Die Gehwege sind voll mit buntem Laub, Bars und Cafés bieten jetzt Glühwein an und eigentlich möchte man sich schonmal die dicke Winterjacke anziehen, aber irgendwie passt das diesen Herbst einfach nicht. Stattdessen: 26 Grad, also T-Shirt-Wetter und strahlender Sonnenschein. Insbesondere im Stadtkern können sich diese warmen Temperaturen noch bis abends halten, denn dort kommen einige Faktoren zusammen, die das begünstigen. Einer davon sind parkende Autos, die wie eine Art Wärmespeicher funktionieren. Wie stark sich die Fahrzeuge erhitzen, hängt zwar davon ab, wie lange sie in der Sonne standen, wie dunkel ihre Farbe ist und wie lange ihr Motor schon aus ist. Fakt ist jedoch: Im Innenraum kann es zu Temperaturen über 60 Grad kommen und auch unter den Fahrzeugen staut sich Wärme. Zusätzlich dazu beanspruchen Autos, im parkenden wie auch im fahrenden Zustand, versiegelte Flächen wie Asphalt. Diese heizen sich ebenfalls auf – Asphalt sogar bis zu 65 Grad bei 35 Grad Außentemperatur – und verringern letztlich auch den Anteil von Flächen, die ansonsten begrünt werden könnten und somit das Stadtklima verbessern würden.
Um die Auswirkungen von Autos auf unser Stadtklima statistisch berechnen zu können, müssten viele verschiedene Faktoren gezählt, gemessen und mit einbezogen werden: Die Gesamtzahl der Leipziger Straßen, der jährliche durchschnittliche tägliche Verkehrsfluss und der Fahrzeugtyp sind nur einige davon. Zudem bräuchte man eine Vergleichsmessung in einem Leipzig ohne Autos – ein schwieriges Unterfangen. Aufgrund dieser Hürden existieren bisher nur wenige Studien, die konkrete Zahlen liefern. Eine davon wurde in Veracruz, einer Stadt in Mexiko, durchgeführt, wo man die Auswirkungen exemplarisch in verschiedenen dicht bebauten Straßen untersucht hat: Das Forschungsteam konnte zeigen, dass die Temperatur in einer Straße, die von Norden nach Süden verläuft, um 1,6 Grad steigt, wenn dort mindestens zehn Autos parken.
Autos heizen also unsere Städte zusätzlich auf, aber nicht nur das: Sie beanspruchen auch unglaublich viel Fläche. Rund 270.000 Kraftfahrzeuge gab es vergangenes Jahr in Leipzig, Tendenz steigend. Damit ließe sich ein Stau nachbauen, der von Leipzig bis nach Florenz reichen würde.
Über die tatsächliche Parkplatzfläche in der Stadt gibt es bisher keine erhobenen Daten. Ein Recherche-Team des Mobilitätsmotors ermittelte aber, dass 2019 von der gesamten Leipziger Verkehrsfläche mindestens 8,7 Prozent für Autos reserviert war. Zum Vergleich: Die Öffentlichen Verkehrsmittel nahmen weniger als ein Prozent der Verkehrsfläche ein. In der Realität, so vermuten die Autorinnen und Autoren, sei mit weitaus mehr Parkfläche als ein Platz pro PKW zu rechnen.
Aussteiger-Programme für Autofahrerinnen
Was also tun? Mit E-Autos würden wir zwar weniger Abgase produzieren, doch am Platzproblem änderte das nichts und auch Stromer heizen sich auf. Nicht zu vergessen: Die Herstellung eines E-Autos ist keineswegs umweltfreundlich. Auch das Bundesumweltamt betont, dass die Auswirkungen auf Klima und Umwelt durch Mobilität nicht nur mit Hilfe von technischen Verbesserungen am Fahrzeug oder alternativen Antrieben erreicht werden können. Mit anderen Worten: Wir müssen vom Autofahren wegkommen und zwar bald. Aber wer oder was hilft uns dabei?
Diese Frage stellte sich Ellen Heinrichs Ende September, als sie den Entschluss fasste, ihr Auto abzugeben. Als berufstätige Mutter zweier Teenager hatte ihr das Autofahren bisher viel Zeit und Aufwand erspart. Sie selbst vergleicht es aber auch mit einer Sucht: »Du wirst von einem Auto abhängig und deswegen ist es extrem mühselig, davon wieder wegzukommen. Weil du dich jetzt hundertmal am Tag dagegen entscheiden musst: Nein, ich plane diesen Einkauf anders als mit dem Auto, oder ich überlege mir, ob jene Fahrt wirklich sein musss«.
