Vor der Eröffnung von »Dimensions. Digital Art since 1859« muss noch der Schlamm vom Hof gespritzt werden. Ein Mann mit einem Hochdruckreiniger säubert am Dienstagvormittag den Innenhof der ehemaligen Pittlerwerke bevor bis Ende Juli die Besucherinnen und Besucher den Weg bergauf in die riesigen Werkhallen gehen können. Organisator Walter Smerling will keine konkreten angestrebten Besucher-Zahlen bei der Pressekonferenz nennen, um dann doch einen Eindruck zu geben mit: »vielleicht 30.000, 50.000 oder 100.000« – auf jeden Fall wird die Ausstellung »viele, viele Menschen erreichen«. Er begründet dies mit den aktuellen Diskussionen um Künstliche Intelligenz. »Digitalisierung geht uns alle an«, betont Smerling. Er, den die Süddeutsche Zeitung beispielsweise als »hochumstrittenen Kunst-Impresario« beschrieb, steht der in Bonn ansässigen Stiftung für Kunst und Kultur vor.
Gegründet 1986, löste die vor zwei Jahren auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof initiierte Gruppenausstellung »Diversity United« vielfältige Kritik aus. Zum einen schien die Schirmherrschaft von Wladimir Putin für die Schau ebenso fraglich wie auch die finanzielle Unterstützung des Berliner Senats. Dass Alt-Kanzler Gerhard Schröder bei einem Firmenempfang von Immobilienentwickler Christoph Gröner in den Ausstellungsräumlichkeiten sprach, zeigt zwar sehr schön die engen Verbindungen von Kapital und Kunst auf, aber führte letztlich zu Boykottaufrufen und letztlich auch zum Ende der Tempelhofer Aktivitäten.
Nun gilt es an einem anderen Ort Kunst zu inszenieren und da ist Leipzig scheinbar ideal, denn die Stadt – so Smerling – »ist in Europa etabliert«. Mit »spektakuläre[r] Digital-Kunst in einzigartiger Industriearchitektur« wirbt die Ausstellung selbst. 60 Kunstwerke von 50 Kunstschaffenden sind hier auf 10.000 Quadratmetern zu sehen.
Der Ort
Hinter dem mächtigen Rathaus Wahren liegen die Pittlerwerke. Für die Ausstellungsorganisatoren bilden sie »ein Beispiel für die Transformation eines alten Industriedenkmals in einen pulsierenden Raum für Ideen, Austausch und Engagement.« Außerhalb dieser Investorenportfoliosprache laufen die Besucherinnen und Besucher zuerst einmal durch eine sehr DDR-authentisch braun gekachelte Durchfahrt, in der die Neonröhren hinter Holzverschalung und brauner, geriffelter Plastikverblendung mal gestrahlt haben müssen. In den Schaufenstern an den Wänden zeigen Schwarz-weiß Fotografien den Alltag vor der Schließung 1997. Stolz scheint durch mit Blick auf die automatisierten Taktstraßen in den Hallen.
Der Name stammt von Julius Wilhelm Pittler (1854-1910), der 1876 aus Ostpreußen nach Leipzig kam und als Zeichner für Stickvorlagen arbeitete. 1880 gründete er in Gohlis eine Dampfmotorenfabrik und später in der Möckernschen Straße 6a eine Maschinenfabrik, die 1898 als Leipziger Werkzeugmaschinenfabrik an den heutigen Standort zog. Pittler entwickelte den sogenannten Werkzeugrevolver, der damals für die Herstellung von Fahrradnaben eine wichtige Rolle spielte. Wer mehr zur Zeit des Unternehmens nach 1933 erfahren möchte, der schaut auf der Homepage der Gedenkstätte für Zwangsarbeit (www.zwangsarbeit-in-leipzig.de/karte) nach. Die größte europäische Fabrik zur Herstellung von Revolverdrehbänken und Automaten, Fräsmaschinen für die Herstellung von Geschützrohren und Maschinen für die Munitionsproduktion produzierte ausschließlich für die Kriegsproduktion und stellte so eins der größten Rüstungsunternehmen der Stadt dar. Zwangsarbeiter wurden in 13 Außenlagern untergebracht. Nach 1945 hieß das Unternehmen VEB Drehmaschinenwerk Leipzig und ging als Pittler-Tornos Werkzeugmaschinenfabrik AG Leipzig 1997 in Konkurs.
Seit fünf Jahren ist das 32.000 Quadratmeter große Gelände im Besitz der Montis Real Estate GmbH, die nach bester Manier der Standortaufwertung 2018 mit dem Spektakel »Monumenta« schon einmal versuchte, über Kunst Mehrwert zu schaffen. So scheint auch die aktuelle Ausstellung eine Win-Win-Situation für Ausstellungsmacher und Immobilienbesitzer zu sein.
Die Kunst
Die Ankündigung »Digitale Kunst seit 1856« wirkt etwas irritierend, aber es geht hier nicht nur um Kunst, die mit dem technischen Artefakt Computer entsteht, sondern auch um jene – wie die Kuratorin Dan Xu erklärt – die auf Mathematik und Algorithmen basieren. 1859 steht für den französischen Fotograf und Bildhauer François Willème, der in jenem Jahr 24 Fotokameras zur Erfassung von Skulpturen aufstellte und so laut Ausstellungsmacherin den Weg zum 3D-Scan startete.
