sarah das Geld für das Ticket, über 3.000 Euro: Flugreise nach Berlin-Tegel, Umstieg in Dubai.
Oder doch nicht?
Heute – fast vier Jahre später – haben sich Sarah und Paul immer noch nicht getroffen. Mit der Flugreise in Richtung Berlin beginnt eine turbulente Reiseroute. Beim Erzählen macht Sarah viele Zeitsprünge, immer mehr Details fallen ihr ein: »Wenn ich das so erzähle, kommt mir das vor wie ein Roman. Aber nicht wie meine Geschichte.« Pauls Geschichte beginnt in Aleppo und nimmt ihren Lauf über Dubai und einen längeren Aufenthalt in Nordafrika bis nach Hamburg und Italien. Abenteuerliche Umstände, immer aber auch plausible Gründe ändern den Kurs, so dass Sarah und Paul sich wieder und wieder nicht treffen können: Paul hat Corona, Paul wird inzwischen als Deserteur von der Army gesucht, Paul muss anonym reisen – und – Paul kommt nicht an sein Konto oder sein Gold heran. Deshalb bittet er Sarah mit glaubhaften Liebesbeteuerungen immer wieder um Geld. Diese bezeichnet sich als eine liebe, mitfühlende Person – will aber ab einem bestimmten Punkt kein Geld mehr schicken: »Help heißt bei dir Geld, ich helfe dir gerne, aber du kriegst kein Geld.«
»Wenn ich das so erzähle, kommt mir das vor wie ein Roman. Aber nicht wie meine Geschichte.«
Da Sarah trotzdem gerne helfen will, fragt Paul sie, ob sie ihm helfen könne, indem sie Geld weiterleite: Er bekomme Geld von einer Person, die das Geld aber aus für Sarah glaubhaften Gründen Paul nicht direkt schicken könne. Also übermittelt Sarah nun über ein Jahr lang Geld, das sie vom deutschen Konto einer Marianne bekommt: »Ich hab auf meinem Konto gesehen: Da sind 200 Euro gekommen, oder 500, und dann hab ich die abgehoben und über Ria [ein Geldtransfer-Institut wie Western-Union, Anm. d. Red.] an die Adresse geschickt, die Paul mir gegeben hat. Und hab ihm dann ein Foto geschickt von dem Ria-Zettel.« Gedanken darüber, was sie da eigentlich tut, macht sich Sarah nicht. Auch nicht, als die Ria-Mitarbeitenden kritisch werden: »Die haben mich auch immer so komisch gefragt, ob ich die Person kenne. Ich hab gesagt: ›Persönlich nicht, aber ist ja nicht mein Geld.‹« Neben kleineren Beträgen leitet Sarah einmal 2.000 und einmal 2.500 Euro weiter. Der zweite Betrag kommt allerdings nicht an, sondern irgendwann zurück – bei Sarah klingelt das Telefon, das BKA ist am Apparat, Ria habe einen Verdachtsfall gemeldet. Gegen Sarah wird wegen Geldwäsche ermittelt und der Fall an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die Ermittlungen gegen sie machen ihr keine Angst, wieder ist sie eher amüsiert. Sarah hat selbst viele Jahre im Gericht gearbeitet und findet »irgendwie alles spannend«.
Tausende Euro sind weg, aber es hätte schlimmer kommen können
Vor Kurzem hat Sarah die Mitteilung bekommen, dass die Ermittlungen gegen sie nach mehreren Monaten eingestellt wurden: Sie und die Frau, deren Geld sie weitergeleitet hat, wurden Opfer von Betrug, Liebesbetrug im Internet oder auch Romance Scam. Laut dem LKA Sachsen wurden im letzten Jahr 421 Romance-Scam-Fälle im Freistaat angezeigt. Geschädigte werden mitunter auch mehrfach betrogen. Die Masche der Täter, die Opfer um Geldtransferleistungen zu bitten, komme immer häufiger vor. Dabei können die Geschädigten schnell in der Strafbarkeit landen: Ihnen drohen Geld- und Freiheitsstrafen, die meisten Verfahren werden aber eingestellt.
Natürlich ärgere sie sich, dass sie rund 5.000 Euro in den letzten Jahren verloren habe. Aber nicht so richtig: »Mich amüsiert’s eigentlich mehr. Entweder stimmt’s, oder es ist bewundernswert raffiniert gemacht worden.« Sie ist beeindruckt von der Fantasie, die hinter der Geschichte steckt, und ist sich nicht sicher, was sie glauben kann, welche Teile vielleicht auch wahr sind.
In unserem Gespräch zeigt sie sich als taffe, lebendige Frau, die eine spannende Geschichte erlebt hat, sich durch den Vorfall aber alles andere als betrogen oder traumatisiert fühlt. Denn das Geld hätte sie ja nicht schicken müssen, gezwungen habe Paul sie nicht: »Wenn mir einer was von Liebe vorsäuselt, heißt das doch noch lange nicht, dass ich dem Geld schenken muss. Ist doch mein Problem, wenn ich da Geld schicke.« Deshalb ist Sarah auch nicht daran interessiert gewesen, Anzeige zu erstatten oder Pauls Profil auf Facebook zu melden. Plattformen nutzen unter anderem Anti-Spam-Algorithmen und Profilbild-Prüfung als Schutzmechanismen.
In vielen Betrugsfällen wird daher das Kommunikationsmedium weg von der ursprünglichen Plattform gewechselt. Wie so oft ist Aufklärung eine wichtige Prävention – viele Geschädigte trauen sich aber aus Scham nicht, den Betrug publik zu machen. Auf Scam-Baiter-Foren vernetzen sich Betroffene und teilen ihre Fälle (Beispiele für solche Foren finden Sie hier und hier).
Verloren hat Sarah viel, aber auch viel gelernt: Es ist das erste und einzige Mal, dass sie auf diese Weise betrogen wurde. »Da war ich wirklich völlig unbedacht, ich hab doch keine kriminelle Vergangenheit – wie hätte ich wissen sollen, dass das Geldwäsche ist?« Als alleinstehende, ältere Frau ordnet sie sich in ein typisches Beuteschema ein und glaubt nicht an den Wahrheitsgehalt der Geschichten, mit denen in den letzten Jahren versucht wurde, sie um den Finger zu wickeln. Bei Paul seien es allerdings zu viele stimmige Details gewesen: So gut war keiner.
> Inzwischen hat sich Paul wieder gemeldet, er will ein Foto von Sarahs Auto, mit Kennzeichen. Der Londoner Banker William hat zum ersten Mal um Geld gebeten – um 20 Euro. Außerdem gibt es zwei weitere Männer, die auf die gleiche Art Kontakt zu Sarah versuchen aufzubauen. Sarah sieht es weiterhin als Zeitvertreib, passe aber auf sich auf.
> Lesen Sie zum Thema auch Charis Mündleins Interview mit dem Soziologen und Betrugsforscher Christian Thiel hier.
> Sie sind von Love-Scamming betroffen oder kennen betroffene Personen? Dann finden Sie auf folgenden Seiten Infos und Unterstützung:
Titelfoto: Collage verschiedener Chatnachrichten, die Sarah von unterschiedlichen Scammern bekommen hat. Charis Mündlein.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Vorspanns stand zunächst, dass Sarah wegen Geldwäsche angeklagt worden sei. Allerdings wurden die Ermittlungen gegen sie nun eingestellt. Wir haben diesen Fehler korrigiert.