Wer sichere Veranstaltungsräume für marginalisierte Gruppen schaffen will, muss in den eigenen Reihen anfangen und dort aus Fehlern lernen. Ein Beitrag über präventive Awareness-Arbeit in Leipzig und die Frage nach Mindeststandards.
Als der kreuzer 2019 zuletzt über Awareness-Arbeit berichtete, führte diese in Leipzig noch ein Nischendasein – nun findet am 7. und 8. Oktober der erste Fachtag »Across Awareness« statt. Grundsätzlich meint Awareness-Arbeit eine Struktur, die in Clubs und auf Veranstaltungen hilft, Betroffene von Diskriminierung und Gewalt zu unterstützen. Dabei wird den Betroffenen die Deutungshoheit für Situationen zugesprochen – ihre Gefühle werden nicht hinterfragt. Awareness-Personal vermittelt also nicht, sondern steht ausschließlich hinter der betroffenen Person. Trotz Pandemie und Stillstand im Nachtleben entwickelte sich die Leipziger Awareness-Szene im Hintergrund weiter: Das Netzwerk sei sowohl größer als auch professioneller geworden, berichtet Alex von der Initiative Awareness, die bereits seit zehn Jahren in dem Bereich aktiv ist. Sie und ihre Kolleginnen schufen 2019 mit dem Projekt »Support f(x)« eine Schnittstelle, über die sich viele Initiativen austauschen und ihr Wissen bündeln konnten. Dadurch sind auch neue Themen in den Fokus gerückt: Auf dem Fachtag, den die Initiative nun mit organisiert, will man Intersektionalität verstärkt in den Blick nehmen. Wie kann Awareness-Personal eine Anlaufstelle für Menschen von verschiedenen Diskriminierungsformen werden und was muss sich dahingehend noch in den Veranstaltungsstrukturen ändern?
Awareness in den eigenen Reihen
Awareness-Arbeit an den eigenen Strukturen – in Leipzig seit ein, zwei Jahren kein Fremdwort mehr: »Wie ist die Stimmung im Team? Haben Leute Erfahrungen mit Sexismus oder Rassismus innerhalb des Teams oder mit Crew-Mitgliedern gemacht? Gibt es Hierarchien und Strukturen, die einen daran hindern, darüber zu reden?«, zählt Felix, Leiter der Antidiskriminierungs-AG des Elipamanoke, wichtige Themen auf. Wer seine Gäste dahingehend sensibilisieren möchte, müsse natürlich erst mal vor der eigenen Haustür kehren, betont er – oder dahinter. Die Notwendigkeit von interner Awarenessarbeit wurde in den letzten Jahren fatalerweise auch durch verschiedene Fälle sexualisierter und sexueller Gewalt in linken und subkulturellen Räumen deutlich. Das Institut für Zukunft (IfZ) habe eigenen Angaben nach, beim »Pivo-Fall« viel falsch gemacht und daraus einiges gelernt: »Das hat bei ganz vielen Leuten ein ganz neues Bewusstsein für die Thematik geschaffen. Eine ganz andere Sicht auf das, was man als linkes Kollektiv ist, und dass Privates auch politisch ist«, erklärt Henno, der seit Pandemiebeginn in der Safer-Clubbing-AG des IfZ arbeitet. Seitdem wurde ein neues, internes Awareness-Konzept ausgearbeitet, um auf Diskriminierung und sexuelle Gewalt in den eigenen Strukturen angemessener reagieren zu können.
Auch im Mjut versucht man, aus Fehlern zu lernen. Vergangenes Jahr warfen ehemalige Awareness-Mitarbeiterinnen dem Club vor, Awareness als Feigenblatt zu verwenden, »ohne sich tiefergehend mit den Bedürfnissen und Strukturen in einer diskriminierenden Realität auseinandersetzen zu wollen«1. Die Finanzkoordinatorin Trang und die Awareness-Leiterin Pauline kennen die Vorwürfe, auch wenn sie selbst zur Zeit des Geschehens noch nicht im Mjut arbeiteten. Beide sind motiviert, den Club zu einem Safer-Space für alle zu machen: Als Teil eines Übernahmeprojektes, das interne strukturelle Veränderungen im Kollektiv anstrebt, beschäftigen sie sich auch mit präventiver Awareness. Für Pauline gehört dazu auch die Frage nach der Diversität des Teams: »Wenn ich als betroffene Person da wäre und es nur Männer oder Hetero-Personen im Team gäbe, dann würde ich mich, wenn es zum Beispiel eine queerfeindliche Situation wäre, unwohl fühlen, nur mit diesen Personen zu sprechen«, erklärt Pauline. Deshalb gilt: Je vielfältiger und perspektivenreicher das Team, desto besser – nicht nur für die Gäste, sondern auch für die eigenen Strukturen. Voraussetzung dafür ist ein grundlegendes Verständnis von struktureller Diskriminierung und die Reflexion von eigenen Privilegien im Team: Wer ist weiß und deshalb nicht von Rassismus betroffen? Wer ist cis und heterosexuell? Wer ist finanziell so (familiär vor-)aufgestellt, dass er oder sie leichter Zugang zu Bildung oder auch die Möglichkeit hat, ehrenamtliche oder prekäre Jobs in der Kulturszene zu übernehmen? Wer sich solche Fragen nicht stellt, bleibt an der Oberfläche oder betrachtet Awareness im schlimmsten Fall nur als Trend.
