»Die Innenstadt kann nicht staatlich organisiert werden« – Leipzigs Wirtschaftsbürgermeister Clemens Schülke
Am »Spielplatz« in der Reichsstraße befindet sich eine kleine transparente Tafel, die den Hinweis gibt, dass dieser Ort 2007 ein Preisträger im Wettbewerb »Ab in die Mitte! Die City-Offensive Sachsen« gewesen ist. Der Wettbewerb geht in diesem Jahr in die 20. Runde, der sächsische Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt erklärt zum Jubiläum: »Unser traditionsreicher Wettbewerb hat schon viel bewegt, um Innenstädte attraktiver und lebenswerter zu gestalten. Kreative und innovative Ideen für eine Belebung der Innenstädte sind wichtiger denn je.« Waren es vor 20 Jahren noch die Einkaufszentren auf der grünen Wiese, die in direkter Konkurrenz zu Innenstädten standen, ist es nun der Online-Handel. Die Symptome spitzen sich durch die Lockdowns in Folge der Corona-Pandemie zu, so dass 2022 ein neues Hilfsmittel seitens des Bundes die Städte zur Selbsthilfe anhalten soll.
»Wohlfühlort für alle Generationen«
Der neue Belebungsversuch heißt »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« und umfasst deutschlandweit 228 Kommunen – von der Groß- bis zur Kleinstadt, von Schleswig bis Traunstein, ob Limbach-Oberfrohna oder Frankfurt/Oder. Mit bis zu 250 Millionen Euro unterstützt der Bund die Projekte bis zum Jahr 2025. Das Programm untersteht dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Eine Projektdatenbank gibt es auf der dortigen Homepage noch nicht. Die Standorte sind in einer Karte verzeichnet, die offenbart, dass ein deutschlandweites Problem behandelt werden soll.
Der Titel des Leipziger Projekts lautet: »Zentren Leipzig – Aktivitäten zur zukunftsfähigen Belebung von Innenstadt, Stadtteilzentren und Magistralen«. Es umfasst 22 Projekte und die Kerngebiete Innenstadt, Mockau und Georg-Schumann-Straße. »Zweck des Projekts ist es, integrative, multifunktionale Orte zu entwickeln, wo Menschen gemeinsam Ideen entwickeln, ihre Freizeit verbringen, gemeinsam arbeiten und auch leben. Diese Nutzungsmischungen sollen Zentren zu einem Wohlfühlort für alle Generationen und vielfältige Branchen entwickeln. Um dies zu erreichen, braucht es ein integriertes City- und Zentrenmanagement, eine signifikante Steigerung der Lebens- und Aufenthaltsqualität sowie ein intensives Nutzungs- und Flächenmanagement«, kann auf der Homepage des Ministeriums nachgelesen werden.
Dafür gibt es vom Bund genau 4.194.677,38 Euro, die Stadt beteiligt sich mit 1.398.225,80 Euro daran, so dass bis 2025 fast 5,56 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
»Erlebnisraum«
Das erste dieser 22 städtischen Projekte eröffnete Anfang April im Petersbogen. In einem Ladengeschäft im Erdgeschoss lädt bis Mitte August der Concept-Store mit dem griffigen Namen »Leipzig 04_Schaufenster für Kultur und Lokales« ein. Die Bezeichnung »Leipzig 04« orientiert sich übrigens an den Postleitzahlen von Leipzig. Der Laden ist für Kulturamtsleiterin Anja Jackes ein »Erlebnisraum«, wie sie zur Eröffnung betonte. Im Angesicht eines Kaffeeautomaten und einiger 0815-Regale, bepackt mit Allerleiprodukten aus Leipzig und der Region wirkt das etwas übertrieben. Es stellt sich zudem die Frage: Was sehe und kaufe ich hier, das mir nicht woanders in der Stadt angeboten wird?
Neben den dargebotenen Produkten wechseln sich alle zwei Monate städtische Kulturinstitutionen ab, um sich und ihre Arbeit hier vorzustellen. Aktuell sind das Stadtgeschichtliche Museum mit dem Museum Arabischer Coffee Baum und das Naturkundemuseum zu Gast. Während der Coffee Baum im Sommer wieder eröffnet, blinkt das Modell des ehemaligen Bowlingscenters, das in naher Zukunft das Naturkundemuseum beheimaten wird, von der Wand. Es folgen das Deutsche Buch- und Schriftmuseum sowie das Museum für Druckkunst. Auch das nicht gerade in der Innenstadt zu übersehene Museum der bildenden Künste stellt sich hier bald vor. Veranstaltungen zur Museumsnacht sollen den Laden genauso beleben wie die Menschen, die die hier ausgestellten lokalen Produkte kaufen oder den Kaffee einer Leipziger Rösterei konsumieren. Das Ganze stellt ein Kooperationsprojekt zwischen dem Kulturamt und der Initiative Locally Happy dar, die sich auf den Online-Verkauf von lokalen Produkten fokussiert. Über die Mietkosten zwischen Vermieter und Stadt herrscht nach außen Stillschweigen. Insgesamt wirkt der Laden eher konzeptlos, denn einige scheinbar wahllos zusammengestellte Produkte aus der Region beleben noch lange nicht die Innenstadt. Zudem rückt der Laden mit seinem Angebot die vorgestellten Institutionen nicht gerade ins beste Licht. Etwas wirklich Neues und Innovatives sähe anders aus. Dafür bedarf es schon anderer Reize und Ideen, die eben nicht normalerweise in einem Museumsladen erstanden werden können.
