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Politik

Links gegen Links

Der Protest gegen eine Veranstaltung im Conne Island bleibt nicht friedlich

  Links gegen Links | Der Protest gegen eine Veranstaltung im Conne Island bleibt nicht friedlich

Schneebälle fliegen am 11. Dezember 2022 auf die Besucherinnen und Besucher einer Veranstaltung im Conne Island. Beleidigungen gleich hinterher, später kommt es zu Handgreiflichkeiten. Auf der einen Seite stehen Linke, auf der anderen: auch. Aber der Reihe nach:

Eine Woche vor dem Vortrag von Jörg Finkenberger mit anschließender Diskussion im Infoladen des Conne Island am 11. Dezember wird Protest in den sozialen Medien angekündigt – um gegen die Ansichten des Referenten zu demonstrieren. So heißt es in einem gemeinsam veröffentlichten Bericht der Conne-Island-Security und des Infoladens als Veranstalter, der sich auch auf mehrere eingesendete Zeugenaussagen beruft und zur Rekonstruktion des Abends beitragen soll. Die Security verortet die Demonstration darin auf der Koburger Straße, zwischen der Bushaltestelle und der Koburger Brücke – womit die Demonstration einerseits für die Crew und die Security des Conne Island nicht einsehbar gewesen sei. Das zur Veranstaltung kommende Publikum muss die Demo aber passieren, denn zwischen Haltestelle und Brücke liegt die Zufahrt zum Conne Island. Eine Teilnehmerin der Veranstaltung bestätigt dies im Gespräch mit dem kreuzer. »Meine Freundinnen berichteten, auf dem Weg nach drinnen von der Gegenkundgebung als ›Scheiß Terfs und Swerfs‹ (siehe Hintergrundtext) beschimpft worden zu sein«, berichtet Mia Franke (Name von der Redaktion geändert). Außerdem seien sie mit Schneebällen beworfen worden.

Nach der Veranstaltung seien einzelne Personen der Kundgebung »vermummt« auf das Gelände des Conne Island gekommen, so Franke. Einem ihrer Freunde sei die Mütze vom Kopf gerissen und in den Bach geworfen worden – woraufhin es zum Wortgefecht zwischen dem Freund und dem Demonstranten gekommen sei, in dessen Verlauf Letzterer Ersteren mit Pfefferspray besprüht habe. »Alle, die ich an dem Abend gesprochen habe, meinten, sie wollten da einfach so schnell und konfliktfrei wie möglich durchgehen«, ergänzt Franke. Auf Anfrage des kreuzer heißt es von der Polizei, dass es im Nachgang keine Strafanzeigen gegen die Demonstranten gegeben hat.

Die Protestkundgebung war organisiert von der Linksjugend Leipzig-Ost. Diese entstand erst im Mai 2022 durch Abspaltung von der Linksjugend-Basisgruppe. Grund dafür waren Sexismus-, Rassismus- und Transfeindlichkeitsvorwürfe einzelner Mitglieder (www.kreuzer-leipzig.de 4. Juni 2022). Seitdem gibt es in Leipzig zwei Basisgruppen der Linksjugend: Süd und Ost. Eine Stellungnahme der Linksjugend Leipzig-Ost zu den Vorwürfen gibt es bisher nicht, Fragen der kreuzer-Redaktion wurden ebenfalls nicht beantwortet – mit der Begründung, die Menschen der Kundgebung und andere queerfeministische Personen damit schützen zu wollen. Auf Twitter und Instagram gebe es bereits zu viele reißerische Geschichten über die Geschehnisse. Dadurch würden, laut der Linksjugend Leipzig-Ost, »Queers und Trans-Personen als gefährliche, perverse und männliche Gewalttäter:innen wahrgenommen werden«. Auf ihrer Website veröffentlichte die Linksjugend Leipzig-Ost jedoch ihren Redebeitrag zur Kundgebung am 11. Dezember. Darin heißt es, man protestiere gegen das Conne Island, da es bereits in der Vergangenheit AfD-Unterstützern und transfeindlichen Menschen eine Plattform geboten habe, konkret Thomas Maul und Sara Rukaj. Das Conne Island wiederum hat sich bisher nicht zu den Geschehnissen geäußert, weder in einem Statement noch dem kreuzer gegenüber. Man wolle das Thema erst noch intern diskutieren.

In dem öffentlichen Aufruf zur Demonstration im Vorfeld der Veranstaltung schilderte die Linksjugend Leipzig-Ost ihre Kritik am Referenten. Sie befürchte die Verbreitung von Sexarbeiterinnen-feindlichen Thesen, mit dem Ziel, ein allgemeines »Sexkaufverbot« zu propagieren, das zur Kriminalisierung prekärer Gruppen beitrage. Zusätzlich verurteile sie Finkenbergers Sympathie für den Verein Sisters, der sich für den Ausstieg aus der Prostitution einsetzt und ein Sexkaufverbot verlangt.

