Sachsen ist bundesweit trauriger Spitzenreiter bei den Corona-Toten: Insgesamt 418 pro Hunderttausend starben hier seit Beginn der Pandemie. Damit liegt das Bundesland weit über dem bundesweiten Durchschnitt von 206. Trotzdem entfiel vor gut einem Jahr in Sachsen die Maskenpflicht auf Versammlungen. Daraus ergibt sich eine groteske Situation: Da das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes große Teile des Gesichts verdeckt, kann es nun zu Strafen wegen Vermummung führen. Als Vermummung definiert das Sächsische Versammlungsgesetz Gegenstände, »die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet sind, die Feststellung der Identität zu verhindern«. Bei der Strafverfolgung zeigt sich die Polizei in Sachsen nun ungewöhnlich engagiert.
Debatte Vermummungsverbot
Die Debatte um das Vermummungsverbot in Deutschland ist kontrovers. Befürworter argumentieren, dass Anonymität zu gewalttätigem Verhalten führen kann. Ein Verbot verhindere Kriminalität und Gewalt und sei ein Instrument gegen Terrorismus und Extremismus. Gegner sagen, es beschränke die individuelle Freiheit, untergrabe die freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit. Das Problem bleibt allerdings ungelöst, seit dem Wegfall der Maskenpflicht in Sachsen hat es sich sogar verschärft.
Thüringen konstatiert: »Nach erfolgter Recherche konnten keine Verstöße in einem Sachzusammenhang mit FFP-2-Masken recherchiert werden.« Aus Thüringen wird weiter ausgeführt, dass die Polizei bei Verstößen gegen das Vermummungsverbot zur Erstattung einer Anzeige verpflichtet sei. Für einen solchen Verstoß mittels einer Maske werden uns in der Antwort fein säuberlich die Tatbestandsmerkmale aufgelistet und auf einen exemplarischen Sachverhalt heruntergebrochen: Basecap, Sonnenbrille und Maske bei Sonnenschein sollten kein Problem sein. »Liegt gleicher Sachverhalt bei stark bedecktem Himmel vor, könnte hingegen ein Anfangsverdacht begründet werden«, heißt es in der ausführlichen Antwort.
»Was damit zum Ausdruck gebracht werden soll, ist die stets mit dem nötigen Fingerspitzengefühl verbundene Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalles. Es kann jedoch im Einzelfall auf eine höhere Gewichtung des Infektionsschutzes geschlossen werden«, werden die fehlenden Verstöße in Thüringen abschließend begründet.
Das Saarland führt nach einer ähnlichen Ausführung an, dass der »Tenor der Versammlungsfreiheit keine standardisierte Überprüfung der Motivlage durch polizeiliche Eingriffsmaßnahmen« zulasse.
Keine Kennzahlen
In Sachsen mangelt es an einer vergleichbar ausformulierten Grundlage zur Entscheidung über Einzelfälle – ebenso an Kennzahlen. Dieses Jahr wurde die polizeiliche Kriminalitätsstatistik für 2022 veröffentlicht, in der signifikante Veränderungen der Fallzahlen zum Vorjahr abgebildet werden. Dabei stechen Verstöße gegen das Versammlungsgesetz mit einem Plus von 1.687 Fällen gegenüber dem Vorjahr hervor.
Um wie viele Fälle es beim Anstieg um Vermummung geht, kann das Sächsische LKA auf kreuzer-Anfrage nicht mitteilen. Es wird »nicht gesondert erfasst, welche konkrete Handlung dem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zu Grunde liegt«.
Neues Versammlungsrecht
Abhilfe könnte die im sächsischen Koalitionsvertrag beschlossene Novellierung des Versammlungsrechts schaffen. Zur Problematik mit der Norm um die Vermummung teilt uns das CDU-geführte Innenministerium knapp mit: »Die Regierungsparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag eine Novellierung des Versammlungsrechtes angekündigt. Dies wird das Innenministerium unterstützen.«
Valentin Lippmann, rechts- und innenpolitischer Sprecher der grünen Fraktion im Sächsischen Landtag gibt sich ebenfalls bedeckt: »Wir befinden uns derzeit in Vorgesprächen mit dem Innenministerium über ein modernes, freiheitssicherndes Versammlungsgesetz. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass wir keine Details zu Zwischenständen geben können.«
Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD, lässt durchblicken, dass es »keine Novellierung oder untergesetzliche Regelung zur Vorschrift« brauche. Den Versammlungsbehörden sei es möglich, »Ausnahmen vom Vermummungsverbot zu erlassen, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet wird«.
Kerstin Köditz, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, befürwortet ein Versammlungsrecht, das die »größtmögliche Versammlungsfreiheit gewährleistet«. Es müsse allen Menschen möglich sein, freiwillig Masken zu tragen. »Das Corona-Virus ist, wie viele andere Erreger, weiterhin in der Welt.«
Das Vermummungsverbot gilt nicht nur im Versammlungsrecht. Auch die Straßenverkehrsordnung beinhaltet eine Vorschrift. Der Bundesverband Taxi und Mietwagen forderte deshalb im Februar eine »rechtliche Klarstellung«, da das Maskenverbot für Taxifahrer »absurd« sei – in Sachsen gebe es dieses Problem jedoch nicht, versicherte ein Polizeisprecher.
Titelfoto: Symboldbild. Marco Brás dos Santos.
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