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Orte der Demokratie

In Sachsen versuchen Initiativen, die Demokratie zu verteidigen

  Orte der Demokratie | In Sachsen versuchen Initiativen, die Demokratie zu verteidigen

Wenn ein Drittel die AfD und die Hälfte gar nicht wählt, sind wir in Sachsen. Wir schauen, wo sich Menschen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie einsetzen – auch, weil das sogenannte Umland schon an der LVB-Haltestelle beginnt.

Netzwerk für Demokratische Kultur, Wurzen

Der Himmel über Wurzen ist grau. Warmer Nieselregen trifft auf hübsch sanierten Altbau. 41 Minuten mit der S3, weitere fünf mit dem Rad über Kopfsteinpflaster zum alten Stadtcafé, in das das Pop-up-Café des Netzwerks für Demokratische Kultur (NDK) eingezogen ist: Der Weg von Leipzig ins Herz der Domstadt ist überschaubar. Martina Glass und anderen Mitarbeitenden des NDK kommt das gelegen – mittlerweile pendelt knapp die Hälfte des zwölfköpfigen Teams. Seit der Pandemie hätten Onlineveranstaltungen des NDK mehr und mehr motivierte junge Leute aus Leipzig angelockt.

Neben Sensibilisierungs- und Aufklärungsarbeit in Bezug auf Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung setzt sich der Verein für mehr Austausch zwischen den Wurznerinnen ein und möchte diese motivieren, selbst aktiv zu werden. Während Ersteres laut Glass schon gut funktioniert, sehe es bei der Beteiligung im Ort eher mau aus. Daran ist nicht zuletzt ein Narrativ schuld, das sich seit der Gründung des Vereins Ende der neunziger Jahre beharrlich hält: »Wir seien nicht aufgeschlossen, mit uns könne man nicht reden, wir wollten die Leute nur ideologisieren – das sind so die Bilder, die Leute von uns haben«, erzählt Glass, die in Wurzen gut vernetzt ist.

Wer für dieses Narrativ verantwortlich ist, lässt sich nicht genau sagen, Tatsache ist aber, dass es immer wieder Mobilisierungen gegen das NDK vonseiten der AfD und des Neuen Forums für Wurzen (NFW) gegeben hat. Grundsätzlich habe die Stadt dem Verein zwar keine Steine in den Weg gelegt, so Glass, aber eine öffentliche Kooperation habe es bisher – beispielsweise bei Veranstaltungen – nicht gegeben. Angesichts der vielen rechtsmotivierten Straftaten und Übergriffe in Wurzen wäre eine klare Haltung zu rechten Strukturen jedoch dringend notwendig: In den letzten Jahren wurden in der Stadt immer wieder Geflüchtete attackiert und Linke bedroht. Mehrere Wurzner Unternehmen stehen im Verdacht, von Rechten geführt zu werden, und auch die Verbindungen von Mitgliedern des Kampfsportvereins zur rechten Szene sind kein Geheimnis. Sind sich die Menschen in Wurzen dieser Strukturen nicht bewusst? »Ich würde sagen: In Wurzen passiert mehr im Hintergrund, weniger offensichtlich. Weshalb die Leute das wahrscheinlich nicht als Bedrohung wahrnehmen«, schätzt Glass die Situation ein.

Ein grundsätzliches Problem ist der Mangel an Räumen für junge Menschen: Neben dem Kampfsportverein, einem kaputten Skateplatz und einem fragwürdigen Jugendclub gibt es wenig Angebote. Viele junge Leute berichten außerdem, dass es für sie ein Problem sei, in die Ortskneipen zu gehen, weil es dort bereits nach dem ersten Bier Ärger gebe, erzählt Glass. Sie und ihr Team wollen das dringend ändern. Mit dem »Punkrocktresen« im Keller des NDK-Gebäudes am Domplatz – auch D5 genannt – bietet der Verein bereits seit über zwanzig Jahren eine echte Alternative. Musikerinnen, Geflüchtete, Punks und Neugierige versammeln sich dort immer mittwochs bei Bier, Pfeffi und Co. Auch die D5 wird argwöhnisch betrachtet.

