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Kultur

Zeit für Geschichten

Die Kinostarts der Woche

  Zeit für Geschichten | Die Kinostarts der Woche

Die italienische Filmwoche feiert tatsächlich schon ihren 25 Geburtstag und geht zum Jahresende wieder auf Tour durch 36 Städte und 40 Kinos. In dieser Woche sind sechs ausgewählte Titeln auch in den Passage-Kinos zu sehen. Neben aktuellen italienischen Filmen gibt es auch eine Wiederaufführung von Antonionis Meisterwerk »Rote Wüste«.

»Cinema! Italia!«: 1.–7.12., Passage-Kinos

Film der Woche: Reinigungskraft Christa (Martina Gedeck) trifft in einer Bahnhofskneipe auf die Friseurin Birgitt (Nastassja Kinski). Sie trinken zusammen, sind gemeinsam einsam und verlieben sich. Der Wachmann Erik (Charly Hübner) begegnet bei einem seiner nächtlichen Rundgänge in einem Heim für Geflüchtete der Ukrainerin Marika (Irina Starshenbaum), die ihm fortan nicht mehr aus dem Kopf geht. Jens (Albrecht Schuch) und Mario (Andreas Döhlen) haben mal davon geträumt, einen eigenen Imbiss zu eröffnen, doch jetzt ist nur noch Jens da. Abend für Abend steht er allein am Treppenhausfenster des Mietblocks und raucht – bis ihm Aischa (Lilith Stangenberg) begegnet, deren Gesicht Spuren einer gewalttätigen Beziehung trägt. Sie alle sind Nachtgestalten, die ähnlich wie in Andreas Dresens gleichnamigen Episodenfilm haltlos durch das Dunkel treiben. Entsprungen sind sie der Kurzgeschichtensammlung »Die stillen Trabanten« von Clemens Meyer. Wie schon bei »Herbert« und »In den Gängen« adaptierte er sie gemeinsam mit Thomas Stuber für die Leinwand. Sie verknüpfen drei der Geschichten lose miteinander und finden einen ganz eigenen Rhythmus, der dem sprachlichen Takt der Geschichten von Meyer ähnelt, aber filmisch erzählt. Die Melancholie der frühen Morgenstunden, wenn man die Trabanten am Horizont erkennt, fängt Stuber in seinen Szenen atmosphärisch ein. Der neue Prolog, den er mit Meyer verfasste, in dem ein junges Flüchtlingsmädchen am Rande der Autobahn stirbt, wirkt nicht aufgesetzt, sondern fügt sich in die Erzählung. Die dritte Zusammenarbeit zwischen Autor und Regisseur ist aber auch ein Film über ihre gemeinsame Heimatstadt Leipzig geworden, über die Ränder der Boomtown, die Verlierer der Wende, die einfach weitermachen. Mit einer hervorragenden Besetzung, den ausdrucksstarken Bildern von Peter Matjasko (»In den Gängen«) und der Musik von Kat Frankie entstand eine Großstadtballade, deren Takt noch lange nachhallt. Einen ausführlichen Artikel über die Hintergründe und Entstehung des Films gibt es hier.

»Die stillen Trabanten«: ab 1.12., Passage-Kinos, Schauburg

 

Héléne stirbt. Eine seltene Lungenkrankheit hat sie geschwächt. Eine Heilung scheint aussichtslos. Ihre einzige Hoffnung ist eine Transplantation. Doch die ist hoch riskant. Die junge Frau verschanzt sich in ihrem Appartement. Auch ihr Freund Mathieu kommt nicht an sie heran. Auf der Suche nach einem Weg, mit der Situation umzugehen, entdeckt sie den Blog von »Mister«, der über seine Krankheit schreibt und Héléne berührt. Sie lässt ihren besorgten Freund zurück und reist nach Norwegen, um an einem entlegenen Fjord »Mister« zu treffen und zu sich selbst zu finden. In »Mehr denn je« schildert Regisseurin Emily Atef (»3 Tage in Quiberon«) einfühlsam das Innenleben einer Sterbenskranken. Es sei für Außenstehende nicht nachvollziehbar, was ein Sterbender fühlt, sagt Héléne zu Beginn und beendet damit alle Diskussionen ihrer Freunde, wie sie mit der Situation umzugehen hat. Das eindringliche Spiel von Vicky Krieps (»Corsage«) und die behutsame Regie von Atef geben uns dennoch einen Einblick. Der plötzliche Unfalltod von Hauptdarsteller Gaspard Ulliel (»Mathilde – Eine große Liebe«) verleiht dem ehrlichen und berührenden Film eine zusätzliche, tragische Melancholie. Die Premiere im Rahmen der Sektion »Un Certain Regard« bei den Filmfestspielen in Cannes hat er nicht mehr erleben können.

