Als ob mal richtig durchgelüftet werden sollte, so erschien am Mittwochabend das Gebäude der Hochschule für Grafik und Buchkunst in der Wächterstraße. Alle Türen der Hauptfassade waren geöffnet. Die frische Luft sorgte nicht nur für etwas Abkühlung in der Sommerhitze, sondern auch für ein einfaches Bild zur Amtseinführung von Agnes Wegner als neue Rektorin der HGB. Zudem blickten die Gäste der Veranstaltung in der Galerie auf ein gebeamtes Foto des Portals mit den offenen Türen.
Offene Türen im Ministerium
CDU-Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow hob die hohen gesellschaftlichen Erwartungen an die HGB-Leitung hervor. Dazu zählt er Toleranz, Offenheit und Verwaltungskenntnisse, die sowohl die Tradition bewahren als auch in die Zukunft weisen sollen. Wenn Gemkow die HGB als einen Ort beschreibt, der die Gesellschaft wie in einem Brennglas abbildet, dann weiß er im Umkehrschluss sicher auch, dass Konflikte da ebenso herrschen, wie Sparkonzepte selten zu wirklichen Innovationen oder ganzheitlichen Lösungen führen. Zudem dürfte er sich noch an den Protest-Rundgang der HGB im Februar 2019 – damals noch unter seiner Amtsvorgängerin Eva-Maria Stange (SPD) – erinnern. Anstatt künstlerische Arbeiten zu präsentieren, blieben die Räume leer. Das Nichtausstellen kritisierte unter anderem die Zielvorgaben des Ministeriums an die Hochschule. Sie sind nach wie vor aktuell und bestimmen finanzielle Zuwendungen des Freistaates. So können sich diese reduzieren, wenn die vorher bestimmte Anzahl von Studierenden das Studium nicht in der Regelstudienzeit abschließt.
Gemkow lud die Rektorin zum baldigen Gespräch ins Ministerium, um die Vorstellungen zur Zukunft der Kunsthochschule konkret abzugleichen. Ein Punkt auf der Tagesordnung dürfte dort die ATA sein, die Akademie für transkulturellen Austausch. Sie wurde 2016 als bundesweit erstes Studienangebot für Menschen mit Fluchtgeschichte im Bereich Bildende Kunst und Grafik-Design an einer deutschen Kunsthochschule gegründet. Die finanzielle Förderung läuft zum Jahresende aus und so werden dringend neue Mittel und Wege für den Bestand dieser wichtigen Institution gesucht.
Ostdeutsche
Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke freute sich vor allem, dass die HGB-Leitung nun mit einer Ostdeutschen besetzt wurde. So trägt die Hochschule dazu bei, dass sich die bisherige Quote von 17 Prozent der Hochschul-Führungskräfte von Menschen aus der ehemaligen DDR bzw. Ostdeutschland erhöht. Was Jennicke nicht erwähnte, dass von den bisherigen sechs Rektoren und einer Rektorin mit Arno Rink, Albrecht von Boedecker und Klaus Werner drei in der DDR-sozialisierte Männer seit 1989 tätig waren.
»Es gibt was da ist« – ein Spruch von der Einladungskarte – macht dieses dünne Eis der Herkunftseinsortierungen bei der Veranstaltung recht deutlich. Für Jennicke steht der Spruch für die DDR bzw. deren Mangelwirtschaft, für die Künstlerin Antje Schiffers, die ihn auswählte, Geburt und Studium in Westdeutschland, gilt er als ein Verweis auf ihre künstlerische Praxis, die sich mit Tausch auseinandersetzt. Neben der Herkunftsfrage betonte Jennicke mit Blick auf die Situation in anderen Staaten das hohe Gut der Demokratie und erklärte, dass die Hochschule die Meinungs- und Kunstfreiheit sicherte, denn »die Künste sind der Stachel in der Demokratie.« Sie wünscht sich eine gute Zusammenarbeit wie etwa bei der Neugestaltung des Matthäikirchhof als Forum für Freiheit und Bürgerrechte.
Gesang und Schnaps
Bei der Planung der Veranstaltung war es Agnes Wegner wichtig, dass künstlerisch Tätige, die sie schätzt, auch zu Wort kommen. Olaf Nicolai steuerte also nicht nur Lieder aus seiner Arbeit »Escalier du Chant« zum Programm bei, sondern betonte die Autonomie der Kunst. Antje Schiffers brachte Schnaps als Gastgeschenk mit.
Voneinander lernen
Agnes Wegner, 1966 in Rostock geboren, studierte in Berlin Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften, arbeitete bei der Berlinale, koordinierte das Kunst- und Kulturprogramm der Fußball-WM 2006, leitete die Ausstellungen in der Temporären Kunsthalle in Berlin, später die Geschäftsstelle des Humboldt Lab Dahlem und koordinierte bis 2022 das Programm Bildende Kunst und Film im Haus der Kulturen der Welt. Im Anschluss wollte sie in ihrem weiteren beruflichen Werdegang an einer Kunsthochschule arbeiten – als einen schönen Schritt in ihrer beruflichen Entwicklung wie die 56jährige im Gespräch mit dem kreuzer vor der Amtseinführung erklärte.
Für die nun folgenden fünf Jahre im Amt entwickelte sie ein Programm unter dem Dreigestirn »Diversität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit«. Das meint beispielsweise die Verbindung von digitalen und analogen Werkstätten, Aktuell sind 47 Prozent der Professorenstellen mit Frauen besetzt. Ein Diversitätsmanagment soll aufgebaut und die Internationalisierung der Studiengänge im Blick behalten werden.
Seit April sei sie in Leipzig und immer noch dabei, anzukommen und zu verstehen. Als ihre Stärken formuliert sie, offen Konflikte anzugehen und die Kommunikation zu suchen, damit sich niemand ausgeschlossen fühle und nicht genehme Entscheidungen so zumindest gut nachvollziehen könne.
Foto: Sebastian Bolesch.