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Politik

Maskenpflicht vs. Maskenverbot

Die Polizei Sachsen hat aus der aufgehobenen Maskenpflicht auf Versammlungen ein faktisches Maskenverbot gemacht

  Maskenpflicht vs. Maskenverbot | Die Polizei Sachsen hat aus der aufgehobenen Maskenpflicht auf Versammlungen ein faktisches Maskenverbot gemacht

Sachsen ist bundesweit trauriger Spitzenreiter bei den Corona-Toten: Insgesamt 418 pro Hunderttausend starben hier seit Beginn der Pandemie. Damit liegt das Bundesland weit über dem bundesweiten Durchschnitt von 206. Trotzdem entfiel vor gut einem Jahr in Sachsen die Maskenpflicht auf Versammlungen. Daraus ergibt sich eine groteske Situation: Da das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes große Teile des Gesichts verdeckt, kann es nun zu Strafen wegen Vermummung führen. Als Vermummung definiert das Sächsische Versammlungsgesetz Gegenstände, »die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet sind, die Feststellung der Identität zu verhindern«. Bei der Strafverfolgung zeigt sich die Polizei in Sachsen nun ungewöhnlich engagiert.


Debatte Vermummungsverbot

Die Debatte um das Vermummungsverbot in Deutschland ist kontrovers. Befürworter argumentieren, dass Anonymität zu gewalttätigem Verhalten führen kann. Ein Verbot verhindere Kriminalität und Gewalt und sei ein Instrument gegen Terrorismus und Extremismus. Gegner sagen, es beschränke die individuelle Freiheit, untergrabe die freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit. Das Problem bleibt allerdings ungelöst, seit dem Wegfall der Maskenpflicht in Sachsen hat es sich sogar verschärft.


»Absurde Situationen«

Im März organisierte das Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz eine Kundgebung unter dem Motto »Masken tragen ist kein Verbrechen«. Im Aufruf dafür hieß es: »Seit Wochen werden Leute angezeigt, weil sie zum Infektionsschutz Masken tragen, als Geist bei einer Antifa-Faschingsdemo verkleidet sind oder nur bei dem FFF-Klimastreik (Fridays for Future, Anm. d. Red.) mitlaufen. Die Polizei nutzt das Vermummungsverbot, um linken Protest mit Anzeigen zu überziehen.«

Jonas Venediger meldet häufiger Versammlungen an. Auf einer Demo im April gibt er gegenüber dem kreuzer auf die Frage, ob ihm Probleme mit Anzeigen aufgrund von Vermummung durch Atemschutzmasken bekannt seien, an: »Das ist total absurd. Corona ist noch nicht vorbei und wir wollen, dass sich Menschen auf Demos sicher fühlen. Dennoch werden Ermessensspielräume hinsichtlich der Vermummung immer nur so ausgelegt, wie es der Polizei beliebt.«

Aus dem Umfeld der Initiative Leipzig nimmt Platz können wir auf der Demo weitere Stimmen einfangen: Jürgen Kasek (Grüne) bestätigt, dass das mit den Masken »hochgradig unterschiedlich ausgelegt« werde. Insbesondere bei den Versammlungsbehörden herrsche eine »große Unsicherheit«. Irena Rudolph-Kokot (SPD) kritisiert: »Selbst wenn man Absprachen mit der Versammlungsbehörde oder der Einsatzleitung trifft, werden Menschen mit Maßnahmen überzogen. Ich bezweifle, dass ein medizinischer Schutz dazu getragen wird, um die Identität zu verschleiern. Im Winter gehören Kapuzen und Mützen ebenso dazu wie im Sommer mal ein Regenschirm oder Regenkleidung.« Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit werde seit Jahren in Sachsen beschnitten. Rudolph-Kokot spricht von »absurden Situationen« und fordert eine rechtlich verbindliche Regulierung. Juliane Nagel (Linke) meint, dass man Vermummung im Sächsischen Versammlungsgesetz gänzlich entkriminalisieren müsse – damit wäre auch das Problem mit den Masken vom Tisch.


Unklare Regelung

Die Pressestelle der Polizeidirektion Leipzig tut sich schwer, die Anfrage des kreuzer zum Thema knapp zu beantworten. Ein Sprecher räumt ein, dass es »möglicherweise im Einzelfall zu Differenzen zwischen Maskentragenden auf einer Versammlung und einzelnen Polizeibeamtinnen bzw. Polizeibeamten« kam. »Polizeipräsident René Demmler [habe jedoch] im Sinne der Einsatzverantwortung Ende Februar/Anfang März verdeutlicht, dass im Kontext des Versammlungsgeschehens das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zum tatsächlichen Zweck des Gesundheitsschutzes möglich« sei. Weiter wird betont, dass die Versammlungsfreiheit daran gekoppelt sei, »Gesicht zu zeigen«. Eine Prüfung sei am jeweiligen Einzelfall vorzunehmen.

