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Einmal Aufenthaltsqualität, bitte!

Gelungene Beispiele von Architektur und Stadtplanung aus anderen Städten könnten Leipzig Vorbilder sein

  Einmal Aufenthaltsqualität, bitte! | Gelungene Beispiele von Architektur und Stadtplanung aus anderen Städten könnten Leipzig Vorbilder sein

Das Ladensterben muss nicht den Niedergang der Innenstadt bedeuten. Eine Zeit lang hatte das Konsumieren hier das Monopol, ja, aber nun müssen die Innenstädte ihren Kernbereich von einst wiederentdecken und neu entwickeln. Denn neben Handelszentren waren sie immer Orte, wo man sich auch getroffen hat. Man arbeitete und flanierte hier, kam in sozialen und kulturellen Austausch. Solcherart lebendig und zugänglich müssen die öffentlichen Räume wieder werden, damit Menschen gute Gründe haben, sich in der Innenstadt aufzuhalten.

Klar ist, dass es sich dabei um einen Prozess handelt. Stadtleben und -gestaltung sind nie fertig. Ebenso bedarf es nicht der Einzellösung, sondern einer Gesamtstrategie, die viele Akteure einbezieht. Beteiligung und Teilhabe sind dabei unerlässlich. Im Grunde enthält die »Neue Leipzig-Charta« der Europäischen Union von 2020 bereits viele Punkte, die sich mit »gerecht, produktiv und grün« zusammenfassen lassen. Man muss sie nur noch praktisch umsetzen. 

> Informationen zur »Neuen Leipzig Charta« sowie das ganze Dokument zum kostenlosen Download beim Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: www.bmwsb.bund.de

 

Diese Beispiele von Architektur und Stadtplanung aus anderen Städten lassen sich natürlich nicht eins zu eins auf Leipzig übertragen – aber sie dokumentieren, dass Transformation zu guten Ergebnisen führen können. 

Illustration Lübeck_Kerstin Rupp
Kaufhaus zu Schule


Schule machen

In Lübeck wird aktuell ein ehemaliges Karstadt-Kaufhaus zu einer Schule umgebaut. Das ist günstiger als ein Neubau und der Flächenzuschnitt ist frei gestaltbar. Auf das Dach kommt der Schulhof. Außer der Schule sollen der Offene Kanal und einige Start-ups ins Gebäude ziehen.

 


 

 

Boulevardisierung

Brüssels Boulevard Anspach (bzw. Anspachlaan) war lange stark vom durchfahrenden Autoverkehr geprägt. Die Straße ist 2015 zu einer der größten Fußgängerzonen Europas umgebaut worden. Nachdem Fußgänger jahrzehntelang vom Autoverkehr an die Straßenränder verwiesen worden waren, rückte die Umgestaltung sie zurück in die Mitte der Straße. Radfahren ist ebenfalls erlaubt. Parkplätze wurden zu Grünflächen. Verkehrsberuhigt sind auch angrenzende Straßen und Plätze, so dass öffentlicher Raum für alle wiedergewonnen und die zerfahrene Altstadt erneut zusammengefügt wurde.


Goldener Boden

Handwerker parken frei. Mehrere deutsche Städten führte für sie und andere Dienstleister kostenlose Parkausweise ein, damit sie störungsfrei ihre Kunden in den Innenstädten aufsuchen können.


Freiflächengewinnung

In Bremerhaven wird das leer stehende Karstadt-Gebäude einfach entfernt – die Stadt kaufte es dafür. Der graue Klotz aus den Siebzigern wirkte schon länger ästhetisch abstoßend, die Abrissbirne legt den Platz nun frei für zeitgemäße Bebauung. Kleinteilig soll sie ausfallen und mit Geschäften, Wohnungen, Büros und Gastronomie zur Neubelebung führen.


Schwammstadt

Im Zuge der Klimakatastrophe nimmt die Berechenbarkeit des Wetters ab. Das zehrt am Wasserhaushalt. Daher soll Wasser vor Ort gespeichert werden, statt es rasch wegzuschaffen. Das erreicht das Schwammkonzept: Es kommt der Vegetation zugute, die wiederum den Städtern Schatten und Verdunstungskühle spendet. Mit den Berliner Johannisgärten beispielsweise ist ein neues Viertel gemäß dieser Idee entstanden. Die Gebäude tragen Flachdächer mit einer speichernden Schicht aus Erdreich. Langsam fließt das Wasser dann über mehrere Staudengärten hinunter ins bemulchte Erdreich und die breiten Rasenfugen zwischen dem Pflaster. Nach einem Sommergewitter kann es eine Weile zentimeterhoch auf dem Areal stehen, bis es versickert ist.