Noch am selben Tag schrieb sie deshalb auf Twitter: »Ich habe heute mein Auto abgeschafft, weil ich noch konsequenter klimafreundlich leben will. Ich gebe zu, es fällt mir richtig schwer, auch wenn ich das Ding zuletzt kaum noch benutzt habe. Deshalb frage ich mich ernsthaft: Warum gibt es keine Aussteigerprogramme«? Die Resonanz ist überraschend stark und konstruktiv: Tausende Menschen reagierten darauf, erzählten von Lösungen, machten Mut und schickten Links zu Aussteiger-Programmen aus anderen Städten – darunter Heidelberg, Darmstadt und Augsburg. Auf einmal war da eine Plattform für Menschen, die auf ihr Auto verzichtet und sich umorientiert haben. Für Heinrichs ist genau das der springende Punkt: Wer sich nicht hauptsächlich in umweltbewussten Communities bewege, stehe oftmals ziemlich ratlos und alleine da. »Zur Umorientierung braucht man ziemlich viele Informationen, die man sich alle einzeln zusammensuchen muss. Da würde ich mir Unterstützung wünschen, zum Beispiel durch ein zentrales Info-Angebot meiner Stadt«, sagt sie.
Ähnlich wie in Bonn, wo Heinrichs lebt, sucht man in Leipzig solche Angebote bisher vergeblich. Eher im Gegenteil: Die Abonnements der LVB sind teuer, keines der Angebote enthält Car- oder Ridesharing. Zudem brauchen die S-Bahnen und Trams im Durchschnitt länger, als wenn man mit dem Auto fahren würde und das sogar zu Verkehrsstoßzeiten. Wer würde da sein Auto freiwillig stehen lassen geschweige denn weggeben?
Günstig, unkompliziert und motivierend
Für eine echte Verkehrswende weg vom Auto braucht es laut Tino Supplies, verkehrspolitischer Sprecher des Leipziger Ökolöwen, die »15 Minuten-Stadt«. Eine Stadt der kurzen Wege, in der alle städtischen Einrichtungen in einer Viertelstunde erreichbar sind, wie in Paris. Denn: Je länger der Weg, desto eher sei da die Neigung ein Auto anzuschaffen. Und je komplizierter die Wegeketten, desto eher sei man auf ein Auto angewiesen. Dies betreffe vor allem Familien mit Kindern, sagt Tino Supplies. »Die Leute müssen zur Haltestelle gehen ohne nachschauen zu müssen, wann die Bahn kommt. Also dieses ganze Planen und sich auf das Angebot einstellen, muss wegfallen, stattdessen muss es billig und einfach sein«, betont er. Übermäßig Organisieren und Planen will auch Heinrichs nicht: Sie wünscht sich eine vergleichende Übersicht der umweltfreundlicheren Mobilitäts-Angebote, vielleicht zum Einstieg Schnupper-Gutscheine für diverse Verkehrsmittel und mehr Berichterstattung über Menschen, die ähnliche Herausforderungen versuchten zu meistern. Dabei gehe es ihr nicht um das Geld, sondern darum, Zeit zu sparen und Motivation zu erhalten. Sie glaube außerdem, wenn man öffentlich machen würde, wer sein Auto bereits verkauft habe, wäre das ein Ansporn für andere mitzuziehen, sagt sie.
Wirft man einen Blick auf die Zahlen, sind es in Leipzig nur 40 Prozent, also weniger als die Hälfte der Haushalte, die aktuell kein Auto besitzen. Die Leipziger Ökolöwen wollen daraus zeitnah 60 Prozent werden lassen, denn dann kommt es laut Tino Supplies zu einem Kippunkt: »Wenn die Mehrheit der Leipziger Haushalte autofrei lebt, passieren Dinge schneller, dann ist eine andere Dynamik da.«
Aber können dabei auch positive Anreize helfen? Kostenloser Nahverkehr gegen Autoabmeldung in Heidelberg oder Darmstadt, eine Flatrate inklusive Carsharing, wie die Stadtwerke Augsburg anbieten – in anderen Städten werden einige solcher Modelle ausprobiert. Für Tino Supplies wären das durchaus ein Gamechanger, wenn die Bürgerinnen und Bürger dauerhaft einen kostengünstigen ÖPNV bekommen würden. Bisher sei der Programmzeitraum der benannten Städte allerdings begrenzt. In Heidelberg auf ein Jahr, in Darmstadt sogar nur auf drei Monate. Darin liege die Krux, findet Tino Supplies. Und die wichtigste Stellschraube ist seiner Meinung nach auch immer noch die Stadtplanung. Für Ellen Heinrichs wären solche Angebote ein guter Ansporn. Vielleicht braucht eine schnelle Verkehrswende tatsächlich vieles gleichzeitig. Und vor allem Austausch und öffentliche Aufmerksamkeit.
Grafik: Julia Kluge