Also jetzt mal ganz spekulativ: Angenommen, ich schriebe mal ein Lied,
in dessen Inhalt ich besänge, dass ich höchstpersönlich fände,
Jürgen Elsässer sei Antisemit.
Und im zweiten Teil der ersten Strophe dann würde ich zu Kubitschek den Bogen spann’
und damit meinte ich nicht nur die rhetorische Figur,
ondern das Sportgerät, das Pfeile schießen kann.
– Danger Dan, am 2.1. im Gewandhaus
Dass im sächsischen Radio jederzeit und überall der Abgrund droht – Stichwort Morning-Show, Stichwort: Näher-am-Menschen-Mitmach-Zeug –, weiß, wer hier einmal mit dem Auto durchgerollt ist, genauso gut wie diejenigen, die seit Jahren oder Jahrzehnten hier leben. Manche von ihnen fahren aber Autos, ältere Autos, in denen beim Lichtanschalten automatisch das Radio angeht und man nicht mal an der Lautstärke was machen kann, weil in der Werkstatt niemand Lust hat, diesen Elektronikfehler mal wirklich zu suchen. Nun ist es im Winter ständig dunkel, das Licht folglich angeknipst. Und also auch das Radio. Mit Glück bietet »das Beste der 80er, 90er und von heute« so was wie die Pet Shop Boys. Nach dem Lied dann schnell Suchlauf in der Hoffnung, dass auf ’ner anderen Frequenz The Cure oder Kate Bush warten. Usw. usf.
Neulich auf der Autobahn. Geistige Umnachtung oder Konzentration auf den Verkehr, wer weiß. Jedenfalls: Suchlauf nach dem Lied vergessen. Und schon plappert eine widerlich gutgelaunte Moderatorin in eine Sprachnachricht eines Hörers rein – damit wir denken, beide würden miteinander reden. Der Sowieso aus Sowieso meldet keinen Blitzer, sondern wünscht sich ein Lied und grüßt jemanden und sagt uns damit, dass er einer von uns ist und dass wir doch auch mal bei diesem bumssympathischen Sender anrufen sollten. So weit, so bekannt. Aber dann: »Ich bin der Sowieso aus Sowieso und wünsche mir wie immer für meine Ex-Freundin ›Take my breath away‹.«
Wie immer.
Für meine Ex-Freundin.
Take my breath away.
So was kann man sich nicht ausdenken. So ein Abgrund berührt auch nach 30 Jahren Erfahrung mit sächsischen Abgründen. Ob es bei diesen Sendern jemanden gibt, der da mal zurückruft? Oder jemanden hinschickt, um zu gucken, ob, wenn schon nicht alles, so doch wenigstens bisschen was okay ist?
Und doch, wie so oft im Leben, geht auch hier schnell der innere Suchlauf an, weg vom Schicksal Sowiesos aus Sowieso hin zu einem durch diesen seltsamen Radiowunsch plötzlich aufploppenden anderen seltsamen Radiowunsch, der 30 Jahre zurück liegt und ebenso lange vergessen war. (Die Proustianer und Proustianerinnen unter uns sprechen hier vom akustischen Madeleine-Effekt.) Damals wünschte sich ein vielleicht 9-jähriger Junge im sächsischen Radio »das Ghostbusters-Lied – für meine Oma!« Haben meine Eltern sehr gelacht und auch ich fand das als Kind sehr lustig. Vielleicht, weil ich mir diese coole Oma vorstellte, die den Ghostbusters-Song und den Gruß vom Enkel in ihrem Radio im Backenzahn hörte. Während sie Motorrad fuhr im Hühnerstall, logisch.
Nur, wie kriegen wir hier nun die Kurve vom Auto- und Motorradfahren zum Thema Sport? Wie leiten wir galant über von der viel zu langen Hinführung zum Thema? Hmm, Auto … Motorrad … Kurve … Sport … Nee, es will partout nicht gelingen, diesbezüglich auf die Zielgerade einzubiegen. Also harter Cut. Wie es ihn beim Boxen manchmal gibt.
Dieses Jahr machen wir Sport! Und zwar nicht im Sinne von »Zweimal die Woche joggen und das auf Teufel komm raus bis weit in den Februar hinein durchziehen«, sondern im Sinne von: Der kreuzer hat ein neues Ressort! Ab nächstem Heft dann regulär mit einer Doppelseite, diesmal etwas umfangreicher als Titelgeschichte, in der wir erst mal das Spielfeld abkreiden (S. 20).
Und wenn Sie jetzt sagen: Ach, du, Sport, na ja. Dann drücken Sie einfach den Suchlauf, das heißt: Blättern Sie weiter im Heft – zum Interview des Monats mit Tupoka Ogette (S. 28), zu den Theater-Seiten mit weiteren Einblicken in die Causa Hausverbote am Schauspiel Leipzig (S. 52), zur Literatur, wo Sie unsere monatliche Bildungsreise in diesem Jahr nach Kyjiw führt (S. 63), das man in dem Zusammenhang einfach nicht »Kiew« schreiben will (siehe kreuzer 05/22), in die Post aus dem kreuzer, wo Verlagsleiter Egbert Pietsch über die anstehende Kapitalerhöhung hier an Bord berichtet (S. 9) – Wissen Sie was? Blättern Sie einfach das ganze Heft von vorn nach hinten durch. Und lassen Sie dabei am besten das Radio aus – und dann: Frohes Noise!
Benjamin Heine
chefredaktion@kreuzer-leipzig.de