Lastenfahrrad_Kerstin Rupp
Lastenrad zum Transportieren

Logistik

Eine Lastenrad-Auslieferung unterstützt den Einzelhandel in Göttingen: Man kauft vor Ort, muss aber die Produkte nicht nach Hause tragen und ist nicht auf das Auto angewiesen. Auch ein Bestellservice ist in den emissionsarmen Service integriert.


Gendergerecht

Wien setzt seit Jahrzehnten die gendergerechte Stadtplanung um. Gehwege werden dazu breit genug für Kinderwagen angelegt. Man sorgt für kurze Wege, gut ausgeleuchtete Plätze, viele Sitzgelegenheiten und einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr – Frauen bewegen sich Studien zufolge anders durch den Stadtraum als Männer. In Parks hat man die üblichen Ballspielkäfige um Volleyball- und Badminton-Plätze ergänzt, um Alternativen zum jungsdominierten Fußball zu geben. Hängematten und viele unterschiedliche Sitzmöglichkeiten laden zum Plaudern ein. Fürs bessere Sicherheitsgefühl schnitt man hohe Büsche zurück. Die Nahverkehrsfahrzeuge tragen Piktogramme, die gleichermaßen Mütter und Väter mit Kind auf dem Schoß zeigen, um unbemerkt Bewusstsein zu schaffen. Mit dem im Bau befindlichen neuen Seestadt-Quartier entsteht ein ganzes Viertel, das gendergerecht geplant ist – und andere Stadtenwicklungskonzepte gleich mit erprobt.


Fassadengrün

Stadt aus Stein heizt sich auf, die Erderwärmung macht Kühlen noch dringender. Vielerorts wird Fassadengrün eingesetzt. Das Kletterfix-Projekt der Leipziger Ökolöwen etwa berät zu eigenen Begrünungsvorhaben. Eine Initialzündung für grüne Wände stellte der vertikale Wald am Bosco Verticale in Mailand dar. Der Hochhauskomplex verfügt über zwei begrünte 80 beziehungsweise 110 Meter hohe Zwillingstürme. Rund 900 Bäume und 2.000 Sträucher mildern neben der Hitze auch Lärm und Staubentwicklung und sind Gemeinschaftseigentum – aller Wohnungseigentümer. Auch die Biodiversität fördern diese bepflanzten Fassaden.

 


Mischnutzung

Kopenhagen ist nicht nur Musterbeispiel fürs Fahrradfahren. Auch sein neu gestalteter Israels Plads kann sich sehen lassen. Er bringt Lebendigkeit ins Herz der Stadt und verbindet Viertel, statt sie zu trennen. Der multifunktionale Platz, die Planer nennen ihn »Stadtplatz«, ermöglicht die Mischnutzung durch Menschen aller Altersgruppen. Drei Schulen säumen den Israels Plads, in den ein Schulhof integriert ist. Er ist wie ein Teppich gestaltet: Wo er Falten wirft, dienen diese Erhebungen als Sitzgelegenheiten. Eine Senke in der Mitte ist ein Spiel- und Sportplatz mit weicherem Bodenbelag. Bauminseln sind verteilt, ein Wasserspiel nimmt Regenfluten auf. Insgesamt ermöglicht der Ort Begegnungen, kreuzen sich hier die Wege, ist er ein Treffpunkt.


Kantzonen-Belebung

Noch mal Kopenhagen. In der Helsinkigade öffnen sich die Wohnhäuser zur Straße hin. Statt bloße Einfahrtschneise zu sein, sind die Kantzonen besonders gestaltet. Das ist der Bereich, wo private Hausfassade auf öffentlichen Bürgersteig trifft. Dieser ist oft tot und gesichtslos. In der Helsinkigade führen Treppen mit vier, fünf Stufen zu kleinen Terrassen. Hier können die Bewohnerinnen und Bewohner bei schönem Wetter herumsitzen und Kaffee trinken. Manche haben dort auch Blumentöpfe hingestellt. Diese Gestaltung ermutigt die Anwohnerinnen und Anwohner, sich dem öffentlichen Raum zuzuwenden. Das vermeidet Abgeschiedenheit, macht Interaktion zwischen innen und außen möglich.


Mehrgenerationenhaus

Multifunktionalität ist ein Planerwort der Stunde. Auch das Mehrgenerationenhaus EHFA in Haldensleben ist nach diesem Prinzip angelegt. Die 19 Wohnungen sind barrierefrei und für Senioren, Familien und Wohngemeinschaften konzipiert. Des Weiteren entstanden Gemeinbedarfseinrichtungen, so zum Beispiel eine Kita und Veranstaltungsräume, eine Cafeteria, Sozialberatungsstellen und Freiflächen. Das Gebäude schließt die Lücke einer innerstädtischen Brache und stärkt durch die Nutzungsvielfalt den Stadtkern.