Welchen Umgang miteinander streben wir an? Wie können die Fäden in der Stadt zusammengehalten werden, ohne zu sehr von der eigenen Haltung abzuweichen? – Das sind Fragen, die das NDK umtreiben. Als Nächstes plant der Verein einen dezentralen Raum unabhängig von der D5, der insbesondere von jungen Leuten genutzt werden kann, die die Stadt aktiv mitgestalten wollen. Den Wahlerfolg des parteilosen Marcel Buchta begrüßt Glass sehr: Sie hoffe auf eine stärkere Zusammenarbeit mit dem neuen Oberbürgermeister und dass die Problemlage in der Stadt nun auch öffentlich anerkannt werde. CHIARA SWENSON

Dorf der Jugend, Grimma

Zwischen Fahrradselbsthilfewerkstatt, Proberaum und Gemüsegarten gibt es Platz. Im weitläufigen Dorf der Jugend können Kinder und Jugendliche ihren Interessen nachgehen und eigene Projekte selbstbestimmt umsetzen – und so nachmittags auch das Gelände selbst mitgestalten: Seit 2014 will das Projekt der offenen Jugendarbeit Alternativen für junge Menschen im ländlichen Raum schaffen und Freiräume zur Verfügung stellen.

Das Gelände der ehemaligen Spitzenfabrik liegt am Stadtrand von Grimma, einer Stadt, in der die AfD viel Zulauf bekommen hat. Laut Sarah, der stellvertretenden Vorsitzenden des Fördervereins für Jugendkultur und Zwischenmenschlichkeit (FJZ), der das Projekt führt, sei die Lage in Bezug auf rechte Strukturen in Grimma »noch nie super« gewesen. Inzwischen aber fühlten sich öffentliche Institutionen nicht mal mehr zu Äußerungen angehalten, und wer sich öffentlich gegen rechts bekennt, werde schnell ins linksextremistische Lager gestellt. Dazu gebe es in Grimma eine »recht unpolitisierte Stadtgesellschaft«, in einer passiven »Pseudo-Ruhe« werde von einer stillen Akzeptanz bis zu einem Zuspruch zu rechten Strukturen wenig öffentlich problematisiert. Vor diesem Hintergrund gibt es sehr wenig Platz für politische Diskurse: »Es werden einem schon aktiv Steine in den Weg gelegt«, bemerkt Sarah auch über die Stadtverwaltung, die mit einer neuen Regelung aktive politische Meinungsäußerung unterbindet: Bei der Organisation von politischen Demonstrationen auf dem Marktplatz in Grimma bekommt niemand mehr von der Stadt Strom.

Die Jugendarbeit wird zwar durch den Förderverein und ehrenamtliche Hilfe gestützt, ist aber abhängig von Fördergeldern und Projektstellen. Dabei werden Sarah und die Mitwirkenden des Projekts immer wieder vor strukturelle Hürden gestellt: Dieses Jahr hat der Landtag die Sozialarbeitsstellen gestrichen, dazu häufen sich die AfD-Anfragen im Landtag, die die Finanzierung des Projekts hinterfragen. So müsse das Dorf der Jugend seinen Status bei Stadtverwaltung und Landtag immer wieder neu aushandeln.

Auch konkret auf dem Gelände an der alten Spitzenfabrik macht sich Gegenwind in Form von Sachbeschädigung bemerkbar. Ob Beton im Briefkasten oder eingeschmissene Scheiben, im Projekt sei man diesbezüglich abgestumpft: Bei einer neuen Hakenkreuz-Schmiererei »macht sich niemand mehr ne große Platte«. Das Projekt versucht darauf zu reagieren, indem die Situation publik gemacht wird, um öffentliche Unterstützung zu bekommen – was im überregionalen Raum funktioniere.

In Bezug auf Unterstützung ist es laut Sarah wichtiger, neben Demonstrationen mit Event-Charakter und kurzfristiger Aufmerksamkeit auch emanzipatorische Projekte zu unterstützen, die nachhaltig gegen Entwicklung rechter Strukturen arbeiten: So kann auf dem Areal der alten Spitzenfabrik beim Container-Café, das Freitag bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr offen hat, Limo getrunken werden, was die Nebenkosten des Projekts finanziert. Außerdem findet am 26. und 27. August das Crossover-Festival statt – Besuch und helfende Hände sind willkommen. CHARIS MÜNDLEIN

