»In der Leipziger Innenstadt entsteht im historischen Gebäude direkt an der Petersstraße ein ganz besonderer Ort für LeipzigerInnen, BesucherInnen und TouristInnen. Freuen Sie sich auf einen ausgewählten Einzelhandel, modernste Büros und eine Vielzahl an kulinarischen Spezialitäten!
Mit der Eröffnung schließt das N30 | NEO eine bedeutende Lücke in der Innenstadt von Leipzig.«
– www.neoleipzig.de, Website des luxemburgischen Investors, der aus dem 2019 geschlossenen Karstadt ein »Work-Life-Quartier« machen will
Sicherlich, Kaufhäuser sind wie Opernhäuser und gedruckte Zeitschriften im 21. Jahrhundert nicht direkt Avantgarde. Aber sollte es im Jahr 2023 wirklich schon soweit sein, dass eine Stadt mit 624.689 Einwohnerinnen und Einwohnern, die einst ein Dutzend Kaufhäuser hatte, nicht mal mehr ein einziges davon braucht? Oder wenigstens, sagen wir mal: durchfüttern kann?
Als es kürzlich hieß, die Galeria würde schließen, fühlten sich viele in Leipzig an das Karstadt-Ende im Jahr 2019 erinnert. Damals verschwanden nicht nur ein Konsumtempel und zahlreiche Arbeitsplätze – die Stadtgesellschaft diskutierte, ging sich noch mal (natürlich ironisch!) den singenden Springbrunnen angucken, kaufte absurd reduzierte Waren und schaute dem Haus beim Sterben zu: Das Sortiment und die immer traurigeren Verkäuferinnen zogen sich Etage um Etage und schließlich Gang um Gang zurück, bis nur noch eine Ramschecke im Erdgeschoss und dann eben gar nichts mehr übrig blieb. War das da etwa Mitleid, das man verspürte? Mit einem Konzern, der sich am Immobilien- und am eigenen Markt vertan hatte? Und hatte man das dann nicht doch recht schnell vergessen und ging bei den ja eh wenigen Besuchen in der Innenstadt nun eben woanders aufs Klo?
Vier Jahre später triggerte nun die nur kurz kursierende Galeria-Schließung aber doch wieder etwas, das vielleicht doch noch als Wunde da ist – nicht nur, weil derselbe Konzern, die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH, beteiligt ist; nicht nur, weil das alte Karstadt nach wie vor ungenutzt da steht und seine Neo-Nutzung als »Work-Life-Quartier« auf sich warten lässt; sondern vor allem, weil das mögliche Ende des letzten Kaufhauses in der Stadt uns doch fragen lässt, wie es ganz generell um diese Leipziger Innenstadt bestellt ist (Beim Wort »bestellen« einen Onlineversand-Witz dazudenken, Anm. d. Red.), die einerseits von der Leipziger Tourismus- und Marketing-GmbH stets gelobt und Weihnachtsmarkt- und Shopping-Touristen teuer verkauft wird, die aber andererseits von vielen Leipzigerinnen und Leipzigern als seelenlose Einkaufspassage mit sehr viel Leerstand und zu wenig Grün wahrgenommen wird. Natürlich heißt Kaufhaus nicht gleich Innenstadt und Innenstadt nicht gleich Shopping – Stichwort Kultur, Stichwort »Aufenthaltsqualität« –, aber die Stadt hat trotzdem den ehemaligen Centermanager der Höfe am Brühl zu ihrem »Citymanager« gemacht.
Dass das Aufblähen der Einkaufsinnenstadt durch die Shoppingcenter im Bahnhof und später am Brühl ganz offensichtlich dazu geführt hat, dass man ständig und überall leere Geschäfte sieht, verbuchen wir mal unter »Ironie der Geschichte«. Dass dieser Leerstand durch mit Bildern von Fantasiegeschäften abgeklebte Schaufenster eher betont als kaschiert wird, läuft wohl unter »Provinz-Marketing« oder »potemkinsche Postmoderne«. Dass es auf dem Markt nicht eine Bank und in der gesamten Innenstadt nicht einen Spielplatz gibt – denn, nein, die Hundertwasser-für-Arme-Anlage in der Reichsstraße ist genauso wenig einer wie die Murmelbahn auf dem Kurt-Masur-Platz zwischen Uniriesenfenstersturzschutzzaun und durchrasendem Radverkehr – und dass jetzt im Petersbogen statt der bequemen und praktischen Holzbänke mit Tischchen riesige Plaste-Tulpenköpfe auf Kunstrasenimitat (!) stehen, die sich zu Sitzen aufklappen lassen, die wenn sie nur halb so unbequem sind, wie sie aussehen, immer noch verdammt unbequem sind, ganz zu schweigen davon, dass sie so weit auseinander stehen, dass man von Tulpe zu Tulpe nicht mit seiner Begleitung sprechen kann – das nennen wir auf keinen Fall Zynismus, sondern: blühende Landschaften.
Foto: Christiane Gundlach.