»Streng genommen dürften Teslas in Europa und in Deutschland nicht zugelassen werden.« – Tilo Weichert ist Mitglied des Netzwerks Datenschutzexpertise, das Ende 2020 ein umfangreiches Gutachten veröffentlichte, in dem die Rechtmäßigkeit des Wächtermodus des eben Nicht-nur-Automobilherstellers Tesla in Frage gestellt wird. Wächtermodus?
Nun, die Fahrzeuge des Unternehmens aus Texas, das bekanntlich auch in Brandenburg produziert, haben nicht nur eine Kamera im Innenraum und eine zum Rückwärtseinparken, sondern insgesamt acht Kameras, die nach außen filmen – hochauflösend mit bis zu 250 Metern Reichweite. Diese Kameras sind Teil des sogenannten Wächtermodus, eines Sicherheitssystems, das mithilfe von Kameras und Sensoren »verdächtige Aktivitäten« rund um das Fahrzeug aufzeichnet und einen Alarm auslöst. »Wenn eine verdächtige Bewegung erkannt wird, reagiert Ihr Fahrzeug je nach Schwere der Bedrohung«, heißt es auf der Website des Herstellers, der weder »verdächtige Bewegung« noch »Schwere der Bedrohung« definiert. Welche der somit registrierten Daten vom einzelnen Fahrzeug an das Unternehmen weitergeleitet werden, ist unklar. Das ARD-Magazin »Kontraste« berichtete, dass Videodaten aus Autos in Deutschland auf Server in den USA übermittelt werden. Die Presseagentur Reuters wiederum meldete im April 2023, dass Tesla-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter private Videos von Autokameras mehrerer Kundinnen und Kunden in einem Chat ausgetauscht haben sollen. Die von Sensoren und Kameras aufgezeichneten Daten sind teilweise für Fahrer und Halter der Fahrzeuge freigegeben, wodurch Privatpersonen zusätzliche Auswertungen vornehmen können – oder das aufgezeichnete Material veröffentlichen: Videos aus dem Fahrzeuginnenraum eines bei einer Leipziger Demonstration im September 2021 beschädigten Tesla stellte der Fahrzeughalter damals auf Youtube. Noch heikler: Software für die Fahrzeuge, mit der sich Kennzeichen und Gesichter im Videomaterial erfassen sowie Bewegungsprofile Dritter erstellen lassen, ist im Netz frei verfügbar. Womit private Fahrzeughalter, noch mehr aber Unternehmen und Institutionen mit Fuhrpark erhebliche Datenmengen ansammeln und in welcher Form auch immer »nutzen« können.
Kritische Gutachten in Deutschland und den Niederlanden
Das eingangs erwähnte Gutachten des Netzwerks Datenschutzexpertise von 2020 dient mittlerweile als Grundlage der Bewertung der Datenverarbeitung von Autoherstellern. Angesichts der »hervorgehobenen Marktposition von Tesla in der Fahrzeugdigitalisierung« wird darin eine gründliche Prüfung als besonders dringend erachtet. Das Fazit betont die dringende Notwendigkeit, dass die zuständige Datenschutzaufsicht sich mit dem »Fall Tesla« befasst. Ein Verbot des Wächtermodus wird als unverzichtbar angesehen, da seine Rechtswidrigkeit offensichtlich sei.
In einer Pressemitteilung der niederländischen Datenschutzbehörde DPA vom Februar dieses Jahres heißt es: »Viele Teslas, die auf der Straße geparkt waren, filmten oft jeden, der sich dem Fahrzeug näherte, und diese Bilder wurden für eine sehr lange Zeit gespeichert. Wenn jedes Auto das tun würde, hätten wir eine Situation, in der niemand in der Öffentlichkeit irgendwohin gehen könnte, ohne beobachtet zu werden.« Laut der Statistiken zugänglich machenden Plattform Statista waren zu Beginn dieses Jahres bundesweit rund 120.000 Teslas in Deutschland zugelassen. Laut Kraftfahrt-Bundesamt wurden im Jahr 2021 in Sachsen 728 Teslas zugelassen, 2022 waren es 1.267 Fahrzeuge.
