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Kultur

»Alles muss auf den Prüfstand«

Direktor Olaf Thormann über das Grassimuseum für Angewandte Kunst in Krisenzeiten

  »Alles muss auf den Prüfstand« | Direktor Olaf Thormann über das Grassimuseum für Angewandte Kunst in Krisenzeiten

Viele Kulturveranstalter nehmen einen Publikumsschwund wahr. Erleben Sie Ähnliches?

Im Vergleich zu 2020/21 haben wir wieder deutlich Publikum zugewinnen können. Wir schätzen, dass wir 2022 auf mindestens 70 Prozent der Zahlen von 2019 kommen. Es gibt also tatsächlich einen Schwund, der aber nicht zwingend verstetigt zu denken ist. Am stärksten bildet er sich derzeit bei Veranstaltungen ab. Ein Teil unserer Gäste meidet also auch bewusst das Risiko größerer Konzentration von Menschengruppen. Andererseits konnten wir während des Grassi-Open Air-Sommers viele sehr gut besuchte Veranstaltungen verbuchen.

Wie hat sich das Publikumsverhalten seit dem Ende der Lockdowns verändert?

Es gibt deutlich weniger Reisegruppen. Bei den Bildungsträgern – v.a. bei Gymnasien – steht zunächst der Lehrplan im Vordergrund, da spüren wir schon, dass die Kontakte der steten Pflege bedürfen und dass nach einem Aussetzen und den vielen Einschränkungen infolge von Corona der Neueinstieg manchmal auch mit Schwierigkeiten verbunden ist. Man kann das dann nicht innerhalb kürzester Zeit gleich wieder von Null auf Hundert hochtouren. Da während der Lockdowns überall viele neue digitale Angebote entwickelt worden sind, ist es auch gut möglich, dass sich ein Teil des Kulturkonsums ins digitale Wohnzimmer verlagert hat – was ja Vor- und Nachteile mit sich bringt. Aber dazu fehlen uns belastbare Zahlen.

Wann erwarten Sie einen Zustand wie vor dem März 2020?

Den erwarten wir gar nicht, weil sich die Welt inzwischen grundlegend verändert hat und die Maßstäbe nicht mehr die gleichen sind. Im Grunde geht es aber immer wieder um die Frage: Wie essentiell ist Kultur für unsere Gesellschaft? Wer hat Teilhabe? Die – noch vom Stadtrat endgültig zu bewertenden – Bemühungen der Stadt Leipzig trotz und auch gerade wegen der Krisen, in den Dauerausstellungen der Museen Entgeltfreiheit zu gewähren, sind deshalb u. E. sehr wichtig. Der Zugang zu Kulturerlebnissen würde dadurch erleichtert, die Rolle von Kultur-Institutionen stabilisiert und in ein neues Licht gerückt.

Was wünschen Sie sich vom Publikum und was von der Politik?

Ob wir gerade Wunschkonzert haben, wissen wir nicht. Wenn aber Kultur als Grundnahrungsmittel – und nicht als Sahnehäubchen – sowohl vom Publikum als auch von der Politik verstanden wird, dann wäre das eine gute Basis, um gemeinsam die neuen Transformationsprozesse zu gestalten. Längerfristiges Denken und Planen wäre dabei in jedem Fall gut.

Was wurde in den letzten zwei Jahren verschoben bzw. entfiel ersatzlos?

Verschiebungen gerade von Ausstellungsprojekten sind häufig extrem schwierig bis unmöglich. Eine geplante Ausstellung – 6ul – entfiel leider ersatzlos, etliche andere hatten extrem verkürzte Laufzeiten. Natürlich sind auch zahlreiche Veranstaltungen entfallen. Und die Realisierung einiger Projekte zur Verbesserung des Statuts »Museum als 3. Ort« verzögert sich.

Was steht nun seit der Energiekrise zur Debatte?

Zum Beispiel das weitere Forcieren der Umstellung der Beleuchtung auf LED, um Energie in Größenordnung einzusparen. Das betreiben wir schon seit etlichen Jahren, wir sind aber aufgrund begrenzter Eigenmittel nur in kleineren Schritten vorangekommen. Jetzt scheint gerade ein großer Schritt zu gelingen. – Generell: Der Blick für Klima- und Energiefragen ist extrem geschärft und führt zu vielfältigen Wandlungen.

Welchen Einfluss besitzt die Energiekrise auf Planung und Programmgestaltung?

Die Beweglichkeit in der Umsetzung und auch die Planungssicherheit werden geringer, die Risiken wachsen. Alles muss auf den Prüfstand und wir werden stärker priorisieren, möglicherweise an bestimmten Punkten auch Verzicht üben. Die Arbeit mit dem eigenen Bestand, die wir schon seit vielen Jahren in den Vordergrund gerückt haben, wird noch mehr an Bedeutung gewinnen. Dennoch braucht es weiterhin den großen, auch internationalen Austausch. Wir wollen keine Regionalliga.


Titelfoto: Grassimuseum.


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