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»Brot wächst ja nicht im Supermarkt«

Johanna Tschiersch gründet nicht weit von Leipzig eine Getreidemühle

  »Brot wächst ja nicht im Supermarkt« | Johanna Tschiersch gründet nicht weit von Leipzig eine Getreidemühle

Den Traum einer eigenen Handwerksmühle erfüllt Johanna Tschiersch sich gerade nicht weit von Leipzig entfernt. Wie diese Mühle aussehen und funktionieren soll, erklärt sie im kreuzer-Interview.

Sie ist auf einem Mühlenhof großgeworden und nach wie vor im Mühlenbusiness: Johanna Tschiersch spricht über Biolandwirtschaft in der Region Leipzig, den Bedarf an Handwerksmühlen, das erste ökologische Gewerbegebiet in Nordsachsen und Verarbeitungswege von Lebensmitteln. Und sie erklärt, warum Mühlen keine Flügel haben.

Wie kommt man auf die Idee, eine Handwerksmühle zu gründen?

Schon mein Urgroßvater war Müller und das zieht sich immer weiter durch die Familie. Meine Eltern haben bis 1991 auch eine Mühle betrieben, ich verbrachte also einen Teil meiner Kindheit auf einem Mühlenhof. Seit 1991 hat mein Vater ein Ingenieurbüro für Mühlenbau und Getreidetechnik, dort arbeite ich seit elf Jahren. Und mein Bruder ist Projektingenieur für Müllereitechnik und Müllermeister. Er gehört zu meinen drei Mitstreitern, die in Liemehna, zwanzig Kilometer nordöstlich von Leipzig, eine Mühle gründen.

Gibt es denn Bedarf an Getreidemühlen in der Region?

Es gab in Leipzig einmal vier Mühlenstandorte. Die letzte Leipziger Handwerksmühle in Engelsdorf schloss vor etwa zwei Jahren, nach über 400 Jahren Betrieb. Seitdem gibt es in Leipzig und Umgebung keine Mühle mehr, die nächste mit einer ernsthaften Produktion ist ungefähr 80 Kilometer entfernt. Dabei ist das Veredeln und Vermahlen von Getreide ein wesentlicher Verarbeitungsschritt für unsere Ernährungsgrundlage. Unser Brot wächst ja nicht im Supermarkt.

Was unterscheidet denn eine Handwerksmühle von anderen Mühlen?

Hinter den großen Mühlen stecken teilweise international agierende Konzerne, dort arbeiten wenige Leute. Industriemühlen sind große Anlagen, die per Computer betrieben und gesteuert werden. Die größten deutschen Industriemühlen vermahlen am Tag bis zu 1.500 Tonnen Getreide. Das ist eine Menge, die wir zukünftig mal, wenn alles gut läuft, pro Jahr vermahlen wollen. Kleine und mittlere, familien- oder inhaberbetriebene Mühlen gibt es gerade im Osten Deutschlands nur noch wenige. Das Getreide für die großen Anlagen – und das Mehl – legt weite Wege zurück, das Getreide wird teilweise international eingekauft.

In Ihrer Handwerksmühle sitzen Sie demnach nicht nur am Computer?

Wir arbeiten natürlich auf dem aktuellen Stand der Technik, aber wir betreiben tatsächlich handwerkliche und händische Arbeit.

Ihre Mühle hat aber keine Flügel?

Diese romantische Vorstellung verbinden sehr viele Menschen mit dem Wort Mühle. Aber auch unsere Mühle ist eine Industrieanlage.

Was heißt denn Biomühle genau?

Einer unserer vier Mitgründer ist Robert Künne, ein Biolandwirt, auf dessen Land wir die Mühle errichten – sein Getreide verarbeiten wir natürlich auch. Wir lassen uns zertifizieren und lassen in unsere geschäftlichen Entscheidungen möglichst viele ökologische Aspekte einfließen – von der Bodenbearbeitung bis zur Auswahl der Papiertüten. Wir haben eine Solaranlage auf dem Dach, viele Grünflächen, Fassaden- und Dachbegrünung, Retentionsmulden zum langsamen Versickern von Regenwasser, und versiegeln so wenig Boden wie möglich.

Planen Sie ein Gewerbegebiet?

Unseres Wissens nach wird das Betriebsgelände das erste ökologische Gewerbegebiet in Nordsachsen, vielleicht sogar in ganz Sachsen. Zusammen mit der Mühle entsteht ein Dienstleistungszentrum für Biolandwirtinnen und Biolandwirte, deren Getreide oder Leguminosen (Hülsenfrüchte, Anm. d. Red.) wir für die Weiterverarbeitung vorbereiten und veredeln können. Diesen Service gibt es in der Region im Biobereich ebenfalls noch nicht, das geschieht bisher über den Großhandel oder ist mit langen Transportwegen verbunden. Um unseren Hofladen entsteht ein Café mit Spielplatz und Schaugarten und wir veranstalten Mühlenführungen.

Müssen Verbraucherinnen und Verbraucher in den Hofladen fahren, um Ihre Produkte zu kaufen?

Wir sind in Leipzig mit Bäckereien, Bioläden und mit Erzeugerinnen und Erzeugern über gemeinsame Anknüpfungspunkte und Vertriebsflächen im Gespräch.

Wann geht es denn los?

Wir arbeiten seit zwei Jahren an der Idee – und der dazugehörigen Bürokratie. Nun, nach Bestätigung der Bauanfrage und des Finanzierungskonzepts, können wir endlich auch vor Ort starten. Noch ist in Liemehna nicht viel zu sehen. Zur Ernte im kommenden Jahr wollen wir dabei sein.

FOTO: CHRISTIANE GUNDLACH

■ www.lerchenbergmühle.de


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