Colorido, Plauen

Plauen ist seit Jahren bekannt als Stützpunkt der rechtsextremen Partei III. Weg. Die Partei besitzt zwei Stadthäuser, Toni Gentsch sitzt für sie seit 2019 im Plauener Stadt- und im Kreisrat. »Sie sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und werden nicht mehr weggehen«, sagt Doritta Kolb-Unglaub, Vorstandsvorsitzende von Colorido. Der Verein gründete sich 2017 als Reaktion auf die Präsenz der rechten Partei. »Die haben provoziert mit rechten Parolen und niemand ist dagegen vorgegangen. Wenn sie ihre Aufmärsche gemacht haben, hat der ehemalige Oberbürgermeister uns empfohlen, in den Häusern zu bleiben und zu warten, bis es vorbei ist.«

Aber Warten, dass es vorbeigeht, das will Colorido nicht. Der Verein will zeigen, dass es weiterhin genügend Menschen in Plauen gibt, die sich klar gegen rechts positionieren. Aber die Arbeit ist mühselig. »Wir freuen uns schon, wenn mal zehn Leute zu unseren Veranstaltungen kommen. Die Menschen sind diskussionsmüde geworden und von der Stadtverwaltung wird uns vorgeworfen, für das schlechte Image der Stadt verantwortlich zu sein, statt uns zu unterstützen«, berichtet Kolb-Unglaub. Trotzdem machen sie weiter und versuchen, mit den Plauenern und Plauenerinnen ins Gespräch zu kommen. Gerade funktioniere das gut über einen Bring-und-nimm-Laden, der für Geflüchtete aus der Ukraine eingerichtet wurde. Dieses Projekt auf feste Füße zu stellen, ist jetzt das Ziel des Vereins. Langfristig wünscht sich die Vorsitzende aber, dass Colorido gemeinsam mit anderen Initiativen in ein offizielles Netzwerk eingebunden wird, damit die Vereinsarbeit richtig anerkannt wird: »Wir wollen aufklären und vermitteln. Dafür wünschen wir uns einfach Rückendeckung aus der Stadtverwaltung. Nicht nur warme Worte im Wahlkampf.« Plauen sei eine schöne Stadt, in der viele Menschen nicht mit den Aktivitäten des III. Weges einverstanden seien. Aber die schweigende Masse lasse zu viel zu, viele Menschen hätten auch Angst, sich offen zu positionieren. »Wir machen trotzdem weiter«, sagt Kolb-Unglaub. Für den Herbst sind Filmvorführungen an Schulen geplant, im Dezember organisiert der Verein jedes Jahr einen Adventskalender. Täglich gibt es dann zum Beispiel einen Poetry Slam oder ein Verein stellt sich vor. Auch das seien immer wieder gute Gelegenheiten, um mit den Einwohnerinnen und Einwohnern Plauens ins Gespräch zu kommen. Um auch immer wieder zu zeigen, dass der Widerstand gegen den III. Weg auch in Plauen präsent ist. MAIKA SCHMITT

Steinhaus, Bautzen

Seit mehr als 30 Jahren wird das Steinhaus in Bautzen mittlerweile betrieben. Das soziokulturelle Zentrum ist Dreh- und Angelpunkt für das soziale Treiben in der Stadt, regelmäßig finden hier Konzerte, Lesungen und Workshops statt. Außerdem ist es Basis für die Jugend- und Sozialarbeit vor Ort. Geschäftsführer Torsten Wiegel ist auch schon 20 Jahre dabei: »Irgendwie macht die Arbeit nach wie vor Laune, auch wenn die Rahmenbedingungen in Ostsachsen besonders sind.«

Zentrales Thema für die Bautzener sei vor allem der Strukturwandel, sagt Wiegel. Insbesondere der demografische Wandel mache sich hier deutlich bemerkbar: Die eh schon wenigen jungen Menschen wandern weiter ab. »Die Unternehmen stehen gerade vor einem Wechsel in der Gründergeneration, die finden kaum Nachfolger«, erklärt Wiegel. Themen wie diese führen zu vielen Auseinandersetzungen in der Bevölkerung. Ein Problem sei zudem der Populismus: »Man muss immer mehr in den Auseinandersetzungen schauen: Gilt da das Argument oder Ideologie?«, bemerkt Wiegel und stellt klar: »Wir stehen jedenfalls für das Argument.«