Der Direktor des Naturkundemuseums Ronny Maik Leder betonte mit Blick auf die Umgebung, dass sich »Kultur und Konsum nicht ausschließen« und auch Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, verwies auf die Geschichte Leipzigs als Handels-, Kultur- und Bildungsstadt, in der Handel und Kultur immer schon zusammen agierten.
»Selbstheilungskräfte«
Das Leipziger Amt für Wirtschaftsförderung steuert die lokalen Projekte des Bundesprogramms. Wirtschaftsbürgermeister Clemens Schülke betont gegenüber dem kreuzer, dass das Programm die »Selbstheilungskräfte« ansprechen« soll. Es stellt »eine große Chance für Leipzig dar. Damit können wir Impulse für die Innenstadt setzen und neue Angebote entwickeln«. Obgleich auch er weiß: »Die Innenstadt kann nicht staatlich organisiert werden.« Vielmehr gehe es darum, die Aufenthaltsqualität zu erhöhen, um eine neue Bindung zur Innenstadt herzustellen. Als eins der spektakulärsten Projekte nannte Burkhard Jung bei der Vorstellung des Projekts 2021 die Belebung der Rückseite der Oper und des Schwanenteichs durch ein von allen zu nutzendes Café. Innerhalb des Projektzeitraums soll nun erst einmal eine Planung angeschoben werden. Kinder in die Innenstadt zu lotsen (und damit auch Eltern und Großeltern), möchte ein Spielplatz im Salzgäßchen schaffen. Ein anderes Vorzeigeprojekt seitens der Stadt soll ebenso an lokale Akteurinnen und Akteure übergeben werden. Dabei handelt es sich um den sogenannten Familiensommer-Burgplatz im Schatten des Petersbogens, der bereits 2021 und 2022 jeweils im Sommer für vier Wochen stattfand. Dafür kippte eine in Stuttgart ansässige Event-Agentur einige Karren Sand auf den Burgplatz, stellte ein paar Kickertische und Tischtennisplatten neben Europalettenmöbeln, Pflanzen, Kletterelemente und Kleinkunstbühne auf.
Aufenthaltsqualität
Das neue Zauberwort Aufenthaltsqualität erfasst auch den Raum rund um das Museum der bildenden Künste. Installationen, Performances oder Inszenierungen stellt sich die Stadt vor, um unter dem Titel »Karree M2plus« diesen bisher tristen Ort zu beleben. Von anderen Projekten – wie etwa dem Servicebus für ältere Menschen, der an den unterschiedlichen Wochenmärkten die Wege zur Verwaltung verkürzt – ist aktuell nichts zu hören.
Für das Second-Life-Kaufhaus, das unter der Regie des Eigenbetriebs Stadtreinigung entsteht und in dessen Angebotssortiment sich instandgesetzte Produkte aus den Wertstoffhöfen der Stadt befinden, sucht die Stadt noch nach einem Standort. Die geplante Eröffnung fände dann 2024 statt.
Ein anderes von den 22 konkreten Projekten stellt der Cityfonds dar. Er bildet ein zusätzliches Förderprogramm, um Vereinen und Initiativen oder Privatpersonen zu helfen, leere Ladenflächen zu bespielen. Dafür stehen jährlich 365.000 Euro zur Verfügung. Eine Jury entscheidet über die Vergabe. Bisher hat der Cityfonds vierzig Interessenten beraten und zehn Projekte unterstützt. Bei einem Eigenanteil von zwanzig Prozent zahlt die Stadt nicht nur die Mietkosten, sondern explizit auch ein Veranstaltungsprogramm.
> Concept-Store »Leipzig 04_Schaufenster für Kultur und Lokales«: Mo–Sa 10–20 Uhr, Petersbogen
> Transparenzhinweis: Die Autorin ist selbst Teil eines Teams, das derzeit über das Programm Cityfonds einen Pop-up-Laden in einer innenstädtischen Leerfläche bespielt.
Foto: Christiane Gundlach.