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Kultur

Azadiya – für ein Frauenleben in Freiheit

Die Leipziger Autorin Koschka Linkerhand hat ein Buch über eine junge vom Ehrenmord bedrohte Deutsch-Jesidin geschrieben. Ein Gespräch zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen.

  Azadiya – für ein Frauenleben in Freiheit | Die Leipziger Autorin Koschka Linkerhand hat ein Buch über eine junge vom Ehrenmord bedrohte Deutsch-Jesidin geschrieben. Ein Gespräch zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen.

»jin, jiyan, azadî« rufen die Frauen – und auch Männer – schon seit Wochen im Iran, als ich »Um mein Leben« lese, ein Buch, dass die Leipziger Autorin Koschka Linkerhand über und zusammen mit einer deutsch-jesidischen, lesbischen Frau geschrieben hat, die vom Ehrenmord bedroht ist und deswegen anonym lebt. Im Buch nennt sie sich: Azadiya – es ist die weibliche Form von Freiheit. Auf Kurdisch wie auf Persisch. Azadi nennt sich neuerdings auch eine selbstverwaltete Kneipe im Leipziger Westen. Steckt in azadi vielleicht das Potenzial, die feministischen Bestrebungen und Kämpfe gegen Gewalt an Frauen zu vereinen, auf einen Nenner zu bringen?

Ich treffe Koschka Linkerhand in einem ruhigen Café, wir sprechen auch über all die mutigen Frauen, die derzeit im Iran protestieren, obwohl immer wieder Protestierende misshandelt und umgebracht werden – und wir sprechen über ihr Buch und über Azadiya, die in Deutschland trotz aller Schutzmaßnahmen mit dem Wissen lebt, dass sie jeden Tag umgebracht werden kann. Weil sie so lebt, wie sie lebt und wie sie es für richtig hält.


kreuzer: Haben Sie gezögert, als Sie gefragt wurden, ob Sie das Buch über Azadiya schreiben wollen?

Koschka Linkerhand: Als Ilona Bubeck vom Querverlag mich angefragt hat, dachte ich gleich, dass es sehr spannend klingt und eine der Sachen ist, die wichtig wären. Und nachdem wir uns das erste Mal zu dritt getroffen haben, wusste ich sofort: Ich mache das. Ich hatte das Gefühl, diese Dringlichkeit des Themas von Azadiya gut mit meinen eigenen Anliegen verbinden zu können.


Der Begriff Ehrenmord ist im feministischen Diskurs mindestens umstritten. Wie stehen Sie dazu und hat sich an Ihrer Position während der Arbeit an dem Buch etwas verändert?

Ich glaube, mein Ansatz, Ehrenmorde als eine spezifische Art von Femiziden zu begreifen, hat sich nicht allzu verändert. Mir scheint es wichtig, Ehrenmorde an Frauen und Mädchen ins Verhältnis mit Femiziden zu setzen, die anderswo und teilweise unter anderen Umständen passieren, denen aber auch die tödliche Gewalt an Frauen zugrunde liegt, die eine bestimmte Erwartung nicht erfüllt haben. Insofern hat der Ehrenmord strukturelle Ähnlichkeiten mit anderen Femiziden. Es geht um Frauenmorde im Patriarchat.
Was sich während des Schreibens geändert hat, war die Erkenntnis, dass ich mich dem Thema aus unterschiedlichen Motivationen annähern kann: dass ich neben Azadiyas biografisch begründeter Dringlichkeit das Thema auch aus meiner theoretischen Sicht angehen kann. Deswegen auch diese dialogische Form des Buches. Damit wollte ich zeigen, dass Solidarität mit von Ehrenmord Bedrohten nicht unbedingt Identifizierung bedeutet, sondern ein ernsthaftes Sich-Auseinandersetzen auf Augenhöhe.
 

Buchcover »Um mein Leben«. Querverlag
Buchcover. Querverlag.

Sie haben im Buch eine literarische Form gewählt, die zwar nah an der Biografie ist, doch zugleich treten Sie auch als Gesprächspartnerin sehr offen auf, stellen nicht nur Fragen, sondern geben auch viel von sich selbst preis.

