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Kultur

Gefühlte Linien

Die HGB-Galerie zeigt Arbeiten der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig

  Gefühlte Linien | Die HGB-Galerie zeigt Arbeiten der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig

»Meine Zeichnungen sind interessanter als die Malereien« ist auf einer Zeichnung gleich zu Beginn der Ausstellung zu lesen. Die Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst zeigt »Maria Lassnig: Über die Präzision der Gefühle«. Sie widmet sich dem zeichnerischen und filmischen Werk der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig. Das Gastland Österreich bei der Buchmesse erlaubt einen Blick auf ganz besondere Arbeiten und Gedankengänge, die es so in Leipzig noch nie zu sehen gab.

Maria Lassnig, 1919 in Kärnten geboren, studiert nach einer Ausbildung als Volksschullehrerin bis 1945 an der Wiener Akademie der Künste. In der Zeit erhält sie Gastipendien und bricht nicht aus dem nationalsozialistischen Formkanon aus. Nach dem Studium orientiert sie sich in Richtung Expressionismus und Surrealismus. Ein Paris-Stipendium 1951 ermöglicht ihr gemeinsam mit ihrem damaligen Partner Arnulf Rainer die Begegnungen mit Paul Celan und André Breton. Dort sind aber auch die Arbeiten von Jackson Pollock zu sehen und Begegnungen mit Künstlern wie Hans Hartung oder Wols möglich. Sie orientiert sich mehr in Richtung abstraktem Expressionismus und informeller Kunst. Ein weiteres Studium an der Wiener Kunstakademie folgt. Nach Aufenthalten im Paris der späten 1960er-Jahre, zieht sie nach New York, absolviert einen Zeichentrick-Kurs an der School of Visual Arts und kauft sich eine 16mm-Kamera. Gemeinsam mit Carolee Schneemann gründet sie 1974 die Vereinigung Woman/ Artists/ Filmmakers. 1980 übernimmt sie die Leitung der Meisterklasse für Gestaltungslehre – experimentelles Gestalten an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Maria Lassnig stirbt im Mai 2014 in Wien.

Seit Mitte der 1940er-Jahre zeichnet und malt Lassnig rund um das Thema Körperbewusstsein, begleitet von den Fragen: Welche Formen nehmen Gefühle und welche das Spüren des Körpers ein?  Es entstehen unzählige Arbeiten – Körperporträts, die der Vieldimensionalität des leiblichen Selbst aufspüren. Der französische Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty bezeichnete in seinem 1945 erschienen Werk »Die Phänomenologie der Wahrnehmung« das leibliche Selbst als Wachposten, der die Verankerung mit der Welt bildet. Und genau dies wird auf den über 60 Zeichnungen in der HGB-Galerie deutlich. Die zahlreichen Motive, die Lassnig mit Bleistift, Kreide oder Kohle auf Papier bringt, entziehen sich zum Großteil realistischen Darstellungen der Körperhülle. Vielmehr zeigen die Körperbewusstseinszeichnungen, wie gefühlter Raum ebenso den Leib beeinflusst wie Kanten, Linien, Rundungen.

Lassnig ist auf der Suche nach »einer Realität, die mehr in meinem Besitz wäre als die Außenwelt und fand als solche das von mir bewohnte Körpergehäuse, die realste Realität am deutlichsten vor, ich habe ihrer nur gewahr zu werden, um ihren Abdruck in fixen Schwerpunkten auf die Bildebene projizieren zu können.« Der Körperausdruck wiederum erfolgt »entweder durch Druck, Spannung oder Überanspruchung eines Körperteils in einer bestimmten Körperlage« wie sie bereits 1970 festhält.

So sind die Überanspruchungen nicht nur auf den ausgestellten Blättern aus der Zeit von 1947 bis 2012 zu sehen, sondern auch mit Gedanken kombiniert, die die Zeichnungen zu intimen Zeugnissen werden lassen. Der Wachposten und die Verankerungen des Selbst speisen sich nicht aus esoterischen Gefühlslagen, sondern verhandeln sowohl Kunstfeld und Beziehungsmuster als auch Zuschreibungen auf den weiblichen Körper und Möglichkeiten von diesen ausgeschlossen zu werden.

Die mit ihrer 16mm-Kamera aufgenommenen Filme wie »Art Education« aus dem Jahr 1976 oder »Baroque Statues« (1970-74) variieren die gezeichneten Bilder mit Perspektiven aus der und in die Kunstgeschichte.

Die bis Anfang Juni zu sehende Ausstellung begleitet ein Reader, der die Motive beschreibt und biographisch einordnet. Donnerstags finden zudem Führungen in der Ausstellung statt.

> »Maria Lassnig: Über die Präzision der Gefühle«, bis 3.6., HGB-Galerie Dienstag-Freitag 14 – 18 Uhr, Samstag 13 – 17 Uhr sowie nach Vereinbarung. Sonderöffnungszeiten zur Buchmesse: Donnerstag bis Samstag 14 – 20 Uhr. Über Ostern ist die Ausstellung geschlossen.

www.hgb-leipzig.de/galerie


Titelfoto: Kurt-Michael Westermann, Maria Lassnig Stiftung / VG Bild-Kunst, Bonn 2023


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