Jörg Finkenberger ist Autor und Redakteur der Website Das Grosse Thier. In seinem Vortrag im Conne Island sagte er, dass er seit 25 Jahren zur Linken gehöre und sich mit der Kritik dieser beschäftige. (Der Vortrag ist in einem Zusammenschnitt des Conne-Island-Infoladen auf Soundcloud nachzuhören.) Finkenberger beschreibt darin die sogenannte »Pseudo-Linke«, charakterisiert sie als scheinheilig, da sie einen Pseudo-Aktivismus verfolge und eine Pseudo-Moral vertrete; sie betreibe ihren Aktivismus nicht für die Unterdrückten, denn sie erreiche mit ihrem Aktivismus keine nötigen Veränderungen. Dennoch sei sie so davon überzeugt, den moralisch richtigen Weg zu gehen, dass sie keine anderen Tendenzen im Linkssein erlaube. Damit verschaffe sie sich selbst das Recht, andere Ansichten in einem Diskurs abzustreiten. Finkenberger bezeichnet in seinem Vortrag die Protestkundgebung vor dem Conne Island als Teil dieser »Pseudo-Linken«. Als weiteres Beispiel für seine These erinnert Finkenberger an den Verein Sisters in Berlin, der einen Filmabend mit Vortrag und Diskussion angekündigt habe, an dem »Frauen, die zum Teil aus der Prostitution kommen und diese als ein rassistisches Ausbeutungssystem erlebt haben« teilnehmen sollten – und der aufgrund von lauter Kritik durch eine queerfeministische Sexworker-Bewegung abgesagt worden sei. Finkenberger kritisiert, dass bestimmten Betroffenen somit nicht die nötige Plattform geboten wurde.

Proteste dieser Art wollen Betroffene in der freiwilligen Sexarbeit vor Stigmatisierung und negativen Konsequenzen schützen. Im Gespräch mit dem kreuzer sagt Sozialarbeiterin Linda Apsel, dass vor allem Menschen, die von den Konsequenzen nicht betroffen wären, ein Sexkaufverbot fordern. Sie arbeitet in der Fachberatungsstelle Leila in Leipzig. Dort berät und begleitet sie Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen zu allen Themen und Problemen ihrer Arbeit. Apsel findet, dass deren negative Erfahrungen gehört werden müssen. Diese dürfe man aber nicht als einzig gültige Erfahrungen präsentieren. In ihrem Beruf begegne sie Menschen mit verschiedensten Lebensrealitäten: »Sie alle eint aber eins: Angst vor Stigma, Angst, ausgegrenzt und als krank abgestempelt zu werden, weil sie diese Arbeit machen.« Sie erlebe, dass solche Stigmata in Sexarbeiter-feindlichen Veranstaltungen reproduziert würden. Und davor warne sie. Denn einzelne Erfahrungen würden so zur Pathologisierung einer gesamten Berufsgruppe instrumentalisiert werden. Damit wäre Menschen in der aktiven Sexarbeit nicht geholfen. Denn sie seien es, die die realen Konsequenzen und die Stigmatisierung ertragen müssen.


Hintergrund: Radikal- versus Queerfeminismus

Innerhalb des Feminismus gibt es selbstredend verschiedene Strömungen, zwischen denen Konflikte entstehen können – wie im Fall der beiden Positionen des Radikal- und des Queerfeminismus.

Der Radikalfeminismus orientiert sich stark an der Zweiten Welle des Feminismus der 1960er Jahre. Er basiert auf der Überzeugung, dass die Frau als unterdrücktes Geschlecht befreit werden muss von der patriarchalen Macht des Mannes. Zum Beispiel fordern radikale Feministinnen die Abschaffung der Prostitution und kämpfen für eine Verringerung von Gewalt an Frauen. Im Radikalfeminismus spricht man von Prostitution, da es sich beim Kauf von Sex nie um eine freiwillige Tat handeln könne. Die Frau ist Opfer eines patriarchalen Machtgefälles, darin könne sie nicht in der Lage sein, frei zu entscheiden. Dieser Feminismus hat ein binäres Verständnis von Geschlechtern und sieht Trans-Frauen, die zunächst als Männer sozialisiert wurden, als Gefahr für die Schutzräume von Frauen an.

Dem gegenüber positioniert sich der Queerfeminismus, der ein binäres Geschlechtersystem ablehnt und davon überzeugt ist, dass es kein biologisches Geschlecht gibt, sondern nur ein sozial konstruiertes. Demnach sind Trans-Frauen auch Frauen, weil sie sich diesem Geschlecht zuordnen, nicht weil sie als solche geboren sind. Der Queerfeminismus möchte die Selbstbestimmung der Person in der Sexarbeit anerkennen und versteht Sexarbeit also nicht als eine aus patriarchalem Zwang ausgeübte Tätigkeit. Den Begriff Sexarbeit verwenden Queerfeministinnen, um die negative Konnotation des Begriffs Prostitution zu umgehen und die Selbstbestimmung der Person in den Fokus zu rücken.

Aus diesem Konflikt leiten sich die beiden Begriffe Terf und Swerf ab: Terf ist ein englisches Akronym und bedeutet Trans Exclusionary Radical Feminist. Damit bezeichnen Queerfeministinnen Radikalfeministinnen, um sie als transfeindlich abzuwerten. Swerf ist ebenfalls ein englisches Akronym und bedeutet Sex Work Exclusionary Feminist. Diesen Begriff nutzen Queerfeministinnen, um radikale Feministinnen dafür abzuwerten, dass sie Sexarbeit aus ihrem Feminismus ausschließen und sie als Prostitution ansehen.


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1 Kommentar(e)

Sani Täter 28.10.2023 | um 15:23 Uhr

Zeitgeist-Luxussorgen, basierend auf sozio-medial bedingtem Realitäts- und Blickrichtungsverlust - WIR ALLE stehen an einer Schwelle zu größeren, existenzielleren und mehr als 0,00013 % betreffenden Problemen. Und zu dieser Erkenntnis zu kommen, muss frau keine selbsternannte Prophetin sein.