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Essen & Trinken

Strategien gegen den Preisschock

Fast drei Jahre lang hat die Leipziger Gastronomie mit Krisen zu kämpfen – ein Stimmungsbild

  Strategien gegen den Preisschock | Fast drei Jahre lang hat die Leipziger Gastronomie mit Krisen zu kämpfen – ein Stimmungsbild

Gäste empfangen und bewirten ist eine energieintensive Angelegenheit: Kochen und Kühlen, Abwaschen und Putzen, Heizen und Wäschewaschen, Lichtmachen und Lüften. Bekanntermaßen sind die Preise für Energie gestiegen, dasselbe gilt für Lebensmittel und für Personal. Seit Pandemiebeginn Anfang 2020 scheinen Gastronomie und Hotellerie aus den Krisennachrichten nicht mehr rauszukommen. Lockdowns legten die Branche lahm, ein Teil der Beschäftigten suchte sich neue Berufsfelder, die allgemeine Konsumlaune ist getrübt.

Ganz und gar nicht getrübt ist die Laune von Stephan Weiß. Seit über zwanzig Jahren betreibt er in Lindenau Reuschels Weineck, eine Weinhandlung und ein Restaurant mit gutbürgerlicher Küche, in der seine Mutter Regine die Regie führt. »Ich kann nicht meckern«, sagt Weiß. »Seit wir wieder geöffnet haben, platzt der Laden aus allen Nähten. Und von den Gästen erfahren wir unglaublich viel Dankbarkeit.« Anfang des Jahres erhöhte Weiß seine Preise moderat, erstmals seit mehreren Jahren. Angezogen haben vor allem Fleisch und Milchprodukte. »Aber auch Fassbier ist immens teurer geworden. Das 0,4-Liter-Glas kann ich nicht mehr für 3,90 Euro verkaufen.« Die Speisekarte in Reuschels Weineck ist etwas optimiert: »Seezunge als Edelfisch ist inzwischen so hochpreisig, den nehmen wir raus. Ich will die Leute nicht mit einem Preis von 25 Euro schocken.«

Höhere Einkaufspreise betreffen nicht nur Fleisch und Edelfisch. Mustafa Türker betreibt seit fast acht Jahren das Green Soul, ein vegan-vegetarisches Restaurant in Reudnitz: »Bei pflanzlichen Ölen und Fetten sind die Preise explodiert, auch bei Getreide, Kartoffelprodukten oder Proteinen wie Soja und Bohnen. Das sind dreißig bis vierzig Prozent.« Türker berichtet außerdem von Lieferschwierigkeiten, teilweise kurzfristig, so dass er kaum reagieren kann: »Durch den Krieg wurden Lieferketten unterbrochen – Teigwaren waren eine Zeit lang nicht verfügbar, auch Öle oder sogar Süßwaren. Dann improvisieren wir oder müssen Gerichte streichen.«

Mustafa Türker hat einen Umsatzrückgang von 35 bis 45 Prozent, auch wegen Personalmangels durch Corona: »Wir haben nur noch das Abendgeschäft, kein Mittagsangebot und auch keinen Sonntagsbrunch mehr.« Hinzu kommt ein verändertes Verhalten der Gäste: »Seit Oktober gehen die Leute bewusster aus oder leisten sich manches seltener.« Eine Konstante gibt es jedoch im Green Soul: »Das Trinkgeld liegt im Durchschnitt immer noch bei acht bis zehn Prozent.«

Das ist im Felix anders. Zum Restaurant, seit 2018 in der alten Hauptpost am Augustusplatz, gehören ein Hotel und das Fine-Dining-Restaurant 7010. »Das Trinkgeld ist leider ein bisschen zurückgegangen«, sagt Betriebsleiter Sebastian Kiy. Die Personallage sei aber nicht so angespannt wie anderswo. Außerdem werden die Angestellten geschult, einerseits zur Energie: »Wir haben neue Prozeduren zum Energiesparen«, sagt Kiy. Andererseits zu den Preisen: »Die Mitarbeiter sollen den Gästen den Hintergrund erklären können: Wir haben soundso viel Prozent mehr an Energiekosten oder wir verwenden jetzt hochwertiges Rindfleisch aus dem Inland, nicht mehr das viel günstigere aus Übersee.«

Denn um Preiserhöhungen kommt auch das Felix nicht herum, die Lieferantenpreise setzen eine Kette in Gang. »Wir heben die Preise in den Speisekarten nur ein wenig an«, sagt Kiy. »Das ist durch Synergiebildung möglich, die gestattet uns eine Mischkalkulation von Veranstaltungen und Restaurant.« Die Felix-Gäste mögen beim Trinkgeld zurückhaltender sein, beim Ausgehen sind sie es nicht: »Wir können uns nicht über ausbleibende Gäste beklagen, sowohl im Restaurant als auch im Hotel.« Und Kiy schiebt hinterher: »Schön ist, dass die Gäste das Personal verstärkt nicht nur als Personal wahrnehmen, sondern als Gastgeber.«

