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Stadtleben

Bewährungsstrafe für ehemaligen LVB-Kontrolleur

Die Würge-Attacke aus dem Juli 2020 wurde nun in Leipzig verhandelt

  Bewährungsstrafe für ehemaligen LVB-Kontrolleur | Die Würge-Attacke aus dem Juli 2020 wurde nun in Leipzig verhandelt

Im Juli 2020 verbreitet sich ein Video über Twitter, das zwei kreuzer-Mitarbeiter aufgenommen hatten: Ein Kontrolleur der Leipziger Verkehrsbetriebe würgt minutenlang einen Fahrgast auf dem Boden einer Haltestelle. Passanten stehen im Kreis um die beiden herum und schreien auf den Kontrolleur ein: er solle loslassen. Dass der Fahrgast sterbe. Fast drei Jahre später verurteilt das Leipziger Amtsgericht den Kontrolleur wegen gefährlicher Körperverletzung. Was genau passiert ist, davon gibt es verschiedene Versionen

Die Geschichte beginnt banal: Er und seine Freundin seien in der Stadt gewesen, um einen Koffer zu kaufen, erzählt der Australier Nicolas K., der im Leipziger Amtsgericht als Nebenkläger auftritt. Mit der Straßenbahn seien sie auf dem Heimweg gewesen, als sie von Kontrolleuren der Leipziger Verkehrsbetriebe, darunter dem Angeklagten Andree P., kontrolliert wurden. Ein Ticket hätten sie nicht gehabt, erzählt K. Zur Feststellung der Personalien hätten sie ein Formular zur Selbstauskunft ausgefüllt. Das spätere Opfer K. machte dabei erwiesenermaßen falsche Angaben. Bei der nächsten Station seien sie ausgestiegen, die Kontrolleure seien gefolgt. Am Bahnsteig habe man ihn dann von seiner Freundin getrennt: Fragen seien zu den ausgefüllten Formularen gestellt worden, er habe sich unsicher gefühlt und gehen wollen, erzählt der Australier weiter.

Andree P. habe dann seinen Arm hinter den Rücken gedrückt, er habe sich aus dem Haltegriff befreit, woraufhin P. mit noch mehr Kraft attackiert habe. Noch während sie standen, habe P. den Arm um seinen Hals gelegt. Er habe um Hilfe gerufen, doch an der Haltestelle seien sie allein gewesen. Der nächste Teil sei etwas »blurry«: K habe wiederholt gerufen, dass er schlecht atmen könne, irgendwann sei er ohnmächtig geworden. Als er wieder wach wurde, habe P. ihn weiter gewürgt. »Ich habe gedacht, ich würde sterben«, erzählt K.

Eine andere Version der Geschehnisse am Bahnsteig erzählt Herbert L., einer der Kontrolleur bei dem Vorfall: Als seine Kollegin am Bahnsteig die Polizei rief, habe K. flüchten wollen und L. sich ihm in den Weg gestellt. Daraufhin habe K. ihn gestoßen und auf ihn eingeschlagen: Letzteres sei ein Detail, von dem, so Amtsrichter Alexander Länge, in einer vorherigen Aussage keine Rede gewesen sei. Sein Kollege P. habe K. dann zu Boden gebracht. Weil K. um sich getreten habe, habe L. seine Beine fixiert. Davon, dass sich K. in Lebensgefahr befunden habe, wollen L. sowie die dritte Kontrolleurin auf Nachfrage des Richters nichts mitbekommen haben.

Als Folge des Übergriffs erlitt K. neben Hautabschürfungen und Hämatomen länger anhaltende Rippenschmerzen sowie Schluck- und Atembeschwerden. Das Erlebnis sei traumatisch gewesen, erzählt K. Er fahre nun meist mit dem Rad und bekomme Panikattacken, wenn er Leute in Uniform sehe.

Staatsanwalt Sebastian Batzer verweist in seinem Abschlussplädoyer auf die überschrittene Verhältnismäßigkeit der angewandten Mittel. P. habe auch nach Ende der Gegenwehr nicht aufgehört. Trotz der Sprachbarriere sollten die Worte zwischen allen Beteiligten verständlich gewesen sein, so auch die Hilfe- und Atem-Rufe von K. Für die Tat fordert Batzer eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten auf Bewährung.

Das Mittel sei  erforderlich gewesen, sagt dagegen der Verteidiger Tommy Kujus, der auf Freispruch plädiert. Auch habe weiter die Gefahr bestanden, dass K. aufstehe und fliehe, führt Kujus fort und rät zu bedenken, dass es sich nicht um ein statisches Geschehen gehandelt habe.

Sichtbar betroffen zeigt sich die Opferanwältin Doreen Blasig-Vonderlin: Jemanden bis zur Bewusstlosigkeit zu würgen sei auf gar keinen Fall von einem Festnahmerecht gedeckt. Ihr Mandant habe laut eines medizinischen Gutachtens Punktblutungen in den Augen gehabt, diese entstünden bei massiver Gewalteinwirkung auf den Hals. Man hätte die Tat auch als versuchten Totschlag werten können. Sie fordert, das Fehlverhalten mit aller Härte zu Rechenschaft zu ziehen.

Den Abschluss macht Richter Alexander Länge: Dieser hält den Tatvorwurf für erwiesen, das Kerngeschehen sei auf dem Video zu sehen. Es habe Anzeichen dafür gegeben, dass die Luftzufuhr zum Gehirn abgeschnitten werde, das Problem hätte bei den wiederholten »Help«-Rufen deutlich sein müssen. Im Rahmen des Festnahmerechts sei eine gewisse körperliche Gewalt zulässig, jedoch keine, die eine ernsthafte Verletzung der Gesundheit herbeiführen könnte. So stehe die Reaktion in keinem Verhältnis zum Bagatelldelikt der Leistungserschleichung. Die Tritte seien hingegen bei Todesangst ein natürlicher Bewegungsablauf, gedeckt von der Notwehr des Opfers.

Für die gefährliche Körperverletzung verurteilt das Gericht Andree P. zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Neben den Kosten des Verfahrens und der Nebenklage muss P. 2500 Euro an die Kinderarche zahlen.

Etwas bizarr lief inmitten des Verfahrens eine weitere Anklage gegen den Angeklagten Andree P. Der Anfangsverdacht: Als Sicherheitsmann soll er im Jahr 2021 im Rahmen eines Streits im Uniklinikum einen Mann gestoßen haben. Der Mann, der sich weigerte im Rahmen von Corona-Maßnahmen seine Personalien anzugeben, fiel und brach sich den Mittelfußknochen. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, weil der Zeuge den Vorfall nicht bestätigen konnte. Auch heute ist P. noch in der Security-Branche tätig. Die LVB hatte ihn und einen weiteren beteiligten Kontrolleur bereits kurz nach dem Vorfall entlassen.


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