Ich habe viel über die Form nachgedacht, es war mir klar, dass es zum großen Teil ein Ich-Bericht sein wird. Aber ich wollte keine kriminalistische Fiktion schreiben, in dem ich eine ganz schlimme Geschichte erzähle. Es war mir wichtig, Azadiyas Geschichte in Beziehung zu patriarchaler Gewalt oder zu anderen Femiziden, die in Deutschland passieren, zu setzen. Und dafür fand ich es sinnvoll, diese zweite Stimme zu wählen und meine Perspektive und Erfahrungen hineinzubringen. Und auch die Fragen, die ich stelle, nicht zu verstecken, weil ich dadurch manchmal das Gespräch in eine bestimmte Richtung lenke oder es zumindest versuche. Es war mir wichtig, dieses Ringen – was wollen wir eigentlich voneinander – offen darzustellen.

 


Was das Buch unter anderem zeigt, ist ein ziemlich verheerendes Versagen verschiedener Institutionen von Schule, über Jugendamt, Polizei, aber auch zum Beispiel von der Bafög-Behörde, die unbedingt die Auskunft über die Eltern verlangt. Es wird beim Lesen klar, dass die Bedrohung für Azadiya mit der Flucht aus der Familie keinesfalls aufhört. Was müsste sich Ihrer Meinung nach am dringendsten ändern?

Ich würde bei der gesellschaftlichen Verdrängung von Morden im Namen der Ehre ansetzen, wenn es Behörden eben nicht auf dem Schirm haben, dass es viele Mädchen und Frauen gibt, die von Zwangsheirat und Genitalverstümmlung bedroht sind – oder im schlimmsten Fall vom Ehrenmord, wenn sie sich dagegen auflehnen. Der Ehrenmord ist nur die Spitze des Eisbergs, es gibt sehr viel innerfamiliärer Gewalt, die verhindert, dass die betroffenen Frauen, in ein anderes Leben ausbrechen. Das muss viel mehr thematisiert werden, aber immer im Kontext anderer patriarchaler Gewalt, eingedenk dessen, dass, wenn man bestimmte patriarchale Gewalt bestimmten sozialen Gruppen zuschreibt, dies schnell rassistische Hinkefüße bekommt. Es braucht viel mehr sozial-pädagogische Arbeit und Schulungen für Behörden, Beamt:innen und für Pädagog:innen.


Das Buch ist nun erschienen – was hat es bei Ihnen angestoßen, wie geht es weiter?

Wir alle drei – Ilona Buback, die Verlegerin, Azadiya und ich, mussten feststellen, dass es nicht so einfach ist, das Buch zu vermarkten, dass viele das Thema Ehrenmord abschreckt und sie darüber nicht schreiben wollen. Oder sie finden es spannend, wollen es aber nicht ohne ein Bild von Azadiya machen, was in diesem Fall natürlich nicht in Frage kommt.
Mir hat es beim Schreiben noch einmal die Bestätigung gegeben, dass es mir wichtig ist und mir auch liegt, feministische Theorie mit einer sozial-pädagogischen Ebene zu verbinden. Rückmeldungen von der Art, dass das Buch einer jungen Frau, die sonst nicht viel mit Literatur in Berührung kommt, Mut gegeben hat, machen mich froh. Und ich habe auch das Gefühl, dass es mich in meinem Schreiben ein Stück weit befreit hat. In der Sprache, die ich für Azadiya gefunden habe, habe ich mich sehr frei gefühlt. Ich sehne mich schon lange danach, dass Feminismus allgemein verständliche Anliegen transportiert, und ich hatte das Gefühl, mich noch ein Stück weiter von einer stark akademischen Ausdrucksweise befreien zu können.

 

> Koschka Linkerhand und Azadiya H.: Um mein Leben. Ein biografischer Bericht. Berlin: Querverlag 2022, 232 S., 18€


Titelfoto: Koscka Linkehand. Copyright: Olivia Golde. 


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