Auf regionalen Einkauf und kürzere, kostensparende Wege kann Daniel Niggemann nur bedingt setzen. Er übernahm Anfang 2022 das 2018 eröffnete Café 7 Shots in der Nähe vom Bayrischen Platz. Dort steht Kaffee im Mittelpunkt und der kommt logischerweise von anderen Kontinenten. Gäste konsumieren seine Kaffee-Spezialitäten vor Ort und können die Bohnen in 250-Gramm-Abpackungen kaufen. »Unsere kleinen Röstereien nehmen jetzt mehr für die Bohnen, und das muss ich so an die Kund:innen weitergeben. Beim Kaffee, den wir selber verarbeiten, ist das nicht so einfach.« Im 7 Shots zogen die Preise letztes Jahr um 10 bis 15 Prozent an. »Die meisten Menschen haben in der aktuellen Situation Verständnis dafür«, sagt Niggemann. Die tatsächlichen Steigerungen gleicht das zwar nur zur Hälfte aus: »Aber mehr wäre nicht zu vermitteln.« Der Kaffee ist kein gewöhnlicher, und bei der Milch handelt es sich um lokale Bio-Frischmilch. Da lässt sich kaum strategisch gegensteuern, um Kosten einzusparen: »Der größte Hebel wäre, die Qualität zu senken und billiger einzukaufen. Das wollen wir nicht, das ginge gegen alles, wofür der Laden steht«, so Niggemann. Sein Konzept lässt ihn optimistisch in die nächste Zeit blicken: »Ein Café hat gegenüber dem Restaurant den Vorteil, dass die Gäste nicht gleich 50 Euro hinlegen müssen, sondern sich für 5 bis 7 Euro eine kleine Auszeit gönnen können.«

Eine Adresse für die nicht ganz so kleine Auszeit ist das Restaurant Fachwerk in Wahren. Das Haus ist bekannt für seine mediterran inspirierte Speisekarte und ein breites, sorgfältig ausgewähltes Getränkeangebot mit kreativen Mixen. »Die Zeit nach den coronabedingten Einschränkungen ist bei uns so gut wie die Zeit vor Corona«, sagt Betreiber Daniel Posselt. »Größere Sparsamkeit kann ich nicht feststellen, auch nicht beim Trinkgeld.« Für das Fachwerk ist der Einkauf in ähnlicher Weise teurer geworden wie für das 7 Shots oder das Green Soul: »Bei den Lebensmitteln haben wir in allen Bereichen ungefähr 30 Prozent höhere Kosten, bei den Getränken etwas weniger. Das schmälert den Rohertrag deutlich, der mal bei 76 oder 77 Prozent lag und jetzt bei knapp 70 Prozent liegt«, sagt Posselt. »Das mag erst einmal nicht so katastrophal klingen. Aber damit muss ich höhere Kosten decken – Personal, Gas, Strom. Wir passen die Preise moderat an, also nicht so, dass wir den Rohertrag ausgleichen.« Hilfreich ist der nach wie vor gesenkte Mehrwertsteuersatz von 7 statt 19 Prozent: »Ohne sähe es ganz düster aus.« Auch im Fachwerk ist das Konzept von Vorteil, weil es Flexibilität erlaubt. Die kleine feste Karte umfasst weniger Preisintensives wie Pasta, Salate und Suppen, dazu kommen wochenweise wechselnde Gerichte, insbesondere mit Fleisch und Fisch. »Auf der Wochenkarte vermeiden wir die Fleisch- und Fischsorten, die teurer geworden sind«, sagt Posselt. »Das ist für uns eine relativ leichte Übung, weil es sowieso Teil der Geschäftsidee ist.«

»Moderat« ist ein Wort, das in den Gesprächen mit den Gastronomen oft fällt – wenn es um die höheren Preise auf der eigenen Karte geht. »Unausweichlich« ist ein anderes, denn das Energiesparen hat Grenzen. »Wir gehen bewusster mit Energie um«, sagt etwa Stephan Weiß von Reuschels Weineck. »Problematisch finde ich aber eine kalte Kneipe. Die Leute wollen sich doch wohlfühlen.« Daniel Posselt vom Fachwerk fasst es so zusammen: »Dass Energiekosten anfallen, kann man nicht beeinflussen. Es sei denn, man schließt den Laden.« Diese Konsequenz haben andere schon gezogen. So schloss Ende des Jahres das Kartoffelfräulein in Plagwitz, auf der Facebook-Seite hieß es zur Begründung: »Weitere Preiserhöhungen sind einfach keine Option mehr«.

Unausweichlich ist also auch, dass Ausgehen teurer wird. Gewissermaßen ist aber das Ausgehen selbst unausweichlich. Zu Hause essen und trinken ist schließlich nicht dasselbe wie ein Besuch im Lokal, das haben nicht zuletzt die Pandemie-Lockdowns eindrücklich vorgeführt. Oder, in den Worten von Daniel Posselt: »Restaurants gehören zur Lebens- und Daseinskultur.«


Titelfoto: Christiane Gundlach


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