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Kultur

»Energieressource der ganzen Gesellschaft«

Direktor Anselm Hartinger erklärt, wie das Stadtgeschichtliche Museum durch die Krisen kommt

  »Energieressource der ganzen Gesellschaft« | Direktor Anselm Hartinger erklärt, wie das Stadtgeschichtliche Museum durch die Krisen kommt

kreuzer: Viele Kulturveranstalter nehmen einen Publikumsschwund wahr. Erleben Sie Ähnliches?
Anselm Hartinger: An sich ist das Stadtgeschichtliche Museum (SGM) relativ gut wieder in das Alltagsgeschäft reingekommen. Die Besucherzahlen sind allerdings sehr unterschiedlich in den einzelnen Häusern. Guten Zuspruch weisen nach der Sanierung das Alte Rathaus wie auch das Völkerschlachtdenkmal auf. Der Coffee Baum wird aktuell bis Ende 2023 saniert, das Schillerhaus über diesen Winter neugestaltet. Große Ausschläge gibt es bei den Veranstaltungen. Manche Gesprächsformate sowie die Mittagskonzerte im Alten Rathaus werden gut angenommen, bei Vorträgen hängt viel vom Referenten oder der Tageszeit ab. Das Publikum entscheidet sich bewusster für jedes Event.

Wie hat sich das Publikumsverhalten seit dem Ende der Lockdowns verändert?
Für die Museen ist es wichtig, dass sie eine verlässliche Öffnungsgarantie erhalten. Nur so können Familienwochenenden und Besuche von Touristen seriös geplant werden. Dabei sehen wir eine Verschiebung vom Gruppen- zum Individualtourismus. Vieles wird kurzfristiger entschieden; wer digital nicht gut aufgestellt ist, wird es schwer haben.

Wann erwarten Sie einen Zustand wie vor dem März 2020?
Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit vor Corona und Krieg könnte sich als lähmende Illusion erweisen. Vielmehr geht es darum, sich mit den veränderten Rahmenbedingungen kreativ auseinanderzusetzen. Gesundheitsschutz, Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit – woher stammt die Energie – werden dauerhaft gefragt bleiben; Vermittlungsangebote und Ausstellungsarchitekturen werden sich entsprechend ändern müssen. Zudem benötigen wir neue Kennziffern, um den Erfolg von Museen zu bemessen. Es geht nicht allein um Besucherrekorde, sondern um umfassend verstandene Nachhaltigkeit. Das SGM agiert jetzt mehr dezentral im Stadtraum, ist mit dem Rad zu Gast bei Stadtteilfesten.

Was wünschen Sie sich vom Publikum und was von der Politik?
Vom Publikum wünsche ich mir, dass es zu uns kommt und seine Wünsche mitgestaltend artikuliert. Wichtig ist zudem, dass Kultur Teil des alltäglichen Lebens bleibt und wir gemeinsam die schwierigen Jahre überstehen. Seitens der Politik erwarte ich klare Perspektiven und gestaltbare Rahmenvorgaben. Dass die Häuser offen bleiben, und zwar für alle. Der eintrittsfreie Besuch von Dauerausstellungen wäre ein gutes Signal des Stadtrats, denn Museen fördern den Gemeingeist und die demokratische Streitkultur. Generell steuert unsere Stadtspitze die Vorgänge bisher so umsichtig, dass Leipzig gut aus der Krise kommen könnte. Alle haben verstanden, dass Kultur und Bildung Standortfaktoren sind.

Was wurde in den letzten zwei Jahren verschoben?
Die Lockdowns waren verheerend für die Museen, die immer sichere Orte waren und deren Schließung die Pandemiebekämpfung nicht voranbrachte. Wir konnten alle Ausstellungen schieben und anpassen, doch litten einzelne Vorhaben sehr; etwa die Winter-Ausstellung, die eine Woche nach Eröffnung schließen musste. Mit dem Weihnachtsmarkt entfiel zweimal die Hauptquelle unseres Fördervereins. Projekte wie »Kennzeichen L« wurden durch die Krise aber auch aktualisiert und gewannen inhaltlich an Profil.

Welchen Einfluss besitzt die Energiekrise auf Planung und Programmgestaltung?
Ein großes Problem stellen die extremen Preissteigerungen dar. Auch die Bewachung und andere Serviceleistungen, für die ohnehin Personal fehlte, werden tendenziell unbezahlbar. Im Hinblick auf die Sanierungen der Häuser bereiten lange Lieferzeiten Sorge. Planung und Ausführung binden so noch mehr Kraft und Ressourcen. Bezogen aufs Programm wirkt sich der Zug zur Nachhaltigkeit immer stärker aus. Wir müssen realistische Einsparziele umsetzen, und trotzdem für Kulturgut und Gebäude ein Mindestmaß an Klima sicherstellen. Langfristig braucht es eine neue Balance von Energieeffizienz und Denkmalpflege ebenso wie von Datenschutz und Wissensteilung. Ich wünsche mir in der aktuellen Bewältigung einen reflektierten Optimismus, um die Krise gemeinsam meistern zu können. Wenn wir die Institution Museum jetzt klug neu ausrichten, hat sie noch viel Zukunft vor sich. Kultur ist systemrelevant und eine unersetzliche Energieressource für die ganze Gesellschaft.


Titelfoto: Anselm Hartinger. Copyright: Mahmoud Dabdoub.


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