anzeige
anzeige
Kultur

Geschichtsschleifung

Diskussionsstoff: Ein Buch zur Umgestaltung des Sowjetischen Pavillons

  Geschichtsschleifung | Diskussionsstoff: Ein Buch zur Umgestaltung des Sowjetischen Pavillons

Zum Tag des offenen Denkmals öffnet auch das Leipziger Stadtarchiv die Tore. Die Tür, um in die DDR Geschichte des Gebäudes zu blicken, öffnet der kreuzer.

Seit 1993 findet am zweiten Sonntag im September der Tag des offenen Denkmals statt. In diesem Jahr steht er unter dem Motto »Kulturspur – Ein Fall für den Denkmalschutz«. Dabei sollen Fragen wie »Welche Hinweise auf die Geschichtsschreibung lassen sich an der Bausubstanz finden?« beantwortet werden.

Im Programm sind auch zwei Führungen zu »Kulturspuren im Stadtarchiv – Nüchterne Messehalle im Sowjetischen Gewand«, die der Leipziger Denkmalpfleger Peter Leonhardt anbietet. Er begleitete zwischen 2015 und 2019 den Umbau des Sowjetischen Pavillons zum Stadtarchiv. Nicht nur der Blick auf die erhaltene und nicht mehr erhaltene historische Bausubstanz dürfte interessant werden.

Bereits die Selbstdarstellung des Archivs auf der Homepage der Stadt zeigt einige Geschichtsauslassungen. Dort heißt es: »Das Stadtarchiv Leipzig ist ein wichtiger historischer Wissensspeicher und wird oft auch als das ›Gedächtnis der Stadt Leipzig‹ bezeichnet. Als solches ist es nicht nur ein Kompetenzzentrum der Stadtgeschichte und ein generationenübergreifender Lernort, sondern auch ein wichtiger Kristallisationspunkt städtischer Identität.« Doch die Frage, warum für ein Archiv die Geschichte des Gebäudes, in dem es sich befindet, nicht nennenswert scheint, stellt sich nicht nur beim Anblick der Homepage: Der Flyer des Archivs wirbt zwar mit 15 briefmarkengroßen Abbildungen aus der Geschichte des Hauses – etwa vom Sechs-Tage-Rennen 1926 oder von der Schlüsselübergabe. Aber Fotografien zur konkreten politischen Geschichte – wie zur Kriegsproduktion und zur Stalin-Skulptur oder ein Verweis auf den Sowjetischen Pavillon finden sich auch dort nicht.

Wer sich für die detaillierte Geschichte des Gebäudes interessiert, dem sei der 2021 bei M-Books in Weimar erschienene Band »Sowjetischer Pavillon – Substanz oder Erscheinung« sehr empfohlen.

Zur Frühjahrsmesse 1925 eröffnete auf dem damaligen Messegelände die Ausstellungshalle des Vereins Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken. Der Dresdner Architekt Oskar Pusch, der auch den Bau der benachbarten Deutschen Bücherei verantwortete, gestaltete den Eingangsbau mit einer strengen Pfeilerfront. Der Leiter des Messe-Baubüros Karl Crämer entwarf die ungefähr 170 Meter lange Messehalle mit einer heute noch zu sehenden dreischiffigen Stahlskelettkonstruktion und zweigeschossigen Anbauten. Während der Wintermonate fanden hier Radsportler auf einer Holzrennbahn eine Bleibe, in deren Mitte es zudem Platz gab für Boxwettkämpfe – wie den am 4. November 1927 zwischen Max Schmeling und Hein Domgörgen. Im Zweiten Weltkrieg produzierten die Junkers-Werke hier Flugzeugmotoren. Ab 1950 stellte die UdSSR ihre Waren in der Messehalle aus. An der Fassade wurde der Schriftzug CCCP im Eingangsbereich angebracht. Ein Turm mit goldener Oberfläche und rotem Stern bildete den Abschluss des Eingangsbereichs. Im Inneren fanden eine überdimensionale Stalin-Skulptur und ein Mosaik mit dem Rotem Platz in Moskau und Lenin-Mausoleum Platz. 1952 nahm der Leipziger Architekt mit NS-Vergangenheit Walter Lucas (siehe kreuzer 7/2022) einen Umbau vor. Er ordnete die Pfeiler paarweise an, Meißner Keramik verkleidete die Außenschicht. Verschiedene architektonische Schmuckelemente führten den Pavillon in Richtung Zuckerbäckerstil. In den siebziger Jahren bauten Mitglieder der Berliner Bauakademie den Pavillon erneut um: Nun herrschten strenge Linien im Eingangsbereich. Über dem Eingang hingen die überdimensionalen Stahlblech-Buchstaben UdSSR. Mit dem neuen Messegelände im Norden der Stadt ab Mitte der neunziger Jahre musste eine andere Funktion für das Gebäude gefunden werden. Um es attraktiv für Investoren zu gestalten, wurden ab 2003 in Abstimmung mit der Denkmalpflege die Keramikverkleidung an der Fassade wie auch die Buchstaben abgenommen. Im Äußeren blieben lediglich der goldene Turm und der rote Stern erhalten.

Der Rückbau markiert »eine wesentliche Veränderung des Gebäudes und zerstörte die authentische Bausubstanz«, so eröffnet Peter Zirnkels Band zum Pavillon die Betrachtungen zur Geschichte. Die nun abwesenden Spuren der Geschichte sollten die Vermietung erleichtern und seine Rolle als repräsentatives Gebäude vergessen lassen, das die »Bedeutung der UdSSR im politischen und gesellschaftlichen System der DDR« verkörperte.

Fotografien von Till Schuster im Band zeigen den Zustand vor der Archiv-Planung. Daran schließt sich ein Gespräch an zwischen Schuster, Denkmalpfleger Thomas Will und Architekt Peter Zirkel, der den Umbau ab 2015 plante. Sie kritisieren deutlich die »nutzungsunabhängige Sanierung« von 2004, die den Kopfbau in einen Rohbau versetzte. Zirkel bemängelt zudem die Ignoranz der Buchstaben. 2017 antwortete Peter Leonhardt auf eine Anfrage der Autorin über den Verbleib der Buchstaben: »Die Buchstaben kommen nicht wieder an die Fassaden – dafür fand sich keine Mehrheit. Sie bleiben aber in der Nähe des Eingangs stehen/liegen.« Mittlerweile sind sie eingelagert. Ein anderer Vorschlag der Architekten, die komplexe Geschichte des Hauses im Eingangsbereich abzubilden, wurde ebenfalls nicht realisiert.

Der Band möchte Diskussionen anstoßen und liefert dafür ausreichend Material, wenn schon der Ort des städtischen Gedächtnisses seine eigene Geschichte ignoriert.

FOTO: DAGMAR ASTEN; STADTARCHIV LEIPZIG

■ Peter Zirkel (Hrg.): Sowjetischer Pavillon. Substanz oder Erscheinung. Weimar: M Books 2021. 116 S., 18 €               

■ Das Programm zum Tag des offenen Denkmals findet sich unter: www.tag-des-offenen-denkmals


Kommentieren


0 Kommentar(e)