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Politik

Eine schleichende Offensive

Stadtrat geht engagierte Stimme für Solarenergie verloren

  Eine schleichende Offensive | Stadtrat geht engagierte Stimme für Solarenergie verloren

Sophia Kraft war Expertin für nachhaltige Energien in der Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat. Vor wenigen Monaten hat sie ihr Mandat abgegeben damit geht auch wichtiger Input verloren, der die Solaroffensive der Stadt Leipzig vorangebracht hat.

Sophia Krafts Karriere bei den Leipziger Grünen verlief zunächst steil: 2019 zog sie eher unerwartet in den Stadtrat ein, dann wählte ihre Fraktion sie zur stellvertretenden Vorsitzenden und zur Sprecherin für Energiepolitik und Digitales. Mitte Mai dieses Jahres hat sie ihr Mandat abgegeben – sie kann Ehrenamt, Job und Familie nicht länger vereinbaren. Das hat direkte Auswirkungen auf die Kommunalpolitik: Sie war eine der wenigen, die im Stadtrat die Solaroffensive vorantrieb.

Klimaneutral werden, der Ausbau von Solarenergie, raus aus der Kohle, das waren ihre Themen, sagt Sophia Kraft. Gemessen an anderen Städten, findet sie, wurde in Leipzig der Weg in Richtung Erneuerbare sehr spät eingeschlagen. Sie kritisiert, dass die Fernwärmeversorgung der Stadt größtenteils noch auf dem Lippendorfer Kohlekraftwerk basiert. Das Braunkohlekraftwerk zählte 2021 zu den zehn größten CO2-Emittenten Europas. Aufgrund der Tatsache, dass das Kraftwerk ja nun schon einmal da sei, habe man sich in Leipzig »nicht sonderlich gezwungen gesehen, Alternativen zu schaffen«, schildert Kraft ihren Eindruck. Sie deutet außerdem an, in Sachen Energieversorgung durch das Braunkohlekraftwerk Lippendorf bestünden »Abhängigkeiten von Dritten, die auch in mysteriösen Geschäften verwickelt sind« und verweist auf eine Greenpeace-Veröffentlichung von 2017. Schnell habe die Fraktion gemerkt: »Okay, da müssen wir weg von«, sagt Kraft. 2019 ruft der neue Stadtrat den Klimanotstand aus, die Grünen fordern den Ausstieg aus der Kohle. Ein Sofortmaßnahmenprogramm musste erarbeitet werden, für Kraft wurden aus den erwarteten zehn bis 15 Stunden Ehrenamt im Stadtrat bis zu 25 Stunden pro Woche – während sie in Vollzeit bei der Europäischen Energiebörse arbeitete.

Lippendorf soll 2035 vom Netz gehen. Um weiterhin die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, planten die Stadtwerke das Gaskraftwerk Leipzig Süd, Ende dieses Jahres wird voraussichtlich der Betrieb aufgenommen. Doch das reicht nicht aus, findet Kraft. Es hätte viel früher überlegt werden müssen: »Wie können wir Flächen akquirieren, um die Photovoltaik stärker auszubauen und was muss in der Stadt alles verändert werden?« Zudem brauche es die passende Infrastruktur, um industrielle Abwärme nutzen zu können, etwa aus Rechenzentren.

2020 verabschiedet der Stadtrat ein 20-Millionen-Programm für den Klimaschutz – und Kraft bekommt ihr zweites Kind. Durch die Pandemie fiel für sie die Kinderbetreuung weg: »Das ist nicht spurlos an uns Stadträtinnen, Stadträten und unseren Familien vorbeigegangen.« Um ihrer Arbeit im Stadtrat dennoch nachgehen zu können, bezahlte Kraft die nötige Kinderbetreuung aus Ersparnissen.

