Der Leipziger Journalist Aiko Kempen verklagt das sächsische Landeskriminalamt (LKA) – weil ihm aufgefallen ist, dass die Berichterstattung vor Beginn des Prozesses gegen Lina E. Informationen enthielt, die der Presse noch nicht bekannt sein konnten. Seit Herbst 2021 läuft am Oberlandesgericht in Dresden der Prozess gegen Lina E., die Anführerin einer linksextremen Gruppe gewesen sein soll, unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und besonders schweren Landfriedensbruchs. Besonders bei Berichten der Welt hatte Kempen den Eindruck, dass einige Informationen aus den Ermittlungsakten stammen können. Die Klageschrift, die dem kreuzer vorliegt, nennt als Beispiel den Beitrag »Dastehen mit der Waffe und Leute abballern«, in dem abhörte Gespräche aus der Innenraumüberwachung eines Fahrzeuges eines Angeklagten thematisiert und Inhalte zum Teil wörtlich wiedergegeben werden. Kempen vermutet deshalb, dass Ermittler im Fall Lina E. Journalistinnen und Journalisten Akteneinsicht gewährten.
Dabei geht es jedoch nicht um einzelne Beamte. Kempen vermutet eher, dass sogenannte Hintergrundgespräche stattgefunden haben. Das sind Runden, in denen Journalisten und Akteure aus Politik, Behörden oder Unternehmen zusammenkommen, oft auf Initiative der letzteren. Journalistinnen und Journalisten werden dabei zu bestimmten Themen ausführlich informiert, dürfen aber in der Regel nicht aus den Gesprächen zitieren. Solche Runden soll es laut Kempen auch zu den Ermittlungen um Lina E. gegeben haben.
Er kritisiert diese »mehr oder weniger stillschweigend praktizierte Praxis« der Hintergrundgespräche. »Das ist teilweise gezielte PR-Arbeit«, findet Kempen. Schon vor Beginn des Prozesses hatte er den Eindruck, dass Ermittlungsbehörden in der Berichterstattung eher positiv dargestellt wurden. Im Zuge einer Recherche für Frag den Staat, eine Transparenz- und Investigativ-Plattform, für die Kempen arbeitet, fragte er beim LKA Informationen dazu an. Konkret wollte er unter anderem wissen, mit wem und zu welchen Themen Gespräche geführt wurden und ob es Gespräche gab, die auf Initiative des LKA stattfanden. Das LKA beantwortete die Fragen nicht und verwies darauf, dass durch Auskünfte Rückschlüsse auf die konkrete Recherchetätigkeit der beteiligten Journalistinnen möglich wären.
Kempen stützt sich auf sein Recht auf Auskunftsanspruch als Journalist – und will die Fragen nun per Gericht beantwortet bekommen. Mit seiner Klage am Verwaltungsgericht Dresden möchte er generell mehr Öffentlichkeit schaffen für die Praxis der Hintergrundrunden. »Sehr machtvolle Institutionen sind in der Lage, eine gewisse Berichterstattung zumindest ins Rollen zu bringen«, sagt der Journalist. Besonders bei laufenden Prozessen beziehungsweise bevor ein Urteil gefällt wird, sei es problematisch, wenn Behörden gezielt Informationen an die Presse geben. Das führe laut Kempen dazu, dass in der Öffentlichkeit schon ein bestimmtes Bild gezeichnet werde. Die Klage sei keine Kritik an den Reporterinnen und Reportern, die zu solchen internen Runden eingeladen werden. Er als Investigativ-Journalist verstehe, dass man die Möglichkeiten, an Informationen zu kommen, immer abwägen müsse, sagt er.
Kempens Klage ähnelt bewusst einer früheren Klage von Jost Müller-Neuhof, dem rechtspolitischen Korrespondenten des Tagesspiegel. Er wollte erfahren, ob der Bundesnachrichtendienst (BND) in vertraulichen Gesprächen Journalistinnen informiert hatte. Der BND berief sich auf den Quellenschutz. Müller-Neuhof bekam Recht: 2019 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der BND der Presse bestimmte Auskünfte über vertrauliche Gespräche mit anderen Journalistinnen und Journalisten erteilen muss.
Obwohl die Klage von Müller-Neuhof damals erfolgreich war, muss das nicht dasselbe für Kempens Klage bedeuten, sagt Jonas Kahl, Fachanwalt für Medienrecht bei der Leipziger Kanzlei Spirit Legal. Denn die Rechtsgrundlage sei eine andere: Die BND-Klage beruhte auf dem Auskunftsanspruch der Presse aus dem Grundgesetz, während die Klage gegen das LKA auf dem sächsischen Pressegesetz beruht. »Die grundsätzlichen Wertungen des Bundesverwaltungsgerichts sind auf diesen Fall tatsächlich übertragbar, allerdings wird man auch einen genauen Blick auf die Besonderheiten der sächsischen Ausnahmeregelungen werfen müssen, bei deren Vorliegen eine Auskunft versagt werden dürfte«, sagt Kahl. Zudem könnte es rein faktische Aspekte geben, die der gewünschten Auskunft entgegenstehen könnten – beispielsweise dann, wenn es gar keine Aktenaufzeichnungen von etwaigen Gesprächen gibt. Das wäre der Fall, wenn es zum Beispiel nur einen »Maulwurf« gab, der Informationen weitergeleitet hat. »Es sind aber in beiden Fällen ähnliche Erwägungen darüber, welche Interessen schützenswert sind«, schätzt Kahl ein.
Das LKA bestätigte dem kreuzer den Eingang der Klage, könne sich aber wegen des laufenden Verfahrens nicht dazu äußern.
Foto: Verwaltungsgericht Dresden
Transparenzhinweis: Der Kläger, Aiko Kempen, hat in der Vergangenheit für den kreuzer als Online-Redakteur und freier Autor gearbeitet. Zu den in der Klage genannten Journalistinnen und Journalisten, die über den Lina-E.-Prozess berichten, gehört auch Edgar Lopez, der Politikredakteur des kreuzer.