Bei den Kommunalwahlen haben antidemokratische Parteien keine Ämter erobert – ein gutes Bild der Demokratie in Sachsen ergibt das aber noch nicht.
Wenn sich Linksliberale und Grüne freuen, dass die CDU mit großer Mehrheit die Kommunalwahlen gewinnt und zukünftig neun von zehn Landräten stellen wird, dann bist du in Sachsen. »Sachsen kann aufatmen«, schrieb die Taz, und auch für Annalena Schmidt, ehemalige Stadträtin der Grünen in Bautzen und bekannt für ihr demokratisches Engagement in der Region, war das Ergebnis der sächsischen Kommunalwahlen ein »Grund zu feiern«, wie sie auf Twitter schrieb. Grund der Freude war natürlich nicht der Erfolg der CDU, sondern der Umstand, dass die AfD bei den Wahlen leer ausgegangen ist. Das war keineswegs gesichert, denn die Partei hatte durchaus gute Ausgangsbedingungen: Im Freistaat erzielt sie bundesweit ihre besten Ergebnisse, bei Landtags- und Bundestagswahlen konnte sie viele Direktmandate holen und gerade in der Provinz kann sie auf eine große Anhängerschaft zählen. Statt des vom Landesvorsitzenden Jörg Urban erhofften »endgültigen Durchbruchs« wird die AfD jetzt aber weder einen Landrat noch eine Bürgermeisterin stellen.
Den Ausgang der Kommunalwahlen als Sieg der Demokratie zu feiern ist jedoch eine sehr optimistische Lesart. Denn dem gegenüber steht ein flächendeckender Stimmenanteil zwischen 20 und 35 Prozent für die rechtsradikale Partei. Das entspricht ihren Ergebnissen bei vorangegangenen Wahlen, was einerseits die These bekräftigt, dass die AfD mittlerweile ihr Wählerpotenzial ausgereizt hat. Andererseits zeigen die Zahlen, dass die Partei im Land auf eine gefestigte Basis von einem Viertel bis einem Drittel der Wählerschaft zählen kann, die nicht aus Protest, sondern aus Überzeugung ihr Kreuz bei der AfD macht. Dazu kommt die neue Konkurrenz von rechts in Gestalt der rechtsextremen Freien Sachsen, deren drei Kandidierende für die Landratsämter auf Anhieb zwischen zehn und zwanzig Prozent bekamen.
Johannes Kiess, Soziologe und stellvertretender Direktor des Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Instituts, an dem demokratische Einstellungen in Sachsen erforscht werden, plädiert gegenüber dem kreuzer dafür, diese Zahlen ins Verhältnis zu setzen: Angesichts einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent – im zweiten Wahlgang Anfang Juli ging sie teilweise sogar auf unter 30 Prozent zurück – sei der Anteil überzeugter Wähler und Wählerinnen antidemokratischer Parteien an der Gesamtbevölkerung geringer, als die Ergebnisse es erscheinen lassen. Zugleich sei die niedrige Wahlbeteiligung aber ebenfalls kein gutes Zeichen für den Stand der Demokratie, so Kiess weiter: »Ob es den Leuten egal ist, dass Neonazis gewinnen könnten, oder es ihnen grundsätzlich egal ist, wer sie regiert, ist so oder so ein Problem für die Demokratie.«
Bei der Frage, wie es um die Demokratie in Sachsen bestellt ist, kommt noch ein Aspekt hinzu: Auch so mancher Vertreter der bürgerlichen Mitte agiert so weit rechts, dass das Attribut »demokratisch« zumindest fragwürdig erscheint. Wie in Bautzen, wo der nun gewählte CDU-Landrat Udo Witschas im Januar bei einer rechten Demonstration gegen die Coronamaßnahmen angekündigt hatte, die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht durchsetzen zu wollen. In Freital wurde Oberbürgermeister Uwe Rumberg (ehemals CDU, nun parteilos), der mit über 60 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde, als »Mann mit Rückgrat« auch von den rechtsextremen Freien Sachsen unterstützt. Und die große Wahlsiegerin ist ein weiteres Mal die zutiefst konservative Sachsen-Union, die seit 1990 bis auf eine Handvoll Ausnahmen sämtliche Landräte im Freistaat gestellt hat und ebenfalls gerne am rechten Rand nach Stimmen fischt. So kann man den Ausgang der Kommunalwahlen statt als Sieg der Demokratie auch als Bestätigung der rechten Hegemonie in Sachsen lesen. Auf jeden Fall ist er eine Bestätigung der männlichen Hegemonie: Unter den 40 Kandidierenden für die Landratsämter waren nur fünf Frauen, keine hat den Posten bekommen. Auch das ist aus Demokratieperspektive ein großes Defizit.
Aber auch die sächsischen Verhältnisse sind nicht in Elbsandstein gemeißelt, wie das Beispiel aus Mittelsachsen zeigt, dem einzigen Landkreis, der nicht an die CDU ging. Dort gewann der parteilose Dirk Neubauer, der von der Linkspartei, den Grünen und der SPD unterstützt wurde. Der Bürgermeister der Kleinstadt Augustusburg setzt auf Bürgerbeteiligung und hatte sich – gegen die wütende Stimmung auf vielen Straßen Mittelsachsens – für eine konsequente Coronapolitik eingesetzt und klar gegen die von Rechtsextremen angeführten »Spaziergänge« positioniert. Im vergangenen Jahr hat Neubauer ein Buch veröffentlicht: »Rettet die Demokratie!«. Das will er nun als Landrat praktisch angehen. Kein leichtes Unterfangen in einem Bundesland, in dem ein großer Teil der Bevölkerung entweder wenig Interesse an demokratischen Entscheidungsprozessen hat oder selbst wenig demokratisch gesinnt ist.