Prinzipiell habe er keine schlaflosen Nächte, erzählt Torsten Bonew, die Ärmel hochgekrempelt, in seinem Büro im Neuen Rathaus. Nach 13 Monaten Arbeit am Haushaltsentwurf sei dennoch einiges an Anspannung abgefallen. Bonew lehnt sich in einen Stuhl, spricht mit dem kreuzer über Leipzigs Autoindustrie, langwierige Planungsverfahren und den Fachkräftemangel.
kreuzer: Anfang Februar hat der Stadtrat den neuen Doppelhaushalt verabschiedet – mit Investitionen von 1,2 Milliarden Euro der größte, den Leipzig je hatte. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Bonew: Ja. Gemessen an unserer Einnahmesituation und den Herausforderungen, vor denen diese Stadt steht, ist der Haushalt eine angemessene Reaktion auf die sich mittlerweile überlagernden Krisen: Corona, die Energiekrise, Krieg in Europa, eine hohe Inflation und ein Fachkräftemangel, der seinesgleichen sucht.
OBM Burkhard Jung hatte für 2022 den wirtschaftlichen Turnaround für unerlässlich erklärt. Hat es diesen aus Ihrer Sicht gegeben?
Ich habe gedanklich im letzten Jahr einen harten Schnitt in meinem Kalender. Wir sind gestärkt aus der Pandemie hervorgegangen und als ich aus dem Winterurlaub wiederkam, war Krieg in Europa. Das war schon ein markanter Meilenstein. Nichtsdestotrotz ist Leipzig sehr gefestigt aus den drei Jahren Pandemie herausgewachsen, die Wirtschaft hat sich sehr robust gezeigt. Und ich kann nur immer wieder den vielen Unternehmerinnen und Unternehmern meine Anerkennung zollen, die eigenes Geld in die Hand nehmen, denn die schaffen dieses Wachstum.
Bei der Gewerbesteuer profitiert die Stadt von einem Plus von 55 Millionen Euro. Daran hat vor allem die Automobilindustrie ihren Anteil. Ist Leipzig zu abhängig von ihr?
Das ist, glaube ich, dann eher eine ideologische Frage. Was ist denn die Alternative? Wir haben uns nun mal Ende der neunziger, Anfang der 2000er Jahre dafür entschieden und sind ja alle froh, dass sich die Werke hier angesiedelt haben. Jetzt kann man vortrefflich drüber streiten, ob wir lieber in die Chipindustrie hätten investieren sollen, aber das ist vergossene Milch. Die Automobilindustrie ist per se erst mal nichts Böses. Mobilität muss gleichberechtigt sein zwischen ÖPNV, Individualverkehr, Radweg und Fußweg. Wir sollten einen Klimawandel und eine Transformation unserer Mobilität doch mit der Automobilindustrie hinbekommen. Man sägt nicht an dem Ast, auf dem man sitzt.
Die Bekämpfung der Klimakrise stand im Zentrum des letzten Doppelhaushalts. Wie sehen Sie die Investitionen, die dafür abgerufen wurden?
Da bin ich sehr unzufrieden. Nicht nur, was die Investitionen in den Klimawandel anbetrifft, sondern generell. Unserer Bauverwaltung ist es auch im Jahr 2022 nicht gelungen, die Haushaltsausgabereste planmäßig abzubauen. Im Grunde genommen haben wir ein Investitionsjahr auf Wiedervorlage. Das kann nicht unser Anspruch sein.
Was sind die Gründe dafür?
Die sind vielschichtig. Ich denke, wir planen zu langsam, da sind wir wieder bei vielen Bundesregeln. Wir sind aber vielleicht auch intern zu vorsichtig. Bei vielen Bauprojekten bekommen wir aber auch gar keine Angebote oder nur eines, was dann unwirtschaftlich ist.
Was genau meinen Sie mit »zu vorsichtig«?
Wir versuchen bei ganz vielen Investitionen, allen zu gefallen. Wenn du städtische Prioritäten hast, musst du diese auch durchsetzen. Ein Beispiel: Wir haben 72 einzelne Baumaßnahmen von den LVB, um auf 2,40 Meter Spurbreite zu kommen. Davon sind 70 im Zeitverzug und uns gelingt kein Agreement mit dem Stadtrat. Man kann am Ende des Tages über die letzten 30 Zentimeter Rad- oder Fußweg gerne streiten. Die Frage ist: Nützen diese 30 Zentimeter der Gesamtstadt oder ist es ein Einzelinteresse eines Wahlkreises? Die Verkehrswende gelingt uns in erster Linie dadurch nicht, weil wir keine Alternativangebote zum Auto schaffen.
Ein Blick auf die Bürgeranträge: Die Leipzigerinnen und Leipziger wünschen sich öffentliche Toiletten, bessere Gehwege, mehr Baumpflanzungen – kommt die Stadt ihren Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht nach?
Nein, das würde ich so nicht sehen. Diese Themen sind ja nicht völlig aus dem Nichts gekommen, als hätten wir uns in der Verwaltung damit noch nie beschäftigt. Ich glaube eher, uns gelingt es nicht, unsere Pläne und Strategien so zu kommunizieren, dass der Bürger auch versteht: Da kommt was. Wir arbeiten seit Jahren an einem Toilettenkonzept, was ja nicht so trivial ist. Vielleicht waren wir auch zu langsam und haben die Geduld der Bürger überstrapaziert. Also auch da die Frage: Wie kann man Verwaltungshandeln transparenter und schneller machen? Wie kann man den Bürger besser mitnehmen? Insofern war das ein sehr gutes Verfahren.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen der nächsten Jahre?
Unsere größte Herausforderung – wenn wir jetzt mal die ganzen Krisen, die extern über uns hereingebrochen sind, ausklammern – ist der Fachkräftemangel. Am Anfang waren es ja nur Spezialisten, aber das ist mittlerweile in der Breite der Stellen angekommen, die wir nicht mehr besetzen können. Wenn nur die Hälfte unserer Investitionen wegen Personalmangel liegen geblieben sind, sind das 150 Millionen. Wenn die ein Jahr liegen bleiben, bei einer Inflation von 10 Prozent, dann haben wir 15 Millionen in den Sand gesetzt. Das andere ist, dass wir wieder erkennen müssen, dass das produzierende Gewerbe unser Volkseinkommen erwirtschaftet und damit unsere Zukunft. Und dann müssen wir überlegen, wie wir produzierendes Gewerbe und Fachkräftemangel mit den Herausforderungen des Klimawandels in Übereinkunft bringen können.
INTERVIEW: LEON HEYDE
FOTO: CHRISTIANE GUNDLACH