»Mehr denn je«: ab 1.12., Passage-Kinos

Jedes Smartphone und jeder PC, den wir tagtäglich benutzen, wurde unter Ausbeutung von Menschen in Afrika hergestellt, weil dafür Metalle der Seltenen Erden notwendig sind. »Neptune Frost« von Saul Williams und Anisia Uzeyman nimmt sich dieses Themenkomplexes rund um den Metallabbau an, bei dem Unterdrückung, Ausbeutung und korrupte Staatsgeschäfte an der Tagesordnung sind. Im Mittelpunkt steht Neptune, die zu einer Art Sprachrohr für die Ausgebeuteten wird. Als »Martyr Loser King« stellt sie sich dem Militär und der Polizei entgegen und entfesselt unter den Arbeitern und Studenten eine Revolte für mehr Anerkennung und gerechte Arbeitsbedingungen. Dies ist nur einer der vielen guten und wichtigen Ansätze die »Neptune Frost« behandelt, aber die Umsetzung dürfte es dem Film schwermachen, ein breites Publikum zu finden. Die sehr stilisierten, teilweise kryptischen Dialoge sind inspiriert von »Geschichten, die über Generationen gesponnen« wurden (wie es einmal im Film heißt), von traditionellen Liedern, die von den Protagonisten und Protagonistinnen dargeboten werden oder von Science-Fiction-Ideen, die in erster Linie in der gelungenen visuellen Umsetzung zitiert werden. Ein sperriger und keineswegs leicht zugänglicher Film, der gleichwohl thematisiert, was von uns viel zu oft verschwiegen oder verdrängt wird. FRANK BRENNER

»Neptune Frost«: ab 6.12., Cinémathèque in der Nato

 

Wie die schwangere Joy von einem Kreis heftig rauchender Ärzte erfährt, dass ihr eigenes Leben im Vergleich zum Ungeborenen nichts wert sei, wäre gute Satire – wenn es nicht so furchtbar wahr wäre: 1968 in Chicago, die Schwangerschaft schwächt das Herz der wohlsituierten Anwaltsgattin lebensbedrohlich, doch Abtreibung wird selbst in solchen Fällen nicht erlaubt. Alleine dem Horror illegaler Schwangerschaftsabbrüche ausgesetzt, bringt ein Aushang die Rettung: »Pregnant? Need help? Call Jane!«. Tatsächlich verbarg sich hinter dem Namen Jane nach historischen Fakten ein Kollektiv engagierter Frauen. Die Hauptrolle der sich mutig emanzipierenden Joy zeigt in vielen Nuancen zwischen Angst und Euphorie die auf diese Weise selten zu sehende »lustige Blondine« Elizabeth Banks. Dass der anhaltende Kampf um selbstbestimmtes Leben für Frauen wieder in einem starken historischen Film behandelt wird, ist nicht nur wegen der neuerlichen Entscheidung des Supreme Court leider brennend zeitgemäß. »Call Jane« begeistert dabei vor allem zu Beginn mit vielen genau beobachteten Details, welche Zeitumstände und Leben einer hochintelligenten Frau in der Nixon-Ära nachempfinden lassen. Das »Jane Collective« führte, bis es 1972 aufflog, circa 11.000 Abtreibungen durch, ohne, dass eine Frau dabei starb. Diese Arbeit wurde 1973 überflüssig, als sich der Supreme Court im Fall »Roe v. Wade« für das Recht auf Abtreibung aussprach. GÜNTER JEKUBZIK

»Call Jane«: ab 1.12., Cineplex, Passage-Kinos, Regina-Palast

 

