Am Mittwoch erfolgte die Einweihung der westlichen Uferterrassen des Richard-Wagner-Hains mit gleich zwei Bürgermeistern – Baubürgermeister Thomas Dienberg und Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal. Nach achtmonatiger Bauzeit wurden die Uferterrassen und die Ufertreppen barrierefrei und denkmalgerecht unter Wahrung der Bausubstanz wiederhergestellt. Die Maßnahme wurde durch das Bund-Länder-Städtebau-Förderprogramm »Zukunft Stadtgrün« realisiert. Die Kosten betrugen 800.000 Euro, wobei die Stadt mit 266.000 Euro beteiligt war. Jetzt gibt es nicht nur einen rollstuhlgerechten Weg vom Palmengarten zum Richard-Wagner-Hain und eine öffentliche Toilette, sondern auch eine Tafel, die über die Entstehung des Ortes Informationen liefert.
»Besonderer Ort«
Auf der Tafel sind mehrere Abbildungen aus der Eröffnungszeit des Hains – 1939 – zu sehen. Eine stammt aus dem Leipziger Jahrbuch von 1940. Darin erklärt der Städtische Gartenbaudirektor Ernst Linder in seinem Artikel »Neue Grünanlagen – neues Kulturgut«: »Schon von jeher bestanden im nordischen Kulturkreis enge Beziehungen zwischen der Pflanzenwelt und dem Lebenskreis der Menschen. Für das heutige Großstadtleben, das mit seiner Hast, mit dem unerbittlichen Lärm des Verkehrs sowie der Maschinen und seinen größtenteils zu dichten alten Wohngebieten vom Zusammenhang mit der Natur abgedrängt wird, bedeuten die öffentlichen Grünflächen eine starke seelische Ausgleichsmöglichkeit und Erholung, wenn ihre räumliche sowie pflanzliche Gestaltung im Sinne deutscher Ausdruckskultur und nicht wesenfremdes Empfinden erfolgt.« Unter diesen Gesichtspunkten stellt er zwei besondere und nach 1933 errichtete Grünanlagen vor: der Ehrenhain der NSDAP auf dem Südfriedhof und der Richard-Wagner-Hain westlich und nördlich des Elsterflutbeckens. Sicher war er sich im Hinblick auf den Hain: »später werden die prächtigen und in ihrer belassenen eigentümlichen Wuchsschönheit uns vertrauten langlebigen Einzelbäume die heimatliche Ausdruckswirkung verstärken. In lebendiger Umgebung mit der grünenden Natur, in der weiträumig gestalteten Landschaft eines weihevollen Haines in Verbindung mit dem Wasser, mit weiten Rasenflächen und den leuchtenden Farben üppiger Blütenwelt ersteht das Richard-Wagner-Nationaldenkmal. In der Gesamtanlage wird sich nach ihrer Vollendung die Kunst des Bildhauers und des Architekten mit der des Garten- und Landschaftsgestalters in stärkster Einheit und bleibenden künstlerischen Gestaltungsgut verbinden.« Hier wurde die Einheit von Natur und Architektur im Geiste des Nationalsozialismus gefeiert.
Die Sichtweisen der Stadt
Als die Stadt die Sanierung des westlichen Uferbereichs ankündigte, erklärte sie in der Pressemitteilung vom 5. Mai 2020, dass es sich bei dem Richard-Wagner-Hain um eine »einmalige Anlage aus den 1920er-Jahren« handele. Nun zwei Jahre später und bei der Einweihung des nach Denkmalschutz sanierten Uferbereichs hat sich die städtische Sicht doch geändert. Auf einer Tafel erklärt die Stadt: »Die Anlage ist ein wichtiger Teil des Landschafts- und Vogelschutzgebietes Leipziger Auwald. Gleichzeitig ist es ein bedeutendes Zeugnis der Gartenarchitektur des 20. Jahrhunderts und nicht zuletzt der Bautätigkeit im Nationalsozialismus – dies soll trotz ihres Erholungswertes nicht in Vergessenheit geraten.« Das ist ein erster Schritt, um sich auch öffentlichen Räumen zu stellen. Allerdings gibt es bei all dem Engagement und den Erklärungen zur Geschichte in Wort und Bild auf der Tafel doch einige blinde Flecke in der Aufarbeitung.
Goerdeler - der verschwiegene Akteur
Auf der Vorderseite der Tafel beginnt die historische Entwicklung der Gesamtanlage Richard-Wagner-Hain mit den Worten, dass »bereits 1931, in der Zeit der Weimarer Republik« eine Idee zu einem Richard-Wagner-Denkmal auf den sogenannten Frankfurter Wiesen vorlag. Unter OBM Carl Friedrich Goerdeler »reifte Ende der 1920er Jahre die Idee, einen Uferpark zu bauen und ihn Richard Wagner zu widmen.«
Des Weiteren tritt der Gartenarchitekt Gustav Allinger aus Berlin im Text auf der Tafel auf, der »sich den Nationalsozialisten andiente«. Von Goerdeler ist nichts mehr zu lesen. Das macht dann doch etwas stutzig. Es kann vermutet werden, dass die hier vorgenommenen Auslassungen zur Rolle von Goerdeler bei der Errichtung des Haines der städtischen Sicht seit Beginn der 1990er-Jahre nahekommt, die Goerdeler als eine Art städtischen Heiligen des Widerstandes gegen den NS interpretiert.
Denn wie erfährt der Flaneur durch das Hain, dass es Goerdeler war, der am 12. Februar 1933 zur Gedenkveranstaltung zum 50. Todestag von Wagner im Gewandhaus mit Hitler und Winifred Wagner in der ersten Reihe ein Richard-Wagner-Denkmal ankündigte? Im November 1933 wurde der Entwurf für die gesamte Richard-Wagner-Anlage dem Rat vorgelegt.
Nach dem westlichen Ufer soll perspektivisch auch das nördliche Ufer mit den Richard-Wagner-Denkmalsspuren in den nächsten Jahren saniert werden. Dafür gab es vor zwei Jahren im Stadtrat schon die Idee, einen künstlerischer Wettbewerb auszurufen, um den historischen Ort zu beschreiben. Möglicherweise wird dann auch die Geschichte des Ortes im Ganzen gesehen.
Titelfoto: Frank Vincentz.