Das Zentrum wird seit Jahren finanziell und politisch von der Stadt Bautzen unterstützt. Und das trotz durchaus schwieriger politischer Lage: Die stärksten Kräfte im Bautzener Stadtrat sind CDU und AfD, dicht gefolgt vom Bürger-Bündnis Bautzen. Bürgermeister Alexander Ahrens wiederum gehört der SPD an. Dass das Steinhaus trotz gesellschaftlicher Spannungen existiert, hat mehrere Gründe. Dazu beigetragen hat laut Wiegel die ständige Beteiligung aller Akteure: »Wenn wir über Beteiligung reden, müssen wir das ernst nehmen und nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern auch Kommunalpolitik und Wirtschaft einbeziehen.« Ein weiterer Teil des Erfolgsrezeptes sei das Team des Steinhauses, das aus rund 30 Menschen besteht: »In der Jugend- und Sozialarbeit braucht man starke Persönlichkeiten, die auch fachlich gut sind, um mit den Menschen konstruktiv umgehen zu können.«

Insgesamt findet Wiegel die Rahmenbedingungen für seine Arbeit gut. Doch er macht sich auch Sorgen: »Man kommt schwer zusammen, wenn die abstrusesten Verschwörungsideologien für realistischer gehalten werden als das, was wirklich ist.« Für die zukünftige Arbeit im Steinhaus soll das allerdings keine Rolle spielen, hier gehöre anlassloser Optimismus zur Stellenbeschreibung: »Wir müssen uns ja auch immer motivieren, Dinge, die sich sehr schwer ändern lassen, doch immer wieder anzugehen. Nicht aufzugeben, das ist ein großes Thema für Leute, die diese Arbeit im ländlichen Raum machen.« ANNA HOFFMEISTER

SAfT, Taucha

»Die Tat ist ein trauriger Höhepunkt einer schon seit mehreren Jahren zu beobachtenden Entwicklung in Taucha«, so äußerte sich der Verein Solidarische Alternativen für Taucha (SAfT) online zu dem mutmaßlichen Übergriff auf einen 14-jährigen Tauchaer Ende Juni. Dieser sei von zwei mutmaßlichen Neonazis mehrere Stunden lang misshandelt und genötigt worden. Der Verein zeigt klare Kante gegen derartige Eskalationen rechter Gewalt und organisierte in diesem Fall eine Kundgebung unter dem Motto »Rechte Gewalt stoppen« auf dem Tauchaer Marktplatz in Solidarität mit dem Betroffenen.

Erstmals zusammengefunden haben sich die Mitglieder von SAfT Ende 2018 beim sogenannten Herbstputz. Zum jährlichen Frühjahrs- oder Herbstputz rufen verschiedene Gruppen wie der Jugendclub Taucha auf, um gemeinsam gewaltverherrlichende Aufkleber und extremistische Graffiti in Taucha zu beseitigen. Dieses Event bot vor knapp vier Jahren den Startschuss für SAfT, der nun aus etwa zehn aktiven und einer Handvoll losen Mitgliedern besteht. Im Mittelpunkt der Arbeit von SAfT steht unmissverständlich ein Ziel: die Arbeit an der demokratischen Kultur und einer solidarischen Gemeinschaft in Taucha. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Gegenangebot zu rechten Inhalten und rechtsextremer Präsenz zu etablieren. In Taucha kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Beleidigungen, Übergriffen und Sachbeschädigungen, die mutmaßlich rechtspolitisch motiviert waren. Das Ladenlokal des Vereins Allmende Taucha wurde bereits fünfmal beschädigt, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wurden mehrfach verbal beleidigt. Manche Beteiligte des SAfT waren selbst bereits Opfer von rechter Gewalt, sei es in Form von Einschüchterungsversuchen, Bedrohungen oder Übergriffen. Die Mitglieder des Vereins, die selbst eine heterogene Palette parteipolitischer Einstellungen abbilden, möchten diese Taten nicht dulden und dem Geschehen etwas entgegensetzen. Seit mehreren Jahren organisieren sie daher entweder mit verschiedenen Kooperationspartnern – wie Monaliesa oder Rosalinde in Leipzig – oder in kompletter Eigeninitiative allerlei Aktionen gegen Rechtsextremismus: Projekttage, Kundgebungen, Filmvorführungen, Ausstellungen oder Gedenkveranstaltungen.

