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Eine neue Bewegung

Die App Re-Mapping zeigt feministisch-künstlerische Stadtgeschichten

  Eine neue Bewegung | Die App Re-Mapping zeigt feministisch-künstlerische Stadtgeschichten

Eine unscheinbare Tafel hängt am DDR-Neubau in der Ritterstraße, gegenüber vom Nikolaikirchhof. Sie erinnert an einen sehr wichtigen Moment in der Stadtgeschichte. An der Stelle fanden in der damaligen Buchhändlerbörse (bis 1943) am 15. Oktober 1865 – initiiert von Louise Otto-Peters – die erste deutsche Frauenkonferenz und die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins statt. Sie bilden den Beginn der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland. Es ging um gesellschaftliche Teilhabe, das Recht auf Erwerbsarbeit und Bildung. Die schlichte Tafel der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft und der Leipziger Sparkasse stammt aus dem Jahr 2015.

Im Gegensatz zu den repräsentativen Denkmälern, die der Leipziger Bildhauer Carl Seffner zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Johann Wolfgang von Goethe als Student vor der Alten Handelsbörse (1903) oder für Johann Sebastian Bach vor der Thomaskirche (1908) schuf, finden sich in der Innenstadt kaum Orte, die an Frauen erinnern. Diese liegen eher versteckt und jenseits zentraler Plätze. So etwa der Gedenkstein, den Adolf Lehnert für Louise Otto-Peters ursprünglich auf dem Gelände des Alten Johannisfriedhofs schuf und der dann 1925 dem Neubau des Grassi-Museums weichen musste. Heute steht er etwas abseits im Rosental an der Großen Wiese. Bei der Einweihung 1900 erklärte der Leipziger Oberbürgermeister Bruno Tröndlin die große Bedeutung der Frauenrechtlerin nicht nur für die Frauenbewegung, sondern auch für die Stadt selbst.

Diese und die Geschichten von Leipziger Frauen will eine neue App vorm Vergessen retten. »Eine neue Bewegung: Re-Mapping Leipzig« heißt das Projekt, das zu multimedialen Spaziergängen von feministischen Geschichten bis zum aktuellen Geschehen in der Stadt einlädt. Die kostenlose progressive Web-App zeigt das vom kuratorischen Team Julia Kurz, Kati Liebert, Ewa Meister, Johanna Ralser, Kristina Semenova und Olga Vostretsova initiierte neue Mapping. Dabei geht es um das künstlerische Kartieren von historischen und gegenwärtigen Kämpfen, Aktivitäten und Bewegungen im öffentlichen Raum.

Screenshot aus der App
Screenshot aus der Re-Mapping-App

Ganz zu Beginn stand eine Führung von Bükü – dem Büro für kulturelle Übersetzungen –, ein Projekt von Kristina Semenova und Olga Vostretsova. Für die Gender-Summer-School 2019 konzipierten sie einen feministischen Rundgang in der Innenstadt und suchten dort nach Denkmälern für Akteurinnen.
Die App führt nun an zwanzig Orte in der Stadt – von der Innenstadt zur Hochschule für Musik und Theater, in den Friedenspark über die Baumwollspinnerei und Gedenkstätte für Zwangsarbeit bis zur Monaliesa-Bibliothek. Sie entstand im weiblichen Kollektiv. Ausgangspunkte bildeten Texte von Olivia Golde, Carolin Krahl und Koschka Linkerhand, auf denen dann die künstlerischen Interventionen an den konkreten Orten basierten. Zu erleben sind Video-Performance-Walks, Hörstücke, Comics und Augmented-Reality-Interventionen, die feministische Ereignisse zum Leben erwecken wollen. Dabei sind Comics von Lina Ehrentraut, Mandy Gehrt, die sich vor allem um Ehrenbürgerinnen engagierte (siehe S. xx), Anja Kaiser liefert Interventionen, Angelika Waniek performt. Die Programmierung stammt von Christin Ursprung, die Gestaltung von Leila Tabassomi. Den Sound lieferten unter anderem Anna Schimkat und CFM.

Die App kann natürlich nicht alle existierenden Fehlstellen und Lücken in der Stadtgeschichte verschwinden lassen. Die Macherinnen verstehen sie als Anstoß zum Vernetzen der unterschiedlichen Initiativen in der Stadt wie auch zur Bewusstseinsbildung für eine andere Erinnerungskultur, die sich die Stadt auch auf die Fahnen geschrieben hat.

Am 19. März fand die Releasesause der App im Conne Island statt. Dieses taucht ebenfalls als Station in der App als Ort der Ladyfeste auf. Die Veröffentlichung wurde als Anlass genommen, um nicht nur die Künstlerinnen und Autorinnen vorzustellen, sondern sich auch mit anderen Initiativen in der Stadt zu vernetzen. Eine Gesprächsrunde bilanzierte die feministische, politische, solidarische Arbeit samt ihren Errungenschaften wie auch Widersprüchen und aktuellen Kämpfen, ein feministisches DJ-Kollektiv legt auf und das freie Performancekollektiv Chicks tritt auf.
Im Frühjahr und Sommer laden dann die Akteurinnen zudem zu analogen Veranstaltungen und Rundgängen ein, um die Sichtbarkeit auch außerhalb der virtuellen Realität ganz konkret in der Stadt erfahrbar werden zu lassen.

> www.remapping-leipzig.de


Titelfoto: Die App-Organisatorinnen Olga Vostretsova, Julia Kurz und Kristina Semenova (v.l.), Christiane Gundlach.


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