Treffpunkte

Die Leipziger Stadtbibliothek macht es vor mit ihren Leipzig-Zimmern und der flexiblen Raumbuchung für jedermann. Hier gilt es weiterzudenken. Warum nicht viele Flächen einer Innenstadt öffentlich zugänglich machen, wieso nicht auch die Dächer? Damit könnte man die Stadt auf eine zweite Ebene heben. Statt wie momentan Räume vor allem für eine bestimmte Nutzungsart zu definieren, wäre von Vorteil, Raum zu haben, der frei zur Gestaltung ist. Der Stadtgesellschaft wird schon etwas einfallen, sich diese Räume nach Gusto anzueignen. Man muss nicht allen Orten sofort mit Erwartungshaltung begegnen, sondern die Menschen dürfen dort einfach sein und können sich begegnen – und das auch in 10, 20 oder 30 Jahren.
 

Unter einem Dach

Ein besonderes Exemplar vertikaler Mischnutzung zu bestaunen gibt es in São Paulo. Im neuen Gebäude des Sesc 24 de Maio schichten sich die unterschiedlichsten Freizeitangebote auf 14 Etagen. Das Kultur- und Freizeitzentrum versammelt im ehemaligen Firmensitz eines Möbelhauses vieles – vom Schwimmbad auf dem Dach bis zu einer Bibliothek, Gastronomie und einem Theater im Untergeschoss. Die meisten Räume der sozialen Einrichtung sind frei zugänglich für alle. Offene Bereiche fungieren als Gärten und Zwischenräume. Über Rampen bewegt man sich durchs Gebäude.

Blaues Wunder_Kerstin Rupp
Das blaue Wunder kommt zurück


Brückenschlagen

Im Grunde braucht Leipzig etwas wie das Blaue Wunder zurück, um eine sichere und sinnvolle Fußgängerquerung des Ringes zu ermöglichen. In Magdeburg zum Beispiel kreuzt eine ausladende Fußgängerbrücke die zigspurige, Elbpromenade und Innenstadt trennende Hauptstraße. Die Brücke verbindet das Elbufer mit dem historischen Gebiet um Fürstenwall und Dom. Man kann direkt zum Fluss übersetzen und dort weiter flanieren; eine Aussichtsplattform gibt den Wasserblick frei.
 

Klimawäldchen

Der Heilbronner Wollhausplatz bildet einen zentralen Verkehrsknotenpunkt in der Innenstadt. Nach dem Abbruch von zwei Pavillons auf einer Tiefgarage wurde die Fläche mit 200 Bäumen und Sträuchern bepflanzt. Der Schattenspender ist rasch neuer Anziehungspunkt für die Bürgerinnen und Bürger geworden.


Präsentationsraum

In der Solinger Innenstadt entsteht die sogenannte Gläserne Werkstatt für regional entwickelte und produzierte Produkte. Lokale Manufakturen, Handwerks- und Landwirtschaftsbetriebe, Produktions- und Dienstleistungsunternehmen finden hier einen Ort, um sich und ihr Angebot zu präsentieren. Die Bandbreite reicht von Lebensmitteln über 3-D-Drucker bis zur Umwelttechnologie. Zugleich soll die Werkstatt die Vernetzung der Wirtschaft vor Ort befördern.


Barrierefreiheit

Das ist eine große Baustelle – man versuche nur einmal, sich mit einem Kinderwagen durch die Stadt zu bewegen. Ein gelungenes Beispiel ist der öffentliche Personennahverkehr in Barcelona. Alle Busse sind für Behinderte zugänglich: Es sind Niederflurer im Einsatz, überall sind Rampen verbaut. Audioinformation in den Bussen und an den Haltestellen ist vorgehalten und die Fahrzeuge sind auch in Braille beschriftet. Auch alle öffentlichen Einrichtungen und die meisten Sehenswürdigkeiten in der Stadt sind barrierefrei, teilweise wurden externe Aufzüge gebaut. Rampen führen zum Stadtstrand.


Mehrdimensionalität

Kopenhagen (ja: schon wieder) verfügt wahrscheinlich über das attraktivste Parkhaus der Welt. Es ist ein vielfältig nutzbares Gebäude, das über das Autoabstellen weit hinausgeht. Im Erdgeschoss liegt neben der Ein- und Ausfahrt ein Recyclinghof. Ein Tauschschrank in Form eines Rondells steht in der Mitte des Raumes. An den Außenwänden des Parkhauses gelangt man über zwei Treppen nach oben – an ihrem Fußende stehen Buzzer. Damit kann man eine Stoppuhr starten und die Zeit messen, die man bis aufs Dach benötigt – man kann sie oben ablesen. Das Parkhaus ist nämlich auch als öffentliches Fitnessstudio gedacht. Es gibt eine Aussichtsplattform, auf der man seinen Körper mit Blick auf den Øresund an Reckstangen, Tauen und Schaukeln stärken kann.


