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Kultur

Ein vorläufig gutes Ende

Die Sammlung des jüdischen Fotostudios Mittelmann ist nach Jahrzehnten nun in die Hände der Öffentlichkeit gelangt

  Ein vorläufig gutes Ende | Die Sammlung des jüdischen Fotostudios Mittelmann ist nach Jahrzehnten nun in die Hände der Öffentlichkeit gelangt

Unzählige Menschen - junge, alte, Männer, Frauen, Kinder schauten von den Wänden im Ausstellungszentrum der Leipziger Karl-Marx-Universität im Kroch-Hochhaus als im November 1988 die erste umfassende Ausstellung zum jüdischen Leben in der Stadt eröffnete. Aus Anlass des 50. Jahrestages der faschistischen Pogromnacht waren hier wichtige Stationen aus der Stadtgeschichte neben Objekten aus dem religiösen Leben und Kunstwerke zu sehen. Die Porträts stammten aus dem Fotoatelier von Abram Mittelmann im Petersteinweg 15. Aufgenommen auf Glasnegativen, vor der Flucht aus Deutschland in Kisten versteckt, fand sie die Leipziger Fotografin Gudrun Vogel 1987 auf dem Dachboden im Haus Petersteinweg.

Abram Mittelmann und seine Frau Rosa kamen aus Russland über Paris nach Leipzig. Seit 1909 war das Fotostudio im Petersteinweg geöffnet. Nicht nur die Mitglieder der israelitischen Gemeinde ließen sich hier abbilden. Der Standort gegenüber der Polizei führte viele, unterschiedliche Menschen in das Geschäft. Mittelmann war zudem organisiert in der Gemeinde und stand dem Verein selbständiger jüdischer Handwerker vor. Drei Kinder wurden in Leipzig geboren. Sohn Leo floh im März 1933 nach Paris, Sohn Siegfried verließ im Sommer 1939 die Stadt in Richtung Italien und Tochter Nadja ging 1940 nach Frankreich. Bereits 1932 war Rosa Mittelmann gestorben. Nach Verhaftungen und Gefängnisaufenthalten planten Mittelmann und seine neue Lebensgefährtin Alma Goliner die Flucht nach Dänemark, die allerdings im Leipziger Gefängnis endete. Im Sommer 1939 gelang dann die Flucht nach Belgien. Abram Mittelmann starb kurz vor der Deportation nach Auschwitz am 15. August 1942 in St. Gilles. Seine Partnerin wurde nach Auschwitz deportiert. Nadja Mittelmann wurde im September 1942 aus Südfrankreich nach Auschwitz verschleppt und getötet.

An sie erinnern seit November 2021 fünf Stolpersteine vor dem Haus. Achim Beier vom Archiv Bürgerbewegung organisierte die Verlegung und kontaktierte die Familie. Zur Verlegung reisten Familienmitglieder an. Vor einem Jahr wurde der Wunsch formuliert: »Es wäre zu wünschen, wenn das wertvolle Kulturgut, das Abram Mittelmann der Nachwelt hinterlassen hat, für die Stadt Leipzig erhalten bliebe und über subjektives Ermessen hinweg endlich einer breiten interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Zugleich wäre die Aufarbeitung des Bildarchivs eine wertvolle Quellendokumentation zur Beschreibung der Leipziger Sozialgeschichte.«

Denn seit der Ausstellung 1988 waren Fotografien aus dem Fotoatelier Mittelmann nur noch ein Mal Anfang der 1990er-Jahre in der Stadt zu sehen. Stattdessen bildete das Konvolut von 1.900 Glasnegativen einen Streitfall zwischen Stadt und Familie auf der einen Seite sowie Finderin und dem Gründer und ehemalige Geschäftsführer des Wissenschaftszentrums Leipzig Wieland Zumpe andererseits. Nach unzähligen Kontaktversuchen, um die Sammlung der Öffentlichkeit und der Familie zugänglich zu machen, erfolgte im Juli 2022 die Meldung von Glasnegativen mit über 3.500 Fotografien und Familienfotos samt Buchhaltungsunterlagen und Namenslisten in der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste unter der Signatur 600641.

Drei Monate später ging das Material einschließlich der bisherigen Aufarbeitungen und Korrespondenz von Wieland Zumpe in die treuhänderische Verwaltung des Archiv Bürgerbewegung über. Zumpe hatte bereits 2017 dem Archiv Unterlagen - wie etwa aus seiner Zeit als Vorsitzender des Bürgervereins Musikviertel zu Beginn der 1990er-Jahre - übergeben. »Das ist wunderbar. Mir fällt ein Stein vom Herzen«, so beschreibt die Enkelin Nadia Vergne die Übergabe, die ihr und ihrer Familien nun endlich auch den Zugang zu historischen Aufnahmen aus dem Familienkreis ermöglicht.

Beim Pressetermin am Montag dankte Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, auch der medialen Öffentlichkeit, die immer wieder an dieses bedeutende und bis dato unzugängliches Erbe der Stadt erinnerte und einen Zugang einforderte. Nun gilt es den Bestand zu sichern, aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Dafür wird bald ein Runder Tisch mit dem Archiv Bürgerbewegung, dem Stadtgeschichtlichen Museum, der Israelitischen Gemeinde und anderen Akteuren organisiert.


Titelfoto: Einblick in den Katalog »Juden in Leipzig«, 1989. Copyright: Sammlung Mittelmann, Nadia Vergne.


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