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Politik

»Eine außerparlamentarische Frauenbewegung ist unerlässlich«

Florence Hervé erhält den Louise-Otto-Peters-Preis der Stadt Leipzig

  »Eine außerparlamentarische Frauenbewegung ist unerlässlich« | Florence Hervé erhält den Louise-Otto-Peters-Preis der Stadt Leipzig

Die Stadt Leipzig zeichnet das Lebenswerk der Germanistin, feministischen Publizistin und Aktivistin Florence Hervé mit dem Louise-Otto-Peters-Preis aus. Die Französin lebt seit Jahrzehnten in Deutschland und Frankreich. Ein Gespräch über Feminismus.

kreuzer: Wie kamen Sie zur feministischen Arbeit?

Florence Hervé: Das ist über 50 Jahre her. Um das Wort von Simone de Beauvoir zu gebrauchen: Ich bin nicht als Feministin geboren, ich wurde es. 1944 in eine französische bildungsbürgerliche Familie hineingeboren, hatte ich zunächst viele Chancen, die andere nicht hatten. Dennoch fand ich in der Gesellschaft keine (Frauen-)Vorbilder, mit denen ich mich identifizieren konnte, nur männliche Helden. Mitte der 1960er Jahre lebte ich mit zwei kleinen Kindern in der Bundesrepublik und erfuhr, was es heißt, unter dem Regime der »drei Ks«, Kirche, Kinder, Küche, zu leben. Ich konnte nicht studieren, meine Zukunft nicht anders sehen als an Heim und Herd gefesselt. Da kam Empörung als erster Schritt zur Veränderung, dann die Gründung und das Engagement im Bonner Arbeitskreis Emanzipation.

Welche Figuren prägten Ihre eigene Emanzipationsgeschichte?

Erst die Entdeckung von Clara Zetkin und Simone de Beauvoir, später, unter anderen, Louise Michel, Flora Tristan und Louise Otto-Peters. Vor allem prägten mich antifaschistische Widerstandskämpferinnen sowie die Unterstützung und die Zusammenarbeit mit Wegbegleiterinnen und Freundinnen, mit denen ich seit 45 Jahren den Kalender »wir frauen« und seit 40 Jahren die gleichnamige Zeitschrift herausgebe. Die internationale Zusammenarbeit und die Solidarität waren wunderbare Erfahrungen. In der Solidarität, die nach Che Guevara »die Zärtlichkeit der Völker« ist, liegt auch die Kraft der Frauen.

Wie betrachten Sie die Entwicklung des Feminismus in den letzten 40 Jahren?

Als wir uns engagierten, gab es einen mächtigen Frauenaufbruch. Heute gibt es eine gewisse Zersplitterung sowie eine Institutionalisierung von Frauenbewegungen, zum Beispiel mit den Gleichstellungsbüros und Beratungsstellen. Das ist sicherlich ein Erfolg der Frauenbewegung, andererseits sehe ich die Gefahr, dass Frauen denken: Es gibt Stellen, die für mich kämpfen, da brauche ich mich nicht einzusetzen. Eine außerparlamentarische Frauenbewegung ist unerlässlich, um Druck auf ebenjene staatlichen Stellen auszuüben. Außerdem geht es nicht nur um gleiche Rechte, sondern um Emanzipation. Oder, wie junge Feministinnen sagen: »Wir wollen nicht die Hälfte des verschimmelten Kuchens, wir wollen die ganze Bäckerei.«

Wie sehen Sie die intersektionalen Kämpfe innerhalb des Feminismus?

Ich kann die intersektionalen Kämpfe nur begrüßen. Die Intersektionalität gab es schon bei Zetkin, auch wenn es damals nicht so hieß. Man kann die Frauenfrage eben nicht von den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen losgelöst betrachten, zum Beispiel von Kolonialismus, Rassismus und sozialer Diskriminierung.

Worin sehen Sie aktuell die größte Bedrohung für Frauenrechte?

In der Weltlage: Krieg, Klimakatastrophe, Pandemie ... Diese haben gravierende Auswirkungen für Frauen: verstärkte Gewalt, Vergewaltigungen, zerstörte Infrastrukturen, Einsparungen, die die Frauen wiederum hart treffen. Wenn hundert Milliarden für Waffen investiert werden, fehlen diese hundert Milliarden unter anderem bei sozialen Einrichtungen. Krieg bedeutet zudem Flucht, Verfolgung, Verhaftungen, Hunger … Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Rückschritte in Bezug auf eine geschlechtergerechtere Verteilung der Arbeit und Sorgearbeit leichter erlitten werden als gedacht: Home-Office als Einstieg in den Ausstieg aus der Erwerbsarbeit. Worüber ich ebenso entsetzt bin, ist das Infragestellen von Selbstbestimmungsrechten, vor allem vom Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

Gehört das Selbstbestimmungsrecht von trans Personen für Sie ebenso zu der feministischen Frage der Selbstbestimmung?

Ja, auch wenn ich mich mit dem Thema bisher wenig beschäftigt habe. Jedenfalls ist es wichtig, dass viele Menschen sichtbar werden, deren Leiden früher überhaupt nicht beachtet wurden.


Titelfoto: Florence Hervé. Copyright: Thomas A. Schmidt.


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