Der Verein hat dabei jedoch auch mit Herausforderungen zu kämpfen: Keines der Mitglieder ist für SAfT voll beschäftigt und kann sich ganz auf die aktive Arbeit gegen rechte Strukturen konzentrieren. Teilweise fehlen für die Vereinstätigkeit schlicht die Zeit und Kapazitäten – alle Mitglieder sind über 30, viele über 40 Jahre alt und haben kleine Kinder. Auch die Landflucht junger Menschen macht sich in der Mitgliederstruktur bemerkbar: »Junge Leute, die sich politisch einbringen wollen, gehen eher weg, anstatt daran zu glauben, dass man hier vielleicht noch etwas ändern kann«, so ein Mitglied des Vereins. Gerade deswegen hat SAfT die Vision, irgendwann nicht mehr nur temporäre Aktionen zu organisieren, sondern einen festen Begegnungsort, einen Kulturraum für Vielfalt, Toleranz und respektvollen Austausch etablieren zu können. Solch ein permanenter Treffpunkt könnte dann insbesondere eine bunte und solidarische Jugend- und Debattenkultur in Taucha fördern. THERESA ZÄNGLER

Treibhaus, Döbeln

Im beschaulichen Döbeln, eine Zugstunde östlich von Leipzig, leistet der Verein Treibhaus seit der Gründung 1997 antifaschistische Arbeit. Entstanden in den sogenannten »Baseballschlägerjahren« als Schutzraum für nicht-rechte Jugendliche, entwickelte sich der Verein über die letzten 25 Jahre zum soziokulturellen Zentrum für Döbeln und Umgebung. Die Idee: Angebote schaffen, damit Menschen mitmachen, sich einbringen und verwirklichen können.

Neben dem Vereinssitz, einem prächtigen Gründerzeitbau in der Bahnhofstraße, verfügt das Treibhaus auch über eine Skatehalle und das »Haus der Vielfalt«. In den Einrichtungen werden unterschiedliche Nachfragen bedient. Es gibt unter anderem Sport- und Bewegungsangebote, Workshops, Konzerte, Vorträge und eine Migrationsberatung.

Die AG Geschichte ist das historisch-politische Bildungsprojekt des Vereins. Sie beschäftigt sich mit der Historie Döbelns zwischen 1923 und 1945. In diesem Rahmen werden regelmäßig öffentliche Stadtrundgänge angeboten, die sich etwa mit dem jüdischen Leben in Döbeln beschäftigen – vor dem Holocaust gab es eine jüdische Gemeinde in der Stadt. Die AG machte ihre Recherche-Ergebnisse der Öffentlichkeit durch eine eigene Website und Broschüren zugänglich und organisierte die Verlegung von Stolpersteinen.

Seit April 2022 ist das Treibhaus einer der 13 »Orte der Demokratie« (siehe Infokasten auf S. xx). Die damit verbundene Förderung in Höhe von jeweils 100.000 Euro für die kommenden drei Jahre soll das Projekt Werkstadt unterstützen, das die Menschen in Döbeln zusammenbringen soll. Dazu gehören etwa Renovierungsarbeiten am »Haus der Vielfalt«, auch im Hinblick auf Barrierefreiheit, und ein Nähcafé als Begegnungsort. Den Menschen soll durch Begleitung und Beratung die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst in Gruppen als demokratische Akteurinnen und Akteure zu organisieren.

In der Vergangenheit habe es mit dem Kulturkonvent Probleme bezüglich der Förderung gegeben, erzählt Geschäftsführer Henry Engelmann. Im Kulturkonvent bestimmen die beiden Landräte der Landkreise Mittelsachsen und Erzgebirge über die Vergabe von Fördermitteln. Die Förderung des Treibhauses wurde im Dezember 2019 nach dem haltlosen Vorwurf einer linksextremen Ausrichtung des Vereins durch die AfD zeitweise zurückgestellt. Der Vorwurf des vermeintlichen Linksextremismus sei bei manchen Menschen noch präsent. Mit der Stadt laufe die Zusammenarbeit aber gut – wie zuletzt beim Spendenladen des Treibhauses, in den die Leute Kleidung für Geflüchtete aus der Ukraine bringen konnten. Zudem koordiniert das Haus freiwillige Helferinnen und Helfer in Döbeln.

Auch wenn Übergriffe von Neonazis in Döbeln selten geworden seien, warnt Engelmann vor rechten Strukturen in der Region: Die rechte Siedlerbewegung breite sich um Leisnig aus und scheue den Schulterschluss mit AfD und alten Nazi-Strukturen nicht. Neonazis, vor allem aus den alten Bundesländern, würden von rechten Strukturen in der Umgebung Wohnraum und Jobs organisiert kriegen. Die Verwaltung sei noch ratlos, so Engelmann. Man müsse das im Auge behalten und mehr Bewusstsein schaffen, vor allem bei Jugendlichen. JAN MÜLLER

 

Titelbild: Christiane Gundlach


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