Dan Xu betonte zudem bei der Pressekonferenz, dass sich vor allem Künstlerinnen sehr früh mit der Technik auseinandersetzten. Was sie dabei nicht erwähnte war, dass dies nicht allein ein Phänomen der digitalen Technologie darstellt, sondern bereits beim Aufkommen der Fotografie und der Videokunst stattfand. Ein Grund dafür: ein neues Artefakt besitzt noch keine Geschichte – wie etwa die klassischen Kunstgattungen Malerei und Plastik – und können so relativ unbeschwert in der künstlerischen Produktion verwendet werden.
Was aber bereits bei der Videokunst ein Thema war: Welche Rolle spielt die verwendete Technik für andere Lebensbereiche? Selbstverständlich stand Sony als Sponsor Pate als Videoausstellungen ab den 1970er-Jahren in der westlichen Welt stattfanden. Das Unternehmen erhoffte sich davon mehr Konsumenten. Der Plan ging mit der zunehmenden Miniaturisierung der Geräte und leichteren Anwendung auf jeden Fall auf. Aber nicht nur der private Einsatz beim Filmen von Omas Geburtstag förderte die Kundschaft, sondern auch die Pornoindustrie ebenso wie das Militär.
Kapital und Kontrolle
In Wahren sind in den großen Werkhallen und abgedunkelten Kellern nun eine große Anzahl an Bildschirmen mit jeweils eigener Sounddusche installiert. Sie sind geradezu unauffällig im Gegensatz zu riesigen Installationen wie etwa die Wasserskulptur von Christian Partos und Shiro Takatani. Sie wirkt in der Dunkelheit ganz besonders, wenn augenfällig Wassertropfen von unten nach oben fliegen und sich zu verschiedenen Formen bündeln. Spektakel ist dafür vielleicht auch nicht der falsche Begriff, erinnert es doch sehr an Jahrmärkte im 19. Jahrhundert.
Auf jeden Fall stellt sich hierbei nicht nur die Frage nach Klimaneutralität, sondern auch, wie viel Geld solch eine technische Ausstattung samt den extra für die Ausstellung geschaffenen Auftragsarbeiten kostet. Nachgefragt bei Walter Smerling antwortet dieser mit einem Lächeln: »Viel, sehr viel Geld.« Wie viel Geld viel, sehr Geld seinem Verständnis nach sei, wollte er dann doch nicht konkretisieren. Offensichtlich steht erst am Ende die Summe X fest. Die wiederum bezahlt nicht die öffentliche Hand, so Smerling, sondern die Privatwirtschaft. Dazu sind zwei potente Unternehmen als Sponsoren gelistet. Die Telekom und das US-amerikanische Datenunternehmen Palantir. Beide Unternehmen sind optimistisch, was die Zukunft und KI betrifft. In der Frankfurter Allgemeinen besprachen Palantir-Mitgründer Alex Karp und Deutsche Telekom-Chef Tim Höttges das mögliche Szenarium.
Für Karp setzt sein Unternehmen KI ein, um in Konfliktregionen aktiv zu werden – wie in der Ukraine, um die Angriffe der russischen Armee vorauszusagen. Aber Datensammlung und -kontrolle kann auch andere Facetten in der Gesellschaft bedienen. Daher weiß Karp: »Mir ist bewusst, dass das in Deutschland kontrovers gesehen wird – aber ich glaube, dass wir im Westen stärker sein müssen als unsere Gegner, in diesem Fall also China und Russland.«
Palantir-Mitgründer und Donald Trump-Unterstützer Peter Thiel stand ebenso wie die Produkte bereits einige Male in der Kritik. Dabei geht es auch um die Instrumentalisierung von Kunst, um das eigene Image aufzuwerten und ein humanes Antlitz zu schaffen. Das Bundesverfassungsgericht hat zumindest im Februar 2023 die Anwendung der Software Palantir Gotham als verfassungswidrig verboten. Dabei ging es um die »automatische Datenanalyse für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten«. Ob diese Themen bei dem für den 2. und 3. Juni angekündigten Dimensions-Symposium in den Pittlerwerken diskutiert werden, ist auf der Homepage so nicht ablesbar – zumal auch die Namen der beteiligten Personen bisher fehlen. Auf den nicht unproblematischen Sponsor bei der Pressekonferenz angesprochen, antwortete Smerling mit dem Beispiel einer deutschen Firma, die Töpfe, Pfannen aber auch Messer herstelle. »Es kommt auf die Regularien an«, so Smerling, damit das Messer niemanden tötet, sondern nur die Kartoffel pellt…
Ob nun die Kunst durch die KI ersetzt wird oder nicht: Die Ausstellung zeigt wie durch ein Brennglas, welche Probleme und Themen im Kunstfeld und in der Gesellschaft aktuell sind und dafür könnte das Spektakel in Wahren dann auch tatsächlich für alle nützlich sein.
> »Dimensions. Digital Art sind 1859« bis 9.7. in den Pittlerwerken zu sehen.
> Der Katalog umfasst 256 Seiten und kostet 35 Euro.
> Kostenloser Eintritt am 26. April.
> Mehr Infos unter www.dimensions-digital-art.de
Foto: Stiftung für Kunst und Kultur e.V.