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Kultur

»Ich will der Gesellschaft Themen an den Kopf werfen«

Michael Stavarič im Gespräch über seinen neuen Roman, Thomas Bernhard und Bohumil Hrabal

  »Ich will der Gesellschaft Themen an den Kopf werfen« | Michael Stavarič im Gespräch über seinen neuen Roman, Thomas Bernhard und Bohumil Hrabal

Der österreichisch-tschechische Schriftsteller Michael Stavarič wollte eigentlich einen Roman schreiben, der nur aus einem Satz besteht. Uns sagte er gleich mehrere Sätze dazu.

Zur Leipziger Buchmesse erscheint Ihr neuer Roman »Das Phantom« – eine Liebeserklärung an Thomas Bernhard und in der atemlosen Form auch an Bohumil Hrabal. Fließen hier die beiden Inspirationsquellen eines österreichisch-tschechischen Schriftstellers zusammen?

Der Vergleich Hrabal-Bernhard ist auf jeden Fall ein lohnenswerter – und er liegt für mich formal auf der Hand. Bei Hrabal scheint mir allerdings die »syntaktische« Verzweiflung mit Ironie und Melancholie gepaart – diese fehlen bei Bernhard regelmäßig. Aus dem ursprünglich konzipierten Ein-Satz-Roman ist allerdings doch noch einer geworden, der sich aus mehreren Sätzen zusammensetzt. Einige, in Anbetracht der Fülle dann eigentlich wenige, Punkte zu setzen, schien mir irgendwann im Sinne des Duktus unerlässlich. Und als Leser:in – und das habe ich bei den Korrekturen selbst gemerkt – muss man ab und zu verschnaufen dürfen. Beim Lesen muss allerdings diese Interpunktion nicht wirklich zum Tragen kommen – es ist ein Roman, der unbedingt Fahrt, Tempo aufnehmen sollte.


Thom, die Hauptfigur des Romans, ist ein hochintelligenter Mann, der sich quasi an seinem Leben vorbeidenkt. Ein Abgesang an das denkende, reflektierende Individuum?

Er ist pars pro toto ein personifizierter Abgesang auf die Menschheit, weil er trotz offensichtlicher – auch intellektueller – Qualitäten auf voller Linie versagt. Dies darf man durchaus als größere Metapher verstehen. Sein Denken verunmöglicht gewissermaßen sein Leben. Zudem hält er der mentalen Belastung nicht stand, die Kindheit, Jugend und Welt mit sich bringen. Im Roman gerät er in eine nicht weiter konkretisierte Situation – hier ist die Fantasie der Leser:innen gefragt –, in der sein ganzes Leben fragmentarisch an ihm vorüberzieht. Vermutlich liegt er längst im Sterben. Wie wohl auch unsere Welt im Allgemeinen.


Ihr letzter Roman »Fremdes Licht« wurde kurz vor der ersten abgesagten Leipziger Buchmesse veröffentlicht und von Corona verschluckt – mit welchen Erwartungen schauen Sie auf die diesjährige Messe?

Der Ausfall der Buchmesse 2020 war eine große Enttäuschung für mich. Ich hatte mit dem Roman »Fremdes Licht« viel vor – denn im Unterschied zum »Phantom« ist dieser inhaltlich ein wahres Abenteuer. Insofern hege ich keine Erwartungen mehr – ich schrieb »Das Phantom«, weil es Themen aufgreift, die ich unserer Gesellschaft an den Kopf werfen will. Es ist eine Bilanz des Scheiterns – zwar nur eines Individuums, doch in letzter Konsequenz auch einer ganzen Gesellschaft. Auf die Messe freue ich mich, weil mir die persönlichen Begegnungen vor Ort gefehlt haben. Ich bin ein großer Leipzig-Fan – erwarten tue ich mir allerdings auch hier mal lieber nichts.


Michael Stavarič wurde 1972 in Brno (ČSSR) geboren, studierte Bohemistik, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien, wo er heute als freier Schriftsteller, Übersetzer und Dozent lebt. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise, unter anderem den Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur, den Hohenemser Literaturpreis und den Adelbert-von-Chamisso-Preis. Zuletzt erschienen von ihm: »Fremdes Licht« (Luchterhand 2020), »Balthasar Blutberg« (Luftschacht 2020), »zu brechen bleibt die See« (Czernin 2021), »Faszination Krake« (Leykam 2021), »Piepmatz macht Wald aus Euch« (Leykam 2022). Außer dem Roman »Das Phantom« werden in diesem Jahr noch der Gedichtband »Die Suche nach dem Ende der Dunkelheit« (Limbus) sowie das Kinderbuch »Faszination Qualle« (Leykam) erscheinen.


> Am 29.4. liest er aus seinem Roman »Das Phantom«. 16.30, ARD-Forum, Halle: 2, Stand: H301


Foto: Yves Noir.


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