Im Januar 2021 beantragt die grüne Fraktion ein Förderprogramm: Eine Million Euro sollen in sogenannte »steckerfertige Balkon-Photovoltaikanlagen« für Privathaushalte fließen – so der ursprüngliche Gedanke. Im ersten Antrag heißt es, man wolle damit die grüne Stromproduktion und die Energiewende fördern und außerdem die Wohnnebenkosten vor allem für einkommensschwache Mieterinnen senken. Der Antrag, der letztendlich beschlossen wurde, sieht eine Förderung von Privathaushalten mit nur noch 500 Tausend Euro vor. Die anderen 500 Tausend Euro sind nun für Photovoltaikanlagen auf kommunalen Flächen vorgesehen. Viele Leipzigerinnen und Leipziger mit privaten Sonnenbalkonen werden so wohl doch leer ausgehen.

Nicht nur das: Um die sogenannte »Solaroffensive« ist es seit Monaten sehr ruhig geworden, während in anderen deutschen Städten entsprechende Programme bereits angelaufen sind. An diesen hätte man sich orientieren können, meint Kraft. Überhaupt sei so eine Förderrichtlinie schnell aufzusetzen, »aber die Verwaltung, die denkt dann darüber nach, welche weiteren Förderrichtlinien könnte es geben, die man damit verknüpfen könnte«.

Das eigentliche Problem sei aber die Abwicklung. »Wenn wir uns vorstellen, für so ein Solarmodul gibt es 200 Euro Zuschuss, dann wollen das natürlich schon viele haben und beantragen das dann auch.«, erläutert Kraft. Dann brauche es eine Sachbearbeiterin, die das alles abwickelt – und dieses Personal fehle. Eine solche Stelle müsse erst einmal geschaffen werden, »und dann dauert das Jahre«. Kraft wird das als Stadträtin nicht mehr miterleben, Mitte Mai legte sie ihr Amt nieder. Die Gründung einer Familie – ohnehin mit finanziellen Belastungen und weniger Freizeit verbunden – mache ein zeitintensives Ehrenamt nahezu unmöglich.

Porträtfoto von Sophia Kraft
Sophie Kraft (Foto: Christiane Gundlach)

Aus ihrer Tätigkeit in der Privatwirtschaft sei sie anderes gewohnt, erklärt Kraft. Es müsse doch möglich sein, flexibler zu arbeiten. Nicht im Voraus über »das große Ganze« nachzudenken, sondern einfach mal anzufangen, gegebenenfalls weitere Akteure mit einzubeziehen und einfache Lösungen zu suchen. Krafts Tipp für Leipzigerinnen und Leipziger, die sich gern eine Balkon-Photovoltaikanlage installieren wollen: die Rechnung aufheben – vielleicht geht rückwirkend noch was. Der Druck sei auf jeden Fall da: »Die Stadt weiß, dass sie liefern muss.«

Als Beraterin bleibt Kraft der Grünen Fraktion noch erhalten. Auch die Anträge, die sie auf den Weg gebracht hat, wird sie noch weiter begleiten. Dennoch geht dem Leipziger Stadtrat mit Sophia Kraft eine engagierte Person in Klimafragen verloren. Ihr Nachfolger auf der grünen Liste, Andreas Dohrn, ist Pfarrer, kein Energiewirtschaftler; er werde ihre Themen nicht entsprechend übernehmen können – ebenso wenig wie die bereits im Stadtrat aktiven Grünen. Erst durch das Mutter-Sein hat Kraft den Wunsch verspürt, in der Kommunalpolitik mitzuwirken. Mit der Geburt ihres ersten Kindes hat Kraft einen neuen Blickwinkel auf das tägliche Leben und die Strukturen dahinter entwickelt, angefangen bei der Frage nach sicheren Radwegen. Doch sie musste feststellen: Für junge Familien ist Kommunalpolitik ein Luxus, den man sich leisten können muss.

Einen ausführlichen Artikel über den Rücktritt von Sophia Kraft lesen Sie im aktuellen kreuzer-Magazin (8/22).


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