Für eine Konkretisierung der Einzelfallentscheidungen wendet sich der kreuzer an das sächsische Innenministerium. Von dort heißt es dazu: »Dies muss anhand der Umstände des konkreten Einzelfalles von den vor Ort anwesenden Einsatzkräften geprüft und entsprechend bewertet werden, nicht vom Sächsischen Staatsministerium des Innern.«


Andere Länder

Der kreuzer hat bundesweit alle Innenministerien befragt, ob es zu Konflikten zwischen dem Tragen einer Maske und dem Vermummungsverbot kam. Aus fünf Bundesländern gab es keine Antwort. Dort, wo eine Antwort kam, sind keine Konflikte bekannt.

Aus Bremen lautete es: »Regelmäßig war davon auszugehen, dass das Tragen einer medizinischen Maske den Umständen nach nicht auf die Verhinderung der Identitätsfeststellung gerichtet war, sondern zum Zwecke des Infektionsschutzes erfolgte.« Rheinland-Pfalz ergänzt spitz: »Fälle eines Konflikts zwischen Maskenpflicht und Vermummungsverbot sind hier nicht bekannt. In der Hochphase der Pandemie beruhten die meisten Konflikte bei Versammlungen darauf, dass Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer keine Maske tragen wollten.«

Thüringen konstatiert: »Nach erfolgter Recherche konnten keine Verstöße in einem Sachzusammenhang mit FFP-2-Masken recherchiert werden.« Aus Thüringen wird weiter ausgeführt, dass die Polizei bei Verstößen gegen das Vermummungsverbot zur Erstattung einer Anzeige verpflichtet sei. Für einen solchen Verstoß mittels einer Maske werden uns in der Antwort fein säuberlich die Tatbestandsmerkmale aufgelistet und auf einen exemplarischen Sachverhalt heruntergebrochen: Basecap, Sonnenbrille und Maske bei Sonnenschein sollten kein Problem sein. »Liegt gleicher Sachverhalt bei stark bedecktem Himmel vor, könnte hingegen ein Anfangsverdacht begründet werden«, heißt es in der ausführlichen Antwort.

»Was damit zum Ausdruck gebracht werden soll, ist die stets mit dem nötigen Fingerspitzengefühl verbundene Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalles. Es kann jedoch im Einzelfall auf eine höhere Gewichtung des Infektionsschutzes geschlossen werden«, werden die fehlenden Verstöße in Thüringen abschließend begründet.

Das Saarland führt nach einer ähnlichen Ausführung an, dass der »Tenor der Versammlungsfreiheit keine standardisierte Überprüfung der Motivlage durch polizeiliche Eingriffsmaßnahmen« zulasse.


Keine Kennzahlen

In Sachsen mangelt es an einer vergleichbar ausformulierten Grundlage zur Entscheidung über Einzelfälle – ebenso an Kennzahlen. Dieses Jahr wurde die polizeiliche Kriminalitätsstatistik für 2022 veröffentlicht, in der signifikante Veränderungen der Fallzahlen zum Vorjahr abgebildet werden. Dabei stechen Verstöße gegen das Versammlungsgesetz mit einem Plus von 1.687 Fällen gegenüber dem Vorjahr hervor.

Um wie viele Fälle es beim Anstieg um Vermummung geht, kann das Sächsische LKA auf kreuzer-Anfrage nicht mitteilen. Es wird »nicht gesondert erfasst, welche konkrete Handlung dem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zu Grunde liegt«.


Neues Versammlungsrecht

Abhilfe könnte die im sächsischen Koalitionsvertrag beschlossene Novellierung des Versammlungsrechts schaffen. Zur Problematik mit der Norm um die Vermummung teilt uns das CDU-geführte Innenministerium knapp mit: »Die Regierungsparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag eine Novellierung des Versammlungsrechtes angekündigt. Dies wird das Innenministerium unterstützen.«

Valentin Lippmann, rechts- und innenpolitischer Sprecher der grünen Fraktion im Sächsischen Landtag gibt sich ebenfalls bedeckt: »Wir befinden uns derzeit in Vorgesprächen mit dem Innenministerium über ein modernes, freiheitssicherndes Versammlungsgesetz. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass wir keine Details zu Zwischenständen geben können.«

Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD, lässt durchblicken, dass es »keine Novellierung oder untergesetzliche Regelung zur Vorschrift« brauche. Den Versammlungsbehörden sei es möglich, »Ausnahmen vom Vermummungsverbot zu erlassen, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet wird«.

Kerstin Köditz, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, befürwortet ein Versammlungsrecht, das die »größtmögliche Versammlungsfreiheit gewährleistet«. Es müsse allen Menschen möglich sein, freiwillig Masken zu tragen. »Das Corona-Virus ist, wie viele andere Erreger, weiterhin in der Welt.«

Das Vermummungsverbot gilt nicht nur im Versammlungsrecht. Auch die Straßenverkehrsordnung beinhaltet eine Vorschrift. Der Bundesverband Taxi und Mietwagen forderte deshalb im Februar eine »rechtliche Klarstellung«, da das Maskenverbot für Taxifahrer »absurd« sei – in Sachsen gebe es dieses Problem jedoch nicht, versicherte ein Polizeisprecher.


Titelfoto: Symboldbild. Marco Brás dos Santos.


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