Das Werk des New Yorker Autors und Regisseurs James Gray ist außergewöhnlich. Egal, ob er nun einen Liebesfilm (»Two Lovers«), Abenteuerkino (»Die versunkene Stadt Z«) oder Science Fiction (»Ad Astra«) inszeniert – keiner seiner Filme bedient Genreklischees. Seine Handschrift äußert sich vielmehr in einer kitsch- und klischeefreien Erzählung. 18 Jahre nach seinem Debüt »Little Odessa« kehrt er nun zu seinen Wurzeln und in den New Yorker Stadtteil Queens zurück. Er schildert das Erwachsenwerden von Paul Graff, Sohn einer Familie jüdischer Einwanderer, in den 1980er Jahren. In dem gut situierten Elternhaus herrscht immer Leben. Paul nimmt kein Blatt vor den Mund, was ihm schon mal eine Backpfeife einbringt. Das Herz der Familie ist der Großvater Aaron Rabinowitz, der Paul von der Flucht ihrer Familie aus Nazideutschland erzählt und ihm Toleranz und Mitgefühl mit auf den Weg gibt. Beides wird getestet, als Paul sich mit dem afroamerikanischen Jungen Johnny Davis anfreundet und ihm ihre unterschiedliche Herkunft deutlich wird. James Gray erzählt von Alltagsrassismus und Zivilcourage und bettet seine autobiographisch geprägte Geschichte in den warmen Schoß der Familie. Das Herz der Mischpoke ist der wunderbare Sir Anthony Hopkins, dessen Leinwandpräsenz dem Film eine warmherzige Aufrichtigkeit verleiht und der mit Hauptdarsteller Banks Repeta wunderbar interagiert.

»Zeiten des Umbruchs«: Passage-Kinos, Regina-Palast

 

Weitere Filmtermine der Woche

African Queen 
GB/USA 1951, R: John Huston, D: Humphrey Bogart, Katharine Hepburn, Robert Morley, 108 min
Der Abenteuerklassiker mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn frisch restauriert für kurze Zeit zurück auf der großen Leinwand.
Regina-Palast, 06.12., 20 Uhr (Best of Cinema)

ASAP Global Cups
Filmprogramm und Poetry Slam mit Künstlern und Künstlerinnen der Leipziger Szene, die Texte mit Fußballbezug vortragen.
Kinobar Prager Frühling, 09.12., 19 Uhr

Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod 
D 2022, Dok, R: Cem Kaya, 102 min
Mit viel mitreißend geschnittenem Archivmaterial erzählt die Doku die weitgehend unbekannte Geschichte der Lebensrealität türkischer Einwanderer in Deutschland anhand der lebendigen Musikszene.
UT Connewitz, 07.12., 21 Uhr, 08.12., 20 Uhr

Chungking Express 
HK 1994, R: Wong Kar-Wai, D: Brigitte Lin Ching-hsia, Tony Leung Chiu-Wai, Faye Wong, 97 min
Die flirrende Liebesgeschichte mit der expressiven Kamera von Christopher Doyle bedeutete für Regisseur Wong Kar-Wai den internationalen Durchbruch.
Kinobar Prager Frühling, 05.12., 18 Uhr (OmU, Special Wong Kar-Wai)

Fallen Angels 
HK 1996, R: Wong Kar-Wai, D: Charlie Yeung, Takeshi Kaneshiro, Leon Lai, 98 min
Der ursprünglich als dritte Episode zu »Chungking Express« geplante Nachfolger behandelt wie so oft bei Wong Kar-Wai die Einsamkeit im gegenwärtigen Hongkong.
Kinobar Prager Frühling, 05.12., 16 Uhr (OmU, Special Wong Kar-Wai)

Lieber Thomas
D 2021, R: Andreas Kleinert, D: Albrecht Schuch, Jella Haase, Peter Kremer, 157 min
Andreas Kleinerts mitreißendes Biopic: Fordernd, fast dreistündig und in Schwarz-Weiß gedreht, getrieben von einem unbarmherzigen Rhythmus und einem furchtlosen Hauptdarsteller: Albrecht Schuch beweist hier erneut eindrucksvoll, dass er zu den besten Schauspielern des deutschen Kinos zählt. Dafür gab es insgesamt neun Deutsche Filmpreise.
Zeitgeschichtliches Forum, 05.12., 19 Uhr

Medusa
BRA 2021, R: Anita Rocha da Silveira, D: Mari Oliveira, Lara Tremouroux, Joana Medeiros, 127 min
Mariana, eine junge Frau, die zu einer Gruppe namens Las Preciosas gehört, die die Reden eines extremen Pastors unterstützt und motiviert, wird mit den Opfern von Hassgewalt konfrontiert und stellt ihre Überzeugungen in Frage. Radikales Kino aus Brasilien.
Luru-Kino in der Spinnerei, 06.12., 21 Uhr (OmU)

Verliebt, Verlobt, Verloren
D 2015, Dok, R: Sung-Hyung Cho, 93 min
Der Dokumentarfilm wirft einen Blick auf die Geschichte koreanischer Gastarbeiter in der DDR aus der Perspektive ihrer Nachkommen.
Ost-Passage-Theater, 07.12., 20 Uhr (mit Publikumsgespräch, Regisseurin anwesend)


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