Standards könnten helfen
Hilfreich könnte eine Art von Mindeststandard für Awareness sein, der »Trendsetter« entlarvt – doch wie würde dieser aussehen? Und wie weit können Awareness-Konzepte eigentlich gehen? Als das Fluid-Festival dieses Jahr in Brandenburg sein Debüt feierte, wurde ich selbst Zeugin eines vergleichsweise umfangreichen Awareness-Konzeptes. Mehrere Monate habe die Gruppe intensiv daran gearbeitet, erzählt May aus dem Fluid-Team, der in Leipzig lebt. Das Konzept wurde im Vorfeld allen Veranstalterinnen und Gästen kommuniziert und beinhaltet unter anderem Regeln zum Umgang mit Formen von kultureller Aneignung. So wurden Träger und Trägerinnen von »Locks« – Dreadlocks, die von Weißen getragen werden – für das Thema kulturelle Aneignung sensibilisiert und gebeten, ein Tuch überm Haar zu tragen. May und das restliche Team halfen außerdem dabei, Safer-Spaces für BPoC- und FLINTA-Personen (Black People und People of Color sowie Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, Trans- und Agender-Personen) zu organisieren, in denen nur diese Menschen Zutritt hatten. May berichtet: »Wir haben positives Feedback zu den Spaces bekommen, und ich hatte den Eindruck, dass sie rege genutzt wurden.«
Henno vom IfZ kennt das Fluid-Konzept. Seine Meinung dazu? Club und Festival sind zwei verschiedene Veranstaltungen: »Die Leute kommen bei uns rein, sind die ganze Zeit tanzen und haben nicht viel Muße, sich zwischendurch mit mir hinzusetzen und über kulturelle Aneignung zu reden.« Auch Alex von der Initiative Awareness plädiert für eine Unterscheidung der jeweiligen Rahmenbedingungen: »Für uns ist jedes Awareness-Konzept sehr individuell und muss zu den Orten und zum Vibe passen. Ganz salopp gesagt: Es gibt Subkulturen, in denen es total normal ist, sich anzutanzen. Bei Techno-Raves zum Beispiel ist das schon ein No-Go.« Mindeststandards für Awareness müssten scheinbar an die jeweiligen Veranstaltungsräume und ihre Gegebenheiten angepasst sein. Dennoch sollten die Veranstalterinnen und Veranstalter dabei nicht den Blick für strukturelle Diskriminierungen verlieren und sich selbst auch weiterhin hinterfragen, denn nur so können sich marginalisierte Gruppen in Zukunft sicherer fühlen. Ein Festival, das versucht, in Brandenburg – wo die AfD bei den Bundestagswahlen vergangenes Jahr 18,3 Prozent der Stimmen bekam – an erster Stelle einen sicheren Ort für BPoC zu schaffen, um den Teilnehmenden negative Gefühle weitestgehend zu ersparen, das sollte keine Seltenheit bleiben.
■ Im kreuzer-Artikel »Nichts, was uns passiert« berichtete Linn Penelope Micklitz 2020 über einige der Vorfälle.
■ Einen umfassenden Überblick über die Ereignisse, ihre Einordnung als ein strukturelles Problem und konkrete Handlungsempfehlungen für Clubs und Kollektive liefert das Anfang 2021 erschienene zweiteilige Feature »Täter an den Decks« von Lea Schröder im Frohfroh-Magazin.
■ Eine Analyse der Ereignisse sowie ein Interview mit den Bloggerinnen findet sich im September 2021 erschienen Beitrag »Unmut im Mjut – ein Zwischenstand« von Amy Woyth im Frohfroh-Magazin
Illustration: Stefan Ibrahim
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»Offenere Augen im Club«: Die Leipziger Journalistin Lea Schröder veröffentlichte 2021 das Feature »Täter an den Decks-Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt durch Leipziger DJs«. Im kreuzer-Interview hat sie über ihre Erfahrungen bei der Recherche und die Reaktionen dazu gesprochen. Hier gehts zum Interview.