Spielplätze

Bochum erprobt seit einiger Zeit temporäre Spielelandschaften in der Innenstadt. Zur wärmeren Jahreshälfte werden im öffentlichen Raum Geräte und Material verteilt. So kam eine modulare Spielbox zum Einsatz, die mit einer Riesenröhrenrutsche lockte. Der offene umgebaute Seecontainer enthält Elemente zum Toben und Klettern und soll auch in andere Stadtteile Bochums wandern. Auch Sand wurde extra aufgeschüttet und zahlreiche Bänke für die erwachsene Begleitung wurden aufgestellt.


Inklusiv spielen

Am Marktplatz in Weyhe entsteht der erste inklusive Spielplatz der Gemeinde. Als größtes und sichtbarstes Element wird ein 25 mal 15 Meter großes Schiff aus Stahl errichtet, in dem Kinder mit und ohne Beeinträchtigung spielen können.


Dringendes Bedürfnis

An zugänglichen Toiletten mangelt es vielerorts, was nicht nur seniorenunfreundlich ist. Erfurt setzt das Konzept »Nette Toilette« um. Gastronomen und Einzelhändler stellen ihre Toiletten während der Öffnungszeiten der breiten Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung. Für ihre erhöhten Aufwendungen erhalten sie von der Stadt einen Betriebskostenzuschuss. Standorte, Öffnungszeiten und Ausstattungen dieser und aller anderen kostenfreien Toiletten in der Innenstadt werden mit Flyern, im Geoportal der Stadt sowie einer eigenen App veröffentlicht.

 

Freitreppe Siegen_Kerstin Rupp
Freitreppe an der Sieg

Freitreppe

Viele Jahre war die Stadt Siegen optisch vom Autoverkehr geprägt. Dafür stand die sogenannte Siegplatte: Eine fast 300 Meter lange Überbauung der Sieg ließ vom Fluss nur einen sichtbaren Spalt übrig und diente als Parkfläche für Autos. Die Stadt hat dort die Parkplätze gestrichen und den Uferbereich zur Sieg neu gestaltet: Eine lange Freitreppe wurde mit Sitzstufen versehen. Über eine Rampe lässt sich auch die untere Ebene barrierefrei erreichen. Ins renaturierte Flussbett gelangt man über Trittstufen und kann sich hier auf Sitzpodesten niederlassen.


Mustermesse

Ein Kaufhaus in zentraler Innenstadt-Lage in Ahaus stand leer. Ein neues Konzept führt im Gebäude Online- und stationären Handel zusammen. Händler, Künstler und Handwerker stellen ihre Produkte aus und preisen ihre Leistungen an – ohne Personalaufwand. Gekauft beziehungsweise beauftragt wird via QR-Code in den jeweiligen Online-Shops der Anbieter. Das Haus überführt das in Leipzig lange mustergültige Prinzip Mustermesse – vor Ort begutachten, dann ordern – ins digitale Zeitalter.


Kostenloser Nahverkehr

Wer fährt schon in die City, wenn für vier Haltestellen schon drei Euro verlangt werden? Templin geht einen anderen Weg. Beziehungsweise fährt. Über 25 Jahre war der öffentliche Nahverkehr kostenlos. Seit 2022 kostet die Jahreskarte 44 Euro. Geringer PKW-Verkehr reduziert die Lärmbelästigung und erhöht die Verkehrssicherheit. Vor allem Senioren wird dadurch gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht.


Auf dem Pflaster liegt der Strand

Mit den Paris-Plages gönnt sich die französische Hauptstadt immer in den Sommerferien einen Stadtstrand. Dafür wird ein 3,5 Kilometer langes Stück der Schnellstraße Voie Georges Pompidou an der Seine gesperrt und mit Sand aufgeschüttet. Sport- und Spielstationen werden ein-, Ausstellungen und Auftritte, Workshops und Anderes ausgerichtet. Man kann aber auch einfach nur im Sand liegen.


Ein wirkliches Stadtfest

Seit 30 Jahren macht die Kulturarena im Sommer Jena für ein paar Wochen zum überregionalen Hingucker. Der Platz vor dem Theater verwandelt sich dann zur Open-Air-Arena, auf der vielerlei Kultur stattfindet – Klasse schlägt dabei Masse und der Eintritt ist günstig oder gar kostenlos.


Illustrationen: Kerstin Rupp


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