Nach einer DPA-Untersuchung des Wächtermodus hat Tesla die Parameter der Funktion geändert – zumindest in den Niederlanden. Dazu gehören die standardmäßige Deaktivierung des Wächtermodus nach Updates der Fahrzeugsoftware (der Wächtermodus lässt sich übers Handy oder Fahrzeug-Display manuell aktivieren), verkürzte Speicherzeiten, manuelle Speicherauslösung und eine Reaktion der Fahrzeuge »nur dann, wenn das Fahrzeug berührt wird und nicht, sobald die Kameras verdächtige Aktivitäten rund um das Fahrzeug erkennen«. In Deutschland hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (VZBV) vor dem Landgericht Berlin geklagt. Der teilweise Erfolg der Klage führte dazu, dass Tesla-Fahrzeughalter seit Anfang Mai auf der Website des Herstellers folgenden Hinweis erhalten: »Allein Sie sind dafür verantwortlich, alle vor Ort geltenden Vorschriften und Eigentumsvorbehalte im Hinblick auf die Verwendung von Kameras zu prüfen und einzuhalten.«
Hilflose Behörden in Sachsen und Leipzig
Eine Anfrage an die Polizeidirektion Leipzig zum Umgang mit der Verwendung des Wächtermodus im öffentlichen Raum wurde bis zum Redaktionsschluss nicht beantwortet. Dem Ordnungsamt hingegen sei die Problematik bewusst, jedoch fallen lediglich Verstöße in der Straßenverkehrsordnung in das Aufgabengebiet der Behörde. Für Beschwerden über den aktivierten Wächtermodus sei die Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte (SDTB) zuständig. Dort räumt man auf kreuzer-Anfrage ein, dass es Vollzugsprobleme gebe. Denn es sei »von außen nicht erkennbar und nachweisbar, ob der Überwachungsmodus so aktiviert ist, dass auch eine Aufzeichnung (Speicherung) stattfindet«. Gleichwohl wird versichert, dass das Thema auf dem Tisch liege. Eine Unterarbeitsgruppe des Arbeitskreises Videoüberwachung der Datenschutzkonferenz (DSK) widme sich bereits der Thematik. Die sächsische Behörde setze sich dafür ein, dass sowohl »eine datenschutzgerechte Umsetzung einer Fahrzeugüberwachung als auch die Sammlung und Verarbeitung von Fahrpraxisinformationen mittels Videografie und KI in dem Gremium behandelt werden«, heißt es in der etwas hilflos wirkenden schriftlichen Antwort auf die kreuzer-Anfrage.
Doch Datenschutz ist bei Weitem nicht das Ende der Fahnenstange. Denn schon lange vor der breiteren gesellschaftlichen Debatte um künstliche Intelligenz (KI) kritisierte Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise: »Wir wissen nicht genau, welche künstliche Intelligenz bei Tesla im Hintergrund agiert.« Was wir wissen, ist, dass der »Autohersteller« bereits den Supercomputer Dojo entwickelt, der Computer-Vision-Videos erkennt und verarbeitet – ein weiterer Meilenstein der Entwicklung von KI. Da passt es, dass das Unternehmen auch den humanoiden Roboter Optimus entwickelt. Das maschinelle Sehen der KI, das über gesammelte Fahrzeugdaten trainiert wird, könnte zukünftig also nicht nur in autonomen Fahrzeugen zur Anwendung kommen – Roboter wie Optimus könnten die Arbeit in Lagerhallen verrichten. Zudem arbeitet das von Elon Musk gegründete Unternehmen Neuralink an einem Gerät zur Kommunikation zwischen menschlichem Gehirn und Computern. Und dann ist da ja noch Musks bereits bestehendes Satellitensystem Starlink, das alle(s) gut vernetzen kann. – Das Leben ist offenbar ein James-Bond-Film.
Foto: Marco Brás dos Santos.