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Kultur

Roboter in der Dienstleistungshölle

Improtheaterstück »Mein Freund F.R.E.D.« ist vielschichtig mit vielen Pointen

  Roboter in der Dienstleistungshölle | Improtheaterstück »Mein Freund F.R.E.D.« ist vielschichtig mit vielen Pointen

Das Sommertheater von der Moritzbastei und der Theaterturbine stellt mit »Mein Freund F.R.E.D.« große Fragen mit viel Humor.

Eine nicht allzu ferne Zukunft, Menschen werden 200 Jahre alt, ziehen in den 125. Stock, um ein bisschen Licht zu bekommen und der größte Luxus ist Urlaub in einem echten Wald. Beziehungen sind schwierig, aber der Kapitalismus bei bester Gesundheit. Deshalb muss regelmäßig ein Team von fünf Leuten bei der Happy Week von Mega-Coorporation Buyland bei den Paketen für den »human touch« sorgen, also etwas Menschlichkeit in den sterilen Versand bringen – im Akkord natürlich. Doch plötzlich taucht aus dem Nichts ein neuer Kollege auf. Er lernt schnell, packt noch schneller, ist aber auch ein bisschen komisch und ungelenk. Irgendwas stimmt da nicht.

So das Setting für das aktuelle Sommertheaterstück »Mein Freund F.R.E.D.« von Moritzbastei und Theaterturbine, das am Mittwoch Premiere feierte. Wie immer gibt es dabei keinen fertigen Stücktext, sondern Regisseur Stephan Thiel und die Improvisateure der Turbine – in diesem Fall Miriam Kohler, Anne Rab, Thomas Deubel, Michael Hinze, Armin Zarbock und Thomas Zerck – haben ihn auf den Proben selbst entwickelt und dann zu einem komisch-ernsten Theaterabend zusammengedampft. Wo zunächst eine fast schon handelsübliche Dienstleistungsgesellschafts- und Kapitalismuskritik im Raume steht, so wendet sich doch mit dem Auftauchen von F.R.E.D. das Blatt. Denn er ist, auch wenn er das geheim halten will, ein Roboter aus einem Versuchsprogramm mit Emotionen. Ein Roboterkollege ist allerdings das Letzte, was die insgesamt eher dysfunktionale menschliche Arbeitscrew möchte, und so plant man die Demontage des Eindringlings – auch wenn F.R.E.D. die Menschen bald besser versteht als diese sich selbst.

Damit bewegt sich dieses Sommertheater an einer spannenden Frage der heutigen Zeit und einem Klassiker der Science-Fiction-Literatur, nämlich der beseelten Maschine, also wenn Maschinen ein Bewusstsein entwickeln. Doch das Sommertheater wäre nicht das Sommertheater, wenn es jetzt auf hochkomplizierte ethisch-philosophische Diskurse zurückgreifen würde. Im Gegenteil, die Turbinespielerinnen und -spieler brechen es mit viel Komik und einem außerordentlichen dramaturgischen Rhythmusgefühl auf handhabbare Handlungsbrocken herunter und erschaffen Figuren zum Knuddeln, die sich den ethischen Fragen im praktischen Schnelldurchlauf widmen. Viel wichtiger ist das immer körperbetonte Spiel, besonders Thomas Zerck als F.R.E.D. liefert da großartig ab, wenn er per Mikrowelle in den Standby versetzt wird und sich danach erst langsam wieder hochfahren muss.

Bühnen- und Kostümbildnerin Christiane Hercher hat den sechs ein übergroßes orangenes Billy-Regal auf die Bühne gestellt und alle in gleichfarbige Nicki-Uniformen gesteckt, die entfernt an die allererste Star-Trek-Staffel erinnern. Ein Mischpult und Keyboard dienen als Retro-Technik-Anleihen. Darüber legt Michael Hinze einen fast schon schwebenden Soundtrack mit allerlei Technik-Blubbern. Fast zwei Stunden lang toben die sechs nun über die Bühne, verwickeln sich in Slapstick, Technik-Behauptungen oder die klassischen zwischenmenschlichen Beziehungsbomben. Es entsteht ein vielschichtiges, aber nie kompliziertes Bühnenstück, das im Zweifelsfall keine Pointe liegen lässt. Das Ergebnis ist eine wunderbar leichtfüßige Theaterunterhaltung, die trotz aller Gags auch mit einem gewissen inhaltlichen Tiefgang daherkommt. Und am Ende sogar mit Happy End. 

Weitere Vorstellungen: 11.-13.8., 16.-20.8., 23.-26.8. und 28.8.2022, je 20 Uhr im Innenhof der Moritzbastei, bei Regen in der Veranstaltungstonne

Foto: Karsten Kriesel


In einer früheren Version fehlte der Name des Regisseurs Stephan Thiel. Das bitten wir zu entschuldigen.


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3 Kommentar(e)

Kathrin 14.08.2022 | um 13:39 Uhr

Der (lobenden) Kritik kann ich größtenteils zustimmen, nur leider vermisse ich die Erwähnung des Regisseurs: Stephan Thiel, ohne den die Inszenierung so nicht möglich gewesen wäre, denn es handelte sich nicht, wie der Artikel vermuten ließe, um im Improtheater ....

Kathrin 15.08.2022 | um 06:04 Uhr

Schöne Kritik, nur leider lässt der Journalist aus, dass es sehr wohl einen Regisseur gab und vergisst seinen Namen zu nennen. Das möchte ich hier nachholen: Stephan Thiel - ohne ihn wäre die Inszenierung nicht das was sie ist. Sehenswert!

Dr. Rudolf Rausch 15.08.2022 | um 09:10 Uhr

Hallo, liebe Rzensentin, lieber KRezenensnt, die Kritik finden wir sehr treffend - der kann man nur zustimmen! Gleichwohl finden wir es etwas befremdlich, dass der Regisseur nicht genannt wird, nicht einmal namentlich! Es dürfte bekannt sein, dass ein Regisseur - in Zusammenarbeit mit den Schauspielern - bei einer Stückentwicklung auch dramaturgisch verantwortlich ist, noch bevor die eigentliche Regiearbeit beginnt. Erst die gemeinsam erbrachten Leistungen von Schauspielern und Regisseur lassen so eine gute Inszenierung entstehen. Das sollte wohl nicht unerwähnt bleiben - beim nächsten Mal also nicht vergessen! Mit freundlichen